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Wenn allgemein der Roman zeigen will, baß ber Glaube an den Besitz überaltert ist, so ist sicherlich besonders veraltet die Auffassung Dom Besizrecht des Mannes an der Frau, die auch das deutsche  Bürgerliche Gesetzbuch   in seinen verschiedenen Ehebestimmungen noch zeigt. Das ist der Grund, weshalb die Frauen aller Kreise mehr oder weniger eine Erleichterung der Scheidungsbestimmungen for bern. Auch im Hinblick auf diese Tatsache ist die Lektüre des wunder­vollen englischen Romans nachdrücüchst zu empfehlen.

Henni Lehmann  .

Tragödie der Verlassenen.

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Da tam bie Stubenältefte, eine schlanke, blaffe Frau in den dreißiger Jahren und setzte sich zutraulich der Neuangekommenen gegenüber, fie neugierig fragend:

Wat haben Se jemacht? jespritzt, jeftifft oder Jepieft?" Ber ständnislos starrt die Gefragte der jo ted Fragenden ins ironisch lächelnde Geficht. Doch dle läßt sich nicht verblüffen und meint geringschätzig:

Nu haben Se sich man nicht so, wir haben alle betselbe jemacht, hler sind Se bei de Abtreiber und Se habens ooch jemacht, haben hinjefaßt, wo Se nicht hinfassen sollten!"

Die so Zurechtgewiesene schlug aufschluchzend beide Hände vor's Gesicht, die Arme auf den Tisch stützend, und weinte bitterlich. Mit­leldig ging die junge Hebamme zu ihr, um sie zu trösten und verwies freundlich aber bestimmt der Stubenältesten ihr frivoles Gerede. Eine bange Stimmung überfiel alle Anwesenden und eine bleiche ganz weißhaarige Frau murmelt vor sich hin:

In der Abenbausgabe vom 3. März berichtete ber Vorwärts" Don bem Attentat der Ilse Biendl auf den Direktor Grau, bei dem dieser und sein Chauffeur schwer verwundet wurden, und ihrem nachfolgenden Selbstmordversuch, dem die Unglückliche inzwischen er­legen ist. Das Motiv der Tat nicht Eifersucht im landläufigen Sinne enthüllt in erschütternder Weise die seelische Silfuff! losigkeit der verlassenen Frau. Der Bruber der Toten stellt uns den letzten Brief der Schwester zur Verfügung, aus bem wir wegen der typischen Bedeutung dieses Falles für Taufende von ähnlichen das Wichtigste wiedergeben.

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Sieben Jahre hatte das Verhältnis gedauert, und viermal hatte die Biendl ein Kind empfangen, das sie gegen ihren Billen, nach heftigen Auseinandersehungen mit dem nur auf Genuß und Echein bedachten Manne hatte abtreiben müssen.( Verfechtern der uneingeschränkten Abtreibungsfreiheit sollte dieser typische Fall zu benten geben!) Aufs bitterste in threr Mutterhoffnung betrogen, in ihrer Gesundheit geschädigt, wird die Frau von bem ihrer Ueberbrüssigen achtlos beiseite geworfen. Aber sie denkt gar nicht mehr an eine Heirat, fie verachtet die Niedrigkeit des Mannes, fie will von so einem Schuft" auch fein Gelb mehr, bas vielleicht auch nicht auf sehr saubere Weise zusammengekommen ist. Nur für einen Monat will fie noch über Waffer gehalten werben, um die Miete zahlen zu können, um vor dem Hunger geschützt zu sein. Das Geld bleibt aus, und so tommt es zur Berzweiflungstat.

Mütter, hört die Warnung, die in den Worten ber Unglüd­feligen liegt: hätte ich was gelernt.. dann würde ich mich in die Arbeit hineinstürzen." Erzieht eure Töchter nicht einseitig für den Mann und für die Ehe, gebt ihnen eine neue Einstellung zum Leben, so daß sie ihre Erfüllung auch in finnvoller, befretender Tätigkeit finden, und etwaige Enttäuschungen in ber Liebe anders und positiver beantworten, als die zum Objekt männlicher Brutalität herabgewürdigte Frau alten Stils. H. G.

Bei den Abtreibern".

II.

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,, Se ist die Dreizehnte, wenn je sich bloß nicht noch uffhängt!" Die Stubenälteste zog sich beleidigt zurück: Dann hängt se fich Hier hat sich schon manche uffiehängt oder Glas jefreffen. Eine andere stieß die so herzlos Redende in die Seite: Sel boch still! Du weißt ja noch gar nicht warum sie weint, Du bist aber auch gleich zu drastisch!"

Noch eine andere trat zu den beiden, die Schluchzende mit fun­felnden Blicken messend:

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Geht ihr denn nicht? Dett ist eene janz Feine, det de Ober ufffeherin die ooch mang uns jestoppt hat." Und eifrig steckten fie die Köpfe zusammen und tuschelten, hin und wieder die Weinende beobachtend, die plöglich energisch ihre Tränen trocknete und ihr blaffes, verweintes Gesicht der Stubenältesten zuwendend: Sie brauchen nicht denken, daß ich Ihnen etwas übel genommen habe, ich mußte an meine unglücklichen, verlassenen Kinder denten, beshalb mußte ich weinen. Auch Sie brauchen nicht denken, daß ich mich aufhängen werde, trotzdem ich hier die Dreizehnte bin, das würde ich meinen Kindern nicht antun; übrigens," fügte sie scherzhaft hinzu, ,, war dreizehn immer meine Glüdszahl!"

Die Frauen famen wißbegierig, doch freundlich näher, und fetzten sich um den langen Tisch und nun begann ein eifriges Fragen und Erzählen. Die Grubenälteste holle   von der Heizröhre einen großen Krug Kaffee und aus ihrem Schräntchen Kuchen. Auch ein paar andere holten Kuchen herbei und alle gaben eifrig der Neuen Don ihrem Ruchen ab, man war schnell wieder versöhnt, da die doch auch nur eine Unglückliche war wie sie alle selbst, und eine nach der anderen erzählte zum soundso vielten Male ihre Leidens geschichte. Dann wurde die Neue noch eingeweiht in bie Ber  hältnisse des Hauses da läutete es zur letzten Mahlzeit der Abendsuppe es war 4% Uhr nachmittags.

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Eine Stunde später läutete es abermals, nun wurden die Ges fangenen in den Schlaffaal geführt. Eine, neue, furchtbare Ueber raschung stand der Neueingelieferten bevor. Sie befand sich mit einem Male in einem großen, düsteren Raum, in dem zwanzig Eisenblechläften standen. Diese Kästen waren zwei Meter hoch und eineinhalb Meter breit und zweieinviertel Meter lang.

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Die Borderseite war eine Drahtgitterwand, ebenfalls der Deckel bes Kastens. Diese Eisenblechbrahtkästen glichen den Transportfästen der wilden Tiere bes 3oologischen Gartens und waren für Menschen ein ganz unwürdiger, gemeiner und ungesunder Aufenthalt für die Nacht! Wenn diese Kästen um ben unwürdigen Aufenthalt zu mildern noch mit weißer Farbe ange ftrichen wären, aber sie waren in einem büfteren Grau gehalten bas Militärgrau der Stahlhelme und wurden nachdem fede Gefangene ihren Raften betreten mit schweren Riegeln verschlossen. In diesem Martertasten für die Nacht befand sich ein schmales Bretterbett, ein Schemel, ein Wafferfrug und ein Zinteimer, bem ein intensiver Harngeruch entströmte.

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Da tritt die Stubenältefte auf die Neuangekommene zu: Nu machen Sie man nicht son böset Jesicht, wir tun Ihnen nischt, tommen Se man ran an Tisch! Hier haben Se eenen Schemel, da ſetzen Se fich druff und hier haben Se eenen Leffel! und hier auf einen Schrank zeigend haben Se Ihren Wandschrank, hier ist Ihr Kaffee­becher und Ihr Butternapf briun, bet Faß Butter müssen Sie sich Ichiden lassen! Dann holt sie geschäftig einen braunen Eßnapf mit einem Brei von undefinierbarer Farbe von den Heizröhren und fegt ihn mit einer ermunternden Aufforderung zum Effen der stumm auf ihren Ghemel vor sich hin Schluchzenden vor: Nu essen Ge man! det is jemischtet Jemüse", bet Kotelett tommt noch!" Ber­wundert schaut die Neue auf, als fie die Verheißung von dem Rote lett hört. Da es Sonntag ist, glaubt sie an die Kotelettverheißung, fann sich aber nicht entschließen, den Brel anzurühren und hoffte auf bie stärkende Wirkung des verheißenden Koteletts. Doch der geblich wartete sie auf die gewünschte Fleischstärkung) und als fie bescheiden bemerkte, daß das Kotelett doch vielleicht vergessen worden fet, erfcholl ringsum wieherndes Gelächter und nun wurde der Wartenden tlar, daß man sie schmählich gefoppt hatte. Doch die Stubenältefte ging zu ihrem Wandfchrant, holte daraus eine Schnitte Brot und ein taltes, gebratenes Kotelett, teilte es in zwei Hälften und reichte die eine Hälfte gutmütig der Gefoppten, mit der liebenstraße belegt waren. Die Bettwäsche war frisch und sauber. würdigen Bemerkung: Nun foll'n Se aber noch wirklich een Stüdchen Kotelett haben, ich habe jestern een Balet bekommen, det hat meine Tochter jebraten. Wir teilen uns hier immer allet und nun machen Se man een andres Jesicht, det ist allet nicht so schlimm." Befangen, doch dankbar nahm die so gütig Beschenkte ble Fleisch­gabe entgegen, hatte sie doch felt drei Tagen, während der Inhaftie­rung auf dem Polizeipräsidium. nichts gegessen. Das Verzehren der flcinen Fleischspeise hatte der fast Berzagenden wohl neuen Mut ein­geflößt, denn nun wagte sie es, fich ihre Mitgefangenen anzusehen und fand ringsum freundliche, liebenswürdige Gefichter.

Es waren meistens ältere Frauen, schon über die Fünfzig hinaus, mit weißen Haaren und verhärmten Gesichtszügen; nur eine ganz junge Hebamme hielt sich etwas abseits von allen und schaute mitleibig und verständnisvoll auf die Neueingelieferte.

*) Der Zeitpunkt der in dieser Stizze geschilderten Begeben heiten war Herbst 1924; zu dieser Zeit gab es noch teine besonderen Fleischgaben. Erst im März 1925 hatte sich die Beföftigung der Unterfuchungsgefangenen durch besondere Fleischzulagen bedeutend

gebeffert.

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Die älteren Frauen waren ängstlich bedacht, baß auch ja nicht für die Nacht die Fensterflappen offen bleiben sollten, fie waren bie Bestluft schon gewöhnt wie eine Ziege den Duft ihres Stalles. Die neueingelieferte, unglückliche Frau fant mit einem Wehlaut auf die Bretter ihres Bettgestelles, die mit einer, ebenfalls unangenehm riechenden, dünnen Ma

Schwer legte sich ihr der Bestgeruch dieses Rau mes auf die mühsam atmende Bruft und immer wieder starrte sie zum Gitterbedel bes Raftens empor- narrte sie ein Sput- ein entfeglicher Traum? War es wirkliche Wirklichteit? Daß im 20. Jahr. hundert die armen Gefangenen gänzlich aller Menschenwürde enttleibet für die Nacht wie wilde Raubtiere in enge Eisenblechtäfige einge [ perrt wurden? Ja, es war bittere Wirklichkeit und vergebens findet man eine Antwort auf die quälende Frage: Barum?

Doch wie auch die Menschen Qualen erfinnen für ihre Mit menschen, die erbarmende Nacht bringt doch einem jeden einige Stunden Bergeffens aller Qual, aller Reue und aller Leiben  .

Nur die Nacht ist barmherzig. Menschen sind es nur, wenn fie ihr eigenes zartes Gewissen beruhigen wollen.

Würde es bei den Menschen echte Barmherzigteit geben, bann wären diese Menschentäfige aus Draht und Eisenblech aus den Schlaffälen der Gefängnisse längst verschwunden.

Fanny Hoffmann.