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achtens zu heftigen Rämpfen innerhalb der Familie: die Cheanwärter beständen auf der Heirat. Manchmal war es auch schon zu spät, dem Beschlusse, zu heiraten, entgegenzutreten.

Wozu führte aber die Nichtbefolgung des ärztlichen Rates, von der Heirat abzusehen? Die Zahlen reden hier eine geradezu ver= nichtende Sprache. 30 Proz. folcher Ehen wurden ge­schieden oder für nichtig erklärt. In weiteren 8 Proz wurde die Scheidung allein dadurch überflüssig, daß einer der Gatten starb, die gefeßlichen Voraussetzungen für die Scheidungsklage lagen auch da vor. In 28 Proz. weiterer Fälle, in denen laut Gesetz eine Scheidung möglich gewesen wäre, wurde aus verschiedenen Gründen von einer Klage Abstand genommen. Aber auch die übrig bleibenden 34 Proz. waren durchaus keine Musterehen. Auch da gab es größtenteils Schwierigkeiten sozialer Natur. Es würde zu weit führen, all die Verhältnisse zu schildern, unter denen die Ehen litten. Die Streit- und Herrschsucht der Eheleute. die Neigung zu Mißhandlungen, die Unordnung in Geldsachen, die gesteigerte Sinn­lichkeit in Verbindung mit der Unfähigkeit die Treue zu bewahren, die allzu große Empfindlichkeit und Weichlichkeit, der nüchterne Egoismus und die Verschrobenheit, die das Zusammenleben für die Dauer unmöglich machte; bei den Hysterischen ihr launenhaftes Wesen, die Neigung zur Lüge und zum Schauspielern, das Geltungs­bedürfnis und ein oft so stark ausgeprägter Egoismus, daß das Zu­sammenleben zur Hölle wurde usw., usw. Daß Serualfragen in diesen Ehen Schwierigkeiten machen, liegt ja auf der Hand. Professor Hübner ist der Ansicht, daß bei Alkoholikern und Morphinisten stets Don einer Ehe abgeraten werden müsse und daß bei Epileptikern be­sondere Vorsicht geboten sei

Und wie sah es mit der Nachkommenschaft dieser psychisch minder­wertigen Persönlichkeiten aus, die an und für sich schon geringer ist als bei gefunden Eheleuten? Während die Kinder der Normalen nur 10 Proz. Minderwertige aufweisen, zeigen die Kinder der psychisch Defekten und Nervösen 16 Proz.

Professor Hübners Tatsachenmaterial beweist nur aufs neue, wie notwendig es ist, vor der Ehe nicht allein das Herz, sondern gewissermaßen auch den Verstand und die Nerven prüfen zu laffen. Für den Kriminalisten aber ergeben sich aus diesen Zahlen auch äußerst interessante Folgerungen.

Die Mahnung einer Toten.

L. R.

Unter den Frauen, die, ehe noch eine proletarische Frauen­bewegung mit der sozialistisch begründeten Forderung der völligen Gleichberechtigung der Geschlechter nachhaltig einsehen konnte, schon wirkungsvoll für die Befreiung der Frau eingetreten sind, ragt in neuerer Zeit Gonja Kowalewski hervor. Und zwar, wei! sie dem billigen Zweifel der bürgerlichen Männerwelt eindrudsvoll bewiesen hat, wie sehr auch ein Frauenhirn befähigt ist zu höch= ster wissenschaftlicher Leistung, wenn nur der Frau der Weg zu geiftiger Betätigung freigegeben wird.

Sonja Kowalewski hat diesen Weg sich noch unter entwürdigen­den Umständen mühselig selbst bahnen müssen. Die russische Gene­ralstochter hat ihre längst erkannte, hervorragende mathematische Begabung nur dadurch zur Vollendung ausbilden können, daß sie eine Scheinehe mit einem Studienkameraden einging, um so mit ihm Rußland verlassen zu können und in Berlin in dem berühmten Pro­fessor Weierstraß den einzigen Lehrer zu finden, der sie noch etwas lehren konnte. Als seine größte Schülerin, die des Meisters be­deutsame Arbeiten in seinem Geiste fortführte, wurde sie später von Paris als Professor der Mathematik an die Stockholmer Universität berufen

Ihr Eintreten für Frauenrecht und Freiheit fand in bürger­lichen Kreiſen nun hauptsächlich deshalb Beachtung, weil sie wissen schaftliche Leistungen vollbracht hatte, wie sie auf dem schwierigen Gebiete der höheren Mathematik nur wenige Männer aufzuweisen vermögen. Wie flar aber die berühmte Frau über solch bewunderte, rein fachwissenschaftliche Erfolge gedacht hat angesichts der großen Aufgabe des Sozialismus, geht aus einem in deutscher Sprache geschriebenen Briefe aus Paris vom 5. Mai 1882 hervor, den das Parteiarchiv der deutschen Sozialdemokratie zusammen mit anderen Briefen ihrer Hand in seinen Schäßen birgt. Was Sonja Kowa­ lewski schreibt, ist auch heute noch eine Mahnung für alle abseitigen Intellektuellen, für alle unpolitischen" Geistesarbeiter. Deshalb sei dieser Brief wenigstens auszugsweise der Vergessenheit entrissen. Sonja Kowalewski schreibt:

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" Ich glaube wirklich, daß bei den jetzigen Verhältniffen eine ruhige bürgerliche Eristenz einem ehrlichen und denkenden Menschen nur unter der Bedingung möglich ist, daß er absichtlich die Annen zuschließt und, auf alle menschlichen Beziehungen zu anderen Men­schen verzichtend, fich nur mit aanz abftratten, rein wissenschaftlichen Intereffen abzugeben bereit ist. Dann muß man aber auch jede Berührung mit dem wirklichen Leben auf das sorgfältigste ver­meiden; sonst wird die Empörung über die Ungerech tigkeit, die man überall sieht, so groß, daß alle anderen Inter­offen dem Interesse des großen, vor unseren Augen sich abspielenden ökonomischen Kampfes gegenüber verblassen müssen, und die Ber­fuchung, felbft in die Reihen der Kämpfenden hineinzutreten, zu Start wird. Bis jetzt habe ich felbft flets, das erstere netan. Nun aber, feit den lekten fünf Monaten, die ich in Paris verlebt habe, mit den Sozialisten der verschiedenen Rationalitäten in engeren Ver­fehr getreten bin ist es ganz anders mit mir geworden. Die

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Aufgaben des theoretischen Sozialismus sowie auch Grübeleien über die Mittel des praktischen Kampfes dringen sich mir so unwider­stehlich auf und beschäftigen mich fortwährend, daß ich mich wirklich nur mit Mühe zwingen fann, meine Gedanken auf meine eigene, dem Leben so fernstehende Arbeit zu fonzentrieren. Ja, nicht selten bin ich von dem peinlichen Gefühl überwältigt, daß das, worauf ich mein ganzes Denten und alle meine Fähigkeiten gerichtet habe, nur so einer kleinen Anzahl von Menschen irgendwelches Interesse bieten fann, während doch jezt jeder Mensch verpflichtet ist, seine besten Kräfte der Sache der Menschheit zu widmen

Dieser legte Sah ist besonders eine Mahnung an alle Frauen, die nicht wie Sonja Kowalewski durch eine Fachaufgabe fast qualvoll gefesselt find, mitzuarbeiten an dem großen Werk der sozialistischen Befreiung der Menschheit und damit ihres Geschlechtes. Hanns H. Kamm.

Der starke" Vater.

Ein Ausspracheabend über das Thema Prügelstrafe". Besser als alle nachdenklichen Erwägungen flärte ein Beispiel die Erörterungen.

Eine Schulfreundin erzählte: Eines Sonntags wollte mein Mann einmal besonders gute Zigarren rauchen, weil er die ver gangene Woche viel gearbeitet und gut verdient hatte. Er gab unserer Kleinen einen Fünfziger und schickte sie zum Raufmann. Die Kleine stürmte voller Freude les, weil sie gern für ihren Vater Wege geht. Sie blieb aber diesmal mächtig lange fort. Endlich fam sie an. Die hellen Tränen fullerten ihr über die Wangen Sie hatte das Geld verloren.

Mein Mann war durch das lange Warten schon etwas ärgerlich geworden. Als er nun aber erst das Unglück erfuhr, geriet er in helle Wut. Ohne zu überlegen griff er zum Stock und verhaule das Kind jämmerlich, so daß ich dazwischenspringen mußte.

Einige Wochen später hatte mein Mann Sonntags wieder feine Zigarren. Damit ihm mit der Kleinen nicht wieder dasselbe Unglüc geschehen könne, gina er selbst, die kostbaren Glimmstengel zu kaufen. Er nahm sich eine Mark mit.

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Nach kurzer Zeit fam er mißgestimmt wieder und fragte mich, ob ich nicht die Mark gefunden hätte. Er hatte sie beim Heraus­gehen in die Tasche gefteckt, und nun war sie weg. Da er sie in die Westentasche gesteckt hatte( natürlich vorbei!), war sie wohl vcm Rock noch eine Weile festgehalten worden und dann unter­wegs auf die Erde gefallen.

Jedenfalls war das Geld meg. Ich guckte meinen Mann an und sagte: Eigentlich müßtest du doch nun von deiner Tochter die felben Prügel erhalten, die du ihr damals verabsolgt hast!"

Darauf erwiderte er gar nichts, drehte sich um und ging in den Garten. Er hat aber seit dieser Zeit unser Mädchen nicht wieder geschlagen.

Das ist ein feines Beispiel für den Prügelvädagogen, der in seiner Wut nicht überlegt, welche Gründe das Kind zu dieser oder iener Tat veranlaßten, sondern für sich einfach das Recht des Stär teren in Anspruch nimmt und prügelt. Er bedenkt aber nicht, daß dieses vermeintliche Recht in der Erziehung ein Unrecht ist und in dem Kinde jedes Vertrauen zum Erzieher abtöten muß.

Was hätte der Vater im ersten Falle vielleicht tun können? Er mußte vor allem untersuchen, ob Fahrlässigkeit oder ein unglück­licher Zufall vorlag. In diesem Falle traf das letztere zu. Der Vater hätte dem Mädchen nun sagen können, daß in Unbetracht seiner ge schmälerten Raffe er mun nicht in der Lage wäre, das Versprechen auf Erfüllung dieses oder jenes Wunsches einzulösen. Das Mädchen müsse sich eben gedulden, bis der Vater wieder Geld dafür hätte. Das Kind würde von selbst daraus den Schluß folgern, daß es das nächſtemal etwas vorsichtiger mit dem Gelde umgehen müſſe. Hauert.

Neue Grußformen in der Türkei .

Vor dem Kriege durfte man in der Türkei eine türkische Frau auf der Straße nicht grüßen. Selbst unter den Jung­ türken begrüßten sich zwei Freunde nicht auf offener Straße, wenn fich einer von ihnen in der Begleitung seiner Frau befand. Später aber wurde diese Sitte dahin abgeändert, daß die beiden Freunde sich nicht nur begrüßten, wenn der eine von ihnen sich in der Ber gleitung seiner Frau befand, sondern sich auch unterhalten durften, wobei die Frau sich dann in einiger Entfernung aufhielt. Der Freund durfte dann aber nicht in der Richtung sehen, in welcher die Frau stand. Diese Nichtbeachtung galt als besondere Ehr bezeugung der Frau gegenüber, weil man dadurch zum Ausdruck brachte, daß man ihr nicht näherzutreten waate. Durch die Ab schaffung des Schleiers find natürlich diese Rücksichten" in Weg­fall gekommen, doch scheinen Zweifel darüber zu bestehen, welcher Weise man jetzt die Frau begrüßen soll. Man streitet u Temenni, den alten türkischen Gruß, bei welchem man die Hand vom Herzen zur Stirn erhebt oder um neuzeitlichere Be­grüßungsformen. In vielen Fällen reicht man heute in der Türkel der Frau auf der Straße die Hand. Für diese Begrüßungsform wird zurzeit eine starke Propaganda gemacht. Man erklärt, daß dies keine bloße Nachahmung Europas sei, wie viele vermuteten, sondern daß es sich um eine alte türkische Gitte handele, die nach Europa gekommen sei. Noch heute würden in Zen­ tralasien z. B. und anderen türkischen Gegenden getroffene Ber einbarungen durch Handschlag besiegelt.

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