Die verbitterte Ehefrau schreibt:
11
Auf den Artikel in der Frauenstimme" vom 10. November 1927 ,, Wege und Irrwege der Liebe" Nr. 1 möchte ich Ihnen folgendes
antworten.
Sie berichten von einem Fräulein, welches von einem verheirateten Manne das vierte Kind unterm Herzen trägt. Sie nehmen ein Weib in Schuh, welches wohl unmöglicher schmußiger handeln fonnte, wie sie es getan. Sie nehmen einen Mann in Schuß, welcher ebenso schmugig handelte wie seine Gellebte, und verdammen die Ehefrau, welche sich in hartnäckiger Verbitterung nicht scheiden laffen will, und Sie felbft( Eheberatungsstelle) wollen noch zur Trennung mithelfen! Ist das fozial gedacht und gehandelt? Können Sie nicht verstehen, was es heißt, von einem Manne betrogen werden, den man doch mal innig gebliebt hat. Den fie schließlich noch liebt, aber nicht mehr achten fann, infolgedessen die Liebe unterdrückt. Schame tofer und unfozialer fann wohl kein Weib handeln, als Frauen dieses Schlages, welche das Eheolüd anderer zerstören, und schamlofer fein Mann wie dieser. Wiffen Sie auch genau, weshalb die Ehe unglücklich ift? Haben Sie auch die verbitterte Ehefrau nach dem Grund gefragt. Ich bin sicher nicht fleinlich, aber eine fo erbärmliche Handlungsweise werde ich nie entschuldigen, und wie ich denke, so denkt jedes ehrliche Weib. Es gibt genug ledige Männer, macht eure verheirateten Schwestern nicht unglücklich. Auf diesen Artikel antworte ich nur, weil ich ehrlich erstaunt bin. daß Sozialisten derartige Menschen noch in Schuh nehmen. Der Mann fegt vier Kinder in die Welt, nennt zwei Frauen sein eigen, und weiß, daß er sie nicht ernähren kann. Ein feiner Charakter! Eine Borwärts" Leferin.
Antwort.
Daß jedes ehrliche Weib" so denkt, wie die Berfafferin dieser Sufchrift, ist nicht anzunehmen. Es ist freilich furchtbar schwer, zumal für die ältere Frauengeneration, aus der rein bürgerlichen Bewertung der Ehe herauszukommen. Was ist für den Sozialisten die Ehe, was soll sie einst sein? Doch nicht mehr eine tote Form, die auf der Grundlage der ökonomischen Intereffenge. meinschaft um ihrer selbst willen erhalten wird, sondern eine Gemeinschaft, die täglich und ftündlich ihre inneré Lebenskraft in der innigen Seelenverbundenheit der beiden Partner neu zu erweifen hat. Wo das nicht mehr vorhanden ist, ist die Form wertlos geworden, ist die künstliche Aufrechterhaltung der Ehe unjittlich. Wir müssen endlich einmal loskommen von dem veralteten Schuldbegriff, wir dürfen nicht mehr nach Schuld" auf einer Seite fuchen, sondern müssen die Tatsache des Sichauseinanderlebens als eine Gegebenheit hinnehmen. Durch das Jawort vor dem Standesbeamten wird nach unserer Auffaffung tein lebenslängliches Besizrecht auf den anderen Menschen begründet.
"
er
Wenn also, wie in dem geschilderten Falle, die Ehe innerlich brüchig geworden ist, der Mann( oder die Frau) bei einem anderen Menschen seine Heimat gefunden, mit diesem eine Familie gegründet hat, so ist es durchaus unsittlich von dem anderen Ehepartner, ihn an der Schlinge der Baragraphen lebenslänglich zu fetten. Mag sich der andere auch noch so unschuldig an dem Bruch fühlen, muß in einem solchen Falle vor den Tatsachen welchen. Hier spielt natürlich das finanzielle Moment eine große Rolle, und die durch jahrelange Haushaltsarbeit dem Berufsleben entfremdete oder zu alt gewordene Ehefrau darf nicht plötzlich und unvorbereitet dem Nichts gegenüberstehen. Hier müßte, abgesehen von aller Schuld". untersuchung, eine gesetzliche Regelung getroffen werden.
Daß es genug ledige Männer" gibt, ist ein großer Irrtum der Berfasserin. 14 Millionen Männern im heiratsfähigen Alter stehen heute 20 Millionen Frauen in diesem Alier gegenüber. Der Krieg hat für unsere Generation von Staatswegen Zustände geschaffen, die awangsläufig viele Menschen zum Ehebruch" treiben, auch ein Grund, derartige ,, Bergehen" als Sozialist milder zu betrachten.
Aus der Praxis der Eheberatung.
IV.
-
5. S.
Schon öfter überraschte uns die Duplizifät oder die ähnliche Lagerung zweier Fälle, die im Berlaufe einer Sprechstunde zutage traten. So auch jetzt, als wiederum ein junger Mann hereintritt, der ähnliche Nöte offenbart. Er sieht derb und vollblütig aus, die Statur ist gedrungen und unterfeßt, er steht im Anfang der Zwanziger. Auch ihn will die natürliche Scheu vor der Frau als Beraterin erst den Mund verschließen ein seltsamer Gegensatz zu ein seltsamer Gegensatz zu der robusten Erfd einung . Aber unbeirrte Sachlichkeit führt auch diesem Fall zum Ziel. Er ist vom Drang des unbefriedigten Geschlechtes zur Onanie verführt worden und nun in großer Unruhe wegen etwaiger gesundheitlicher Schädigungen, die törichte populäre" Schriften und Legitonweisheit manchmal gar nicht schwarz genug ausmalen tönnen. In diesem Punkte fönnen wir ihn mit gutem Gewissen beruhigen, allerdings unter Betonung des Standpunties, daß Selbstbefriedigung doch immer nur ein natur!
widriger Ersatz ist. Sie schädigt den Mengen jeeuch, indem fle ihn vereinsamt und egozentrisch macht, sie hat auch oft genug die zeitweilige Einbuße der Fähigkeit zum normalen Geschlechtsverkehr zur Folge. Durch weiteres Befragen stellen wir fest, daß der Befucher als Fleischer ein starker Fleischeffer ist, daß er auch seine törperlichen Kräfte nicht in den Mußestunden in gesunde sportliche Betätigung umjeßt. Wir machen ihn also auf die Fehler seiner Lebensweise aufmerksam. Mit der Möglichkeit zum normalen Geschlechtsverkehr steht es so, daß seine Braut, mit der er bereits verkehrt hat, gefühlstalt und abgeneigt ist, was sich nach einem künstlichen Abort noch verstärkt hat. Um mit der Heilung auch an diesem wichtigen Puntte einsetzen zu können, bitten wir um den Besuch des Mädchens. Gefühlstälte der Frau kann auf verschiedenen Ursachen beruhen und ist vielfach heilbar, be Jonders fann ihr durch Einsetzung eines Vorbeugungsmittels die gefühlstötende Angst vor neuer Schwangerschaft und neuem Abort genommen werden.
V.
Der nächste Fall führt mitten hinein in eine Ehetragödie unserer Tage. Eine troh körperlichen und seelischen Leidens immer noch hübsche und gefällig angezogene junge Frau offenbart den Zu sammenbruch ihrer vierjährigen Ehe. Aus sicherer und nicht schlecht bezahlter Tätigkeit heraus heiratet sie aus Liete einen jungen Mann, der nach ihrer Schilderung geradezu von erotischer Manie besessen sein muß. Richt allein, daß er sie, die infolge einer Eierftodentzündung- eine Folge eines vorehelichen Pfuschabortes- bet häufigem Berkehr Schmerzen empfindet, mit seiner unftillbaren Begierde und Rücksichtslosigkeit peinigt, hat sie allen Grund zur Bermutung, daß er sie von Anfang an betrogen hat. Sie fann faum mit ihrem Mann über die Straße gehen oder einen Tanzfaal betreten, ohne daß er vor ihren Augen mit Blicken und Worten erotische Beziehungen nach allen Seiten anzuspinnen fucht. Bor einer Entdeckung aber hat er sich bisher sorgfältig zu schützen ge wußt. Nunmehr aber glaubt die bedauernswerte Frau Unterlagen für Beziehungen ihres Mannes zu einer Prostituierten zu haten. Ein Schluchzen bricht aus ihrer gepeinigten Seele: wie gern wäre sie der unwürdigen Bande ledig, um wieder aus eigenen, noch un gebrochenen Arbeitsfräften sich ein neues Leben aufzubauen. Wir raten ihr dringend, sich so eingehende Unterlagen wie möglich für die Scheidungs klage zu beschaffen, sich ihrem Manne aus Gesundheits- und rechtlichen Gründen unter allen Umständen zu versagen und verweisen sie an den Rechtsanwalt, der sich für solche Fälle aus sozialem Mitgefühl uns zur Berfügung gestellt hat.
VI.
Als nächste betritt ein siebzehnjähriges, ungemein sympathisches und ansprechendes Mädchen das Zimmer, Typ eines ernsten, ringenden Mädchens der Jugendbewegung. Sie hat den weiten Weg von einem der äußersten Bororte zu uns gefunden. Zögernd und doch voll aufbrechenden Vertrauens berichtet sie uns ihren Kummer. Sie ist Kind freidenkender, moderner Eltern, die ihr Freundschaftsbündnis mit einem gleichstrebenden Jüngling gekilligt haben, die ihr gemeinsame Beranstaltungsbesuche und Wanderungen mit dem Freund großzügig erlaubt haben. Niemals in den drei Jahren find ihre Beziehungen über den Rahmen jugendlicher Kameradschaft hinausgegangen. Bis an einem warmen, bustschweren Sommerabend, da sie und der Freund träumend am Ufer eines Waldsees saßen, zwischen den beiden jungen Menschen die Liebe aufbrach. Die darauf folgende Berzögerung der Monatsregel des Mädchens bestärkt noch ihre Angst, daß etwas geschehen sein könnte. Zwar würden die Eltern sie nicht töricht verstoßen, aber die Enttäuschung freimütigen Vertrauens. die Schwierigkeiten in der Stellung des Mädchens als Stenotypistin wirken sehr bedrückend auf das junge Baar, das an Heiraten noch gar nicht denken kann. Bei der Beichte des Mädchens haben wir gleich unsere Zweifel, ob es bei der feelischen Berfassung dieser findlich unschuldigen jungen Menschen überhaupt zu etwas Ernsthaftem gefommen ist. Die Angst ift ja nerade bei so sensiblen Seelen leicht übertrieben. Verzögerung der. Monatsregel tritt oft ohne sonstigen Grund als eben aus dieser Angst heraus ein. Die ärztliche Untersuchung ergibt auch richtig: eine virgo intacta, eine unberührte Jungfrau. Ein harmloses Mittel zur Herbeiführung der Regel wird verschrieben, und strahlend verläßt uns das Mädchen, um zu dem ängstlich Hedwig Schwar harrenden Freunde zu eilen.
Eine 22jährige Stadträtin.
Die Gemeindewahlen, die Anfang November in Eingland stattfanden, brachten der Arbeiterpartei 128 Mandate. Unter den vielen Arbeiterfrauen, die in die Gemeinderäte entsandt wurden, befindet sich eine erst 22 Jahre alte Hausgehilfin, die in Bootle( Lancas shire) zur Gemeinderätin gewählt wurde. Sie arbeitet schon seit dre Jahren in der politischen Arbeiterbewegung. Sie wird ihren Beruf weiter ausüben, da ihr Arbeitgeber ihr Freizeit gewährt, um an den Gemeinderatssigungen teilzunehmen. Ihre Wahl versetzte der reaktionären Presse einen argen( itob Die hatte einen Romnf donoren neführt, das„ Backfische" das Wahlrecht bekommen