GrunüsoHe ö-In der Zeit der VerfassungskämPfe im Jahre 1913 wares unmöglich, wenn man nicht die Einheit Deutschlands aufsSpiel setzen wollte, reine Weltanschauungsfragen, wie sie sichaus der Verschiedenheit der Bekenntnisse und der Stellungzur Religion unter den Deutschen ergeben, aufzurühren.Man hätte dadurch die Gefahr der Loslösung gefährdeterGebiete des Rheinlands. Bayerns, Oberfchlesiens vergrößert.Aus dieser Lage erklärt sich der S ch u l k o m p r o m i ßder Reichsverfassung, und zwar sowohl seine wertvolle posi-tive Seite als auch seine Selbsteinschränkung. Wenn derArtikel 146, 1 der Reichsverfassung festlegt, daß weder diewirtschaftliche Lage noch das Religionsbekenntnis der Elternbestimmend dafür sein dürfen, welche Schule ein Kind besucht,so bedeutet dieser wesentliche Grundsatz der Verfassung nichtsanderes als den Willen der Nation und ihrer Vertreter, eineiniges Volt zu bilden, die Gegensätze zu überbrücken undweltanschauliche Fragen der geistigen freien Entscheidungdes einzelnen zu überlassen.Ganz auf demselben Boden stehen die Bestimmungender Verfassung, nach denen jeder Lehrer das Recht hat, denReligionsunterricht niederzulegen und sich von denkirchlich-religtösen Schuloeranstaltungen zurückzuhalten: unddie zweite entsprechende Bestimmung, nach der die Elterndie Freiheit haben, ihre Kinder aus dem Religionsunterrichtabzumelden. Dem gleichen Wunsch entsprang auch die Be-stimmung, daß an der allen gemeinsamen Volksschule Reli-gionsunterricht gegeben werden müsse. Man überläßt es jadurch diese Bestimmung dem einzelnen und seiner freienEntscheidung, ob er daran teilnehmen will oder nicht.Freilich ist diese letzte Bestimmung schon nicht ungefähr-lich, da die Verfassung bestimmt, daß der Religionsunterrichtnach den Grundsätzen der Religionsgesellschaften gegebenwerden soll-, eine voreilige und über das Ziel hinausschießend«Auslegung dieses Grundsatzes war es, daß die Kirchen darauf-hin forderten, daß sie allein das Recht hätten, festzustellen,ob dieser Religionsunterricht ihren Grundsätzen entspricht.Damit haben die Kirchen unrecht. Ihre Lehren sind tofnGeheimnis. Sie stehen in ihren Bekenntnisschriften, sie sinddurch Work und Schrift jedem Gebildeten zugänglich. Undder Staat ist sehr wohl imstande, darüber zu wachen, daß dieKinder nicht wider ihren oder der Eltern Willen andersunterrichtet werden als die Kirche lehrt. So aufgefaßt bleibtauch diese Bestimmung erträglich.Schwerer konnte man sich damit abfinden, daß imArtikel 146, 2 eine Ausnahme von der Regel— der Volksschule für alle Kinder des Volts— gemacht wurde. Dortwird nämlich bestimmt, daß innerhalb der Gemeinden auchBekenntnisschulen oder weltliche, d. h. bekenntnisfreie Schulen,errichtet werden können, und daß dabei der Wille der Er-ziehungsberechtigten möglichst zu berücksichtigen ist. Manlese in Heinrich Schulz' interessantem Buch„Der Leidenswegdes Reichsschulgesetzes" die Gründe dieser unerfreulichenBestimmung nach. Dort wird man auch die Erklärung dafürfinden, daß schließlich im Artikel 174 der Verfassung dieganze Durchführung dieser Bestimmungen oerschoben und anein Reichsschulgesetz gebunden ist.Für jeden logisch denkenden Menschen— ich habe immergefunden, daß die Frauen der Logik ebenso leicht zugänglichsind wie die Männer— steht also fest, daß die Regel für diedeutsche Schule die Gemeinschaftsschule. für alle ist. FürBerufsschulen, mittlere und höhere Schulen läßt die Verfassungr Volksschule.auch keine einzige Ausnahme zu. Für die Volksschule gestattetsie eine Ausnahme.Aber doch nur eine Ausnahme!In einer Gemeinde, in der es keine Regelschule, d. h.keine Simultanschule gibt, darf natürlich auch keine Aus-nahmefchule existieren. Das ist der Sinn und der Wille derGesetzgebung. Im kleinen Dorf gehören alle Kinder zu-sammen, damit ein geordneter Schulbetrieb entsteht. Geradediesen geordneten Schulbetrieb schützt die Verfassung bewußt.Sie erlaubt Antragsschulen für Bekenntnisse oder Welt-anschauungen nur, wenn dieser geordnete Schulbetrleb er--halten bleibt.Das Reichsschulgesetz ist nur dann der Verfassung ent-sprechend, wenn es genau umreißt, wann diese Ausnahmenmöglich sind. Eine Gemeinde darf nur dann eine Ausnahme-schule errichten, wenn Kinder oder Eltern berechtigtenGrund haben, sich in der Regelfchule ihrer Gemeinde inweltanschaulicher Hinsicht geschädigt zu fühlen. Das müssecksie nachweisen. Und da die Verfassung auf Duldung Anders-denkender aufgebaut ist, muß zuerst der Versuch gemachtwerden, solche Schädigungen auszuräumen. Es darf keinLehrer Andersdenkende oder in anderen Anschauungen er-zogene Kinder verletzen, und er muß es auch hindern, daßdie Schulkameraden unter sich das tun. Erst wenn dieserVersuch erfolglos bleibt, darf eine Ausnahmeschule, eine'Bekenntnisschule errichtet werden. Aber auch nur dann, wennnicht etwa oas System der Regelschule verkürzt wird.Gerade auf diesen Punkt müssen wir Mütter den großenWert legen. Unsere Kinder brauchen im Lebenskampf einereiche Bildung. Es ist ein innerer Widerspruch, daß wir inDeutschland, wo wir nichts so nötig haben wie eine hoch-entwtckelte geistige Schulung unseres gesamten Voltes, damitwir uns wirtschaftlich überhaupt halten können, noch Tausendevon einklassigen Schulen besitzen. Die Verfassung macht denWeg frei zur Bildung leistungsfähigerer Schuloerbände, indenen man dann größere Schulsysteme aufbauen kann.Für unsere Mädchen hat das noch eine besondere Be-deutung. In der einklassigen Schule— im östlichen Deutschland auch in der zweitlassigen— fehlt neben dem Lehrer dieLehrerin, die seine natürliche Ergänzung sein sollte. WirFrauen aber wollen neben dem männlichen den weiblichenEinfluß auf unsere Kinder nicht vermissen. Darum ist füruns der Keudellsche Gesetzentwurf völlig unmöglich. DiesepKeudellsche Gesetzentwurf läßt die Gemeinschaftsschule für alleganz unter den Tisch fallen, wenn er sie auch mit Worten alsgleichberechtigt neben der Ausnahmeschule hinstellt. Er zer-reißt unser gesamtes Schulwesen, trennt deutsche Kinder nachden Bekenntnissen ihrer Eltern, was ja so unnatürlich fürsikindliche Leben ist wie nur möglich, entfacht einen Kampfum die Weltanschauung zwischen den Eltern des Proletariats»den gerade die arbeitenden Schichten niemals brauchenkönnen.Freilich rechnen die Verfasser dieses Gesetzentwurfs ganzbesonders auf die Frauen. 40 Eltern sollen ja schockgenügen, um eine Antragsschule einzurichten. Man hofft.daß man leicht in jeder Gemeinde 40 ängstliche Frauen mitHölle und Teufel wird schrecken können, damit sie solche An-träge unterschreiben. Wir aber wenden uns nicht an dieentmutigten und verängstigten, sondern an die klar undgerecht denkenden Frauen. Sie werden erkennen, daß wirnur durch Festhalten an den Verfassungsbestimmungen, durch