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Frauenstimme

Nr.6+ 44.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

17. März 1927

Geschlechtsmoral und Lebensglück.

Unsere Zeit beschäftigt sich außerordentlich viel mit dem Sexual- und Eheproblem, ein Zeichen dafür, daß um neue Bindungen und Wertungen gerungen wird. Ein Wort wie ,, Ehe frisis ", ein Vorschlag wie den einer Beit oder Probeehe" zeugen davon. Die Gestaltung des Cherechts in Rußland ist ein praktischer Versuch, eine neue Eheform zu finden.

bes ehelichen Glüdes sowohl qualitativ mle quantitativ möglich wäre und sich daher ein besserer Weg finden würde, als die Ehe auf. zulösen und ganz neue Formen zu fon­struieren"? Eine Unzahl von Ehen sind heute durch all­mählich eintretende Gleichgültigkeit und sich ansammelnden Widerwillen gegen den Ehepartner unglücklich. Bei allen Chen, die auf der einzigen moralischen Grundlage, die es für

Borfrühling.

Meine Sehnsucht weinte längst sich matt, Nun ist sie wieder aufgewacht Und ging mit mic

Die Frage geht darum: Wird die heutige Form der dauernden Einehe Bestand haben, ist sie die beste Lösung des Segualproblems? Die einen bejahen, die anderen ver. neinen es. Die ersteren möchten Ehe- und Familienleben nach dem Muster vergangener Jahrhunderte wiederherstellen und dadurch festigen, daß sie den Befreiungs. tampf der Frau um Gleichberech tigung, den Eingriff der Wirt­schaftsverhältnisse in die Familie nicht anerkennen, die Frau viel mehr zur festeren Bindung wieder in die Anschauungsweise und Schicklichkeitsbegriffe früherer Zei­ten zwängen wollen; die anderen wollen das Zusammen- und Aus­einandergehen in der Ehe so er­leichtern, daß von einer dauernden Bindung faum mehr die Rede sein kann; für die der Gemeinschaft entsproffenen Kinder soll Bater und Mutter, bei Nichtvermögen die Allgemeinheit sorgen.

Unbestritten ist- und August Bebel war einer der ersten, der weiten Kreisen die Erkenntnis ver­mittelte, daß die Ehe als engste und ursprünglichste Form der Ge­meinschaft jeweils ein getreues Spiegelbild der Wirtschafts- und Herrschaftsverhältnisse der be­stehenden Gesellschaftsform und

Durch Straßen und durch Gaffen Wo die müden, blassen Großstadtkinder Murmeln spielten, Kreisel jagten,

Und in Glitzerscherben Sonnenstrahlen fingen.

Und ich fühlte mich so großstadtmübe. Und ich spürte eine liebe Hand, Die mit mütterlicher Güte Sort mich zog

On frühlingsbanges Land. Und ich sah die Silberfäßchen blüh'u, Haselnüsse gold'ne Wölkchen stren's Und der Saaten funges Grün In der Sonne zittern.

Und ich segue aller Knospen Schwellen. Liebe öffnet mir die Rosentore Und aus tiefverborg'nen Quellen Strömen Lieder.

alfo Wandlungen unterworfen ist. Das Cherecht ist der Nieder­schlag der rechtlichen Stellung der Frau im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, ihrer Abhängigkeit vom Mann. Anzu­nehmen aber ist, daß die Form der dauernden Einehe ein Fort schritt gegenüber der Paarungs- und Zeitehe früherer Zeit ist und als höhere Entwidlungsform ihren Blag behauptet, wenn sie sich nur rechtlich den neuen Verhältnissen anpaßt. Denn der ethische und erzieherische Gehalt einer dauernden Berbindung ist nicht zu übersehen, der darin liegt, daß zwei Menschen in gegenseitiger Liebe und Sympathie sich zu einer Gemeinschaft verbinden. Sicher haben die wirtschaftlichen Verhältnisse die Familie des vorigen Jahrhunderts, wie sie Schiller in der Glode" besang, aufgelöst, die Benutzung des gleichen Hausrates, die gleiche Schlafstelle und derselbe Speise­tisch sind oft die einzigen einigenden Punkte, aber zwischen Mann und Frau besteht doch eine festere Bindung. Kann sie so fest geschürzt werden, daß sie die Form der dauernden Einehe behält troy aller Wandlungen des äußeren Zusam­menlebens?

Hier jezt Müllers Buch, ein neues Buch des durch sein System" bekannten Dänen J. P. Müller, ein. Er unter­fucht ob nicht etwa eine höhere Entwidlung

Eheschließung gibt, geschlossen

wurden, nämlich auf ,, un wider stehlicher sinnlicher An. ziehungsfraft und seelt. icher Sympathie" ist die Ge währ dauernden Glückes gegeben, wenn die Eheleute nicht vergessen würden, daß das Eheglück ab hängig, ja geradezu bedingt ist von der Ausnüßung der physischen Glüdsmög lichkeiten der Ehe. Die Glücksmöglichkeit fann aber nur 6 voll ausgenußt werden, wenn beide Teile gleich befriedigt werden, wenn außerdem Befriedigung des Geschlechtstriebes nicht gleichbe deutend gesetzt wird mit der Ber pflichtung der Erzeugung von zahl­reicher Nachkommenschaft. Das eine tönne geschehen mit vollster ethischer Berechtigung, ohne daß das andere die Folge sei, sobald die notwendige Aufklärung über Geburtenverhütung und Geburten. regelung in das Volk gebracht werde und bie Verhütung mit natürlichen und hygienischen Maß nahmen, die ausführlich besprochen find, durchgeführt werde. Mit scharfen Waffen zieht der Verfasser gegen die althergebrachte christ liche Moral" zu Felde, die den Körper und die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse als Böses und Sünde" ansieht, eine Anschauung, die erst später die Kirche als christliche Meinung lehrte, so daß wir heute soweit sind, um mit einem Wort Keyserlings zu reden, daß die meisten Abendländer auf Grund christlich asketischer Vererbung den Sinn der Ehe als berechtigte Erfüllung sonst sündhafter Wünsche verstehen". Was für eine Welt von Mudertum enthüllen diese Worte. Geist und Leib sind gleich gut, die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ist weder schlecht oder gut an sich, sie werden es erst dadurch, wenn man damit anderen Men schen Schmerz und Unrecht, oder Freude und Liebes zufügt. Run gibt es aber faum eine andere Bindung im Menschen­leben, in der einem anderen soviel Freude und Befriedigung gewährt werden fann als in der Ehe. Freude schenken ist wahre Moral, während es die heutige unmoralische Gepflogenheit ist, nicht nach der Erfüllung der inneren Ehe bedingungen, sondern nach der Korrektheit des äußeren Apparates bei der Eheschließung zu fragen; der Höhepunkt der Unmoral ist die Vernunftehe".

Bruno Schönlant,

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Trauungszeremonien sind nebensächlich, das Entscheidende ist die Liebe; nicht zusammenpassende Baare sollen sich mög