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es wirklich so arg, was mit mir gel beben ist? Da gehen funge Leute mit einem Kind und freuen sich und mir tit jo bang," tann bas lähmende Entfehen ringsum und in sich nicht mehr ertragen Als sie der Mutter beim Zeltungsaustragen hilft, öffnet sie im legten Hause ein Fenster im Treppenflur unb stürzt sich auf den Hof.

Dies geschehen in einer Zeit, in ber feruelle Genußgler Orgien feiert, in einer Stadt, wo Tausende von gnädigen Frauen" und Fräuleins den gefälligen, distreten Hausarzt ohne Rifito bemühen. Dort würgt der flammernde Paragraph Dort das unfelige Broletariertind, das ihm verfallen- ein symbolisches Sübseopfer für die linzähligen, bie feinen Fangarmen täglich und stündlich ent thiüpfen.

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Der Jagdhieb.

noch einmal gefagt sein: Das sicherste Mittel, euch eure Kinder su entfremden, ist ber Jagbhieb", ber zehnmal ungerecht ausgetelt wird, unb ber, wie ein Blig aus helterm Himmel, auf Gerechte unb lingerechte nieberfaust. R.%

Werthers Lotte.

Zum 100. Todestage von Charlotte Refiner am 16. Januar

Charlotte Buff  , bie Tochter des Deutschordens- Amtmanns Buff in Beglar und spätere Gattin von Johann Christian Kestner  , gehört zu den unsterblichen Frauen der Weltliteratur, denn sie ist die Botte, ble Goethe während seines Aufenthaltes in Beglar geliebt und als Helbin in feinem Roman Die Leiden des jungen Werthers  " vere herrlicht hat.

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Goethe fam im Frühjahr 1772 nach Wehlar und fernte hler Stein, hauen lasse ich meine Kinder prinzipiell nicht! Dafür Reftner temmen, der in seinen Tagebüchern folgendes vermertte: besuchen sie auch die Gemeinschaftsschule; und bei uns zu Haufem Frühjahr tam bier ein gewisser Goethe aus Frankfurt  , feiner wird auch nicht geschlagent" Soloffal überzeugungstüchtig erflärt Handthierung Doktor juris, 23 Jahre alt, einziger Sohn eines sebe mir eine nette Genoffin ihre Erziehungsprinzipien. Wir figen am reichen Baters, um sich hier- bieß war feines Baters Absicht- in Kaffeetisch bei den Resten des Geburtstagstuchens und warten bloß Bragi umzusehen, ber feinigen nach aber, ben Homer und Binder noch auf Kurt, der uns die von mir spendierte Eahne vom Bäcker holt. Es flingelt; Grete, ble Große", läuft zur Tür Blöglich ein zu studieren und was fein Gente ihm weiter für Beschäftigung ein geben würde..." Am 9. Juni 1772 lernte Goethe auf einem Ball Krach, ein Bums, ein Schrel. nervös fährt meine Genossin hoch: Lotte fennen. Dieser Ball hat Goethe ben Stoff für die Beschreibung Berflirte Göhren!" Ghon ist sie braußen; und zwischen dem der Begegnung Werthers mit Lotten im ersten Buche des Romans Heulen des Dretjährigen, Gretes hoben Jammertönen und Kuris gegeben. Goethe wußte nicht, daß Lotte die Verlobte Kestners fet. männlichen" Berteidigungsreden schallen ganz deutlich zwei gut teftner weilte vom Jahre 1768 bis zum Jahre 1772 in Wehlar und flyende Mapje. Hochrot tommt meine Genossin zurüd: Un verfehrte viel im Haufe des Amtmanns Buff, dessen zweite Lochier geschickter Bengell Die schöne Sahne! Und die Schüssel hat er mir Lotte felne heftige Liebe erregt hatte. Durch Gotter   wurde Goethe auch zerschlagen!" Ich mache trampfhaft ein ernstes Geficht. Und mit Lotte bei dem Balle bekannt, der in dem Dorfe Grabenheim  wer hat die Klapse gefriegt?" Meine Genoffin wird fürchterlich stattfand, einem Bergnügungsorte in der Nähe von Beglar. Graben­perlegen; wir waren gerade in einem so aufschlußreichen beim heißt im Werther  " bekanntlich Wahlheim  . Auch über die pädagogischen Gespräch gewesen! Ach, bie Großen haben jeder erste Begegnung Goethes mit Lotte und über den Standpunt einen fleinen Jagdhieb abgetriegt bas schadet ihnen nichts; Restners erfahren wir von Kestner   selbst einige bedeutsame Einzel­foll'n sie' n andermal besser aufpassen!" Nun erfahre ich erst den heiten in dem Bruchstück eines Briefentwurfs, der sich in Kestners ganzen Hergang des Trauerspiels. Auf dem halbbunklen korridor Bapieren fand, und den wir in der damaligen Rechtschreibung aus ist der Dreijährige den Kurt zwischen die Beine gelaufen, und der zugsweise wiedergeben:... Den 9. Juni 1772 fügte es jid, bah ist mit der Schüssel gegen die Rähmaschine gestolpert, und er und Goethe mit bey einem Balle auf dem Lande war, mo mein Mädchen Grete haben jeder eine Tachtel" gefriegt, weil sie nicht besser auf und ich auch waren. Ich konnte erst nachkommen und ritt dahin. gepaßt haben." Mein Mädchen fuhr also in einer anderen Gesellschaft hin; der Dottor Goethe war mit im Wagen und lernte Lottchen hier zuerst tennen. Noch fein Frauenzimmer hier hatte ihm ein Genügen gee leistet. Lottchen zog gleich seine ganze Aufmerksamkeit an sich. Sie ist noch jung. sie hat, wenn sie gleich teine ganz regelmäßige Schön heit ist eine sehr vorteilhafte einnehmende Gesichtsbildung; ihr Blid ist wie ein heiterer Frühlingsmorgen, zumal den Taq, weil sie den Lanz liebt; fie war fuftig; fie war in ganz ungefünfteltem uk. Er bemerkte bei ihr Gefühl für das Schöne der Natur. Er wußte nicht, daß sie nicht mehr fren war. Er war den Tag ausgelassen lustig, Lottchen eroberte ihn ganz, um desto mehr, da sie sich teine Mühe darum gab, sondern sich nur dem Bergnügen überließ..

Aus unserem gemütlichen Kaffee ist nicht viel geworden; meine Genoffin war getränkt, baß ich ihre Berteidigungsrede' n Jagdhieb ist teine Keile" nicht als vollgültige Rechtfertigung gelten laisen wollte. So tam ich früher nach Haus, als ich vorher geglaubt hatte. Und während ich im Dämmern am Fenster saß, dachte ich an meine eigene Jugend. Auch bei uns zu Hause wurde nicht viel geschlagen, Aber,' n Jagdbleb" fiel öfter mal ab. Und merkwürdigerweise babe ich die Jagdhiebe viel besser im Gedächtnis behalten, als die orbent liche Keile, die es, wie gejagt, nur bei sozusagen feierlichen Gelegen heiten gab. Aus einem sehr einfachen Grunde: Die Jagbhiebe" bedeuten zumeist eine kleinere oder größere llngerechtigteit. Ich friegte eine Tachtel", weil meiner Mama der Schweinebraten anbrannte; ich tonnte zwar noch nicht fochen, sollte auch nicht auf ihn aufpassen, aber als ich in die Küche geschickt wurde, mal nach zusehen" erzählte ich lachend: Dein Schweinebraten knallt wie'n Feuermert. Herrjeh!" Mama lief hinaus... und zwischen Tür und Angel hatte sie gerabe noch 3elt genug, mir die bewußte Tachtel" zu versehen. Und trotzdem in unserer Schule nicht ge schlagen werden sollte: ber Herr Direktor gab mit höchst eigenhändig eine Ohrfeige, als er mich mit einer anderen Schülerin auf der Bodentreppe traf Wer weiß, was er für dunkle Angelegenheiten argwöhnen mochte; aber wir waren beibe mit Einwilligung der Lehrerin herausgegangen, damit das Mädel mir meinen Gerade­halter" ein wenig lodern sollte, benn das Marterinstrument rieb mir die Achseln wund. Er fragte nicht nach dem Zwed unseres Aufenthaltes auf der Bodentreppe; zuerst fam die Maulschelle. Ich war taum zehn Jahre alt und wußte nichts davon, daß der gelbe, Spindeldürre Herr leberleidend und schwer tuberkulos war, und daß ich die Maulschelle viel mehr diesen Krantheiten als vorfäglicher Ungerechtigkelt verdankte. Aber ich habe sie ihm nicht vergessen noch verziehen, und als er nach einem halben Jahre sich auf demselben Hausboden erhängte, sah ich darin so etwas wie das Walten einer ausgleichenden Gerechtigkeit.

lind das ist ble Gefahr der Erziehung burch den Jagdhieb": Die Leichtfertigteit, mit der er meist ausgeteilt wird, macht ihn zum Wertzeug der lingerechtigkeit, und nichts vergiftet die Jugend eines Kindes so sehr, wie das Gefühl, wehrlos der Un­gerechtigkeit ausgeliefert zu sein. Er wirft barum oft viel schlim mer, als eine ganze Tracht Brügel, ble als gerecht empfunden wird. Er ist das bequeme Notventil ber nervösen Naturen, der Menschen ohne Selbstzucht und Selbstbeherrschung, das heißt berjenigen, die die Hände am besten überhaupt von der Kinder­erziehung laffen würden. In ben Schulen wird es weniger Mühe machen, ben Jagdhieb" auszutilgen. Der Glaube an den allein feligmachenden Batel ist in unserer jungen Lehrerschaft start im Schwinden, und wenn das Reichsschulgesetz auch die Form der Schule in reaktionärem Sinne festlegen will: Das Beispiel, daß die weltlichen Gemeinschaftsschulen geben, beeinflußt auch die auberen Schulformen, und bald wird man auch hier Hiebe jeder Art nicht mehr unter die Erziehungsmittel rechnen. Aber ben nervöjen Bätern und noch mehr den Müttern, die im Brinzip ja immer jo einverstanden mit den neuen Methoden der Erziehung find, foll es

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Am nächsten Tage machte Goethe bei der Familie Buff   den ersten Besuch, wo er von den vielen Kindern und dem Vater Lottens wie ein lieber Freund und Berwandter aufgenommen wurde, Er achtete das Berhältnis zwischen Lotte und Kestner   hoch, und wurde Kestners bester Freund, ohne ihm zu verheimlichen, daß er die Borzüge seiner Braut sehr zu schäzen wisse. Aber Restner tannie mit Recht teine Eifersucht, denn er wußte, daß Goethe von edler Leidenschaft für Lotte erfüllt sei. Goethe   lebte mit Lotte und Kestner   in innigster Freundschaft, aber er tonnte es nicht ertragen, ble geliebte Frau im Besitze eines anderen Mannes zu wissen, unb er faßte am 11. September 1772 ben Entschluß, Wezlar zu verlassen. Wie schwer ihm dieser Abschied wurde, geht aus zwel Briafen heroor die er am 10. September an Lotte und Restner shidie, ohne von ihnen Abschied zu nehmen. An Kestner   schreibt er: Ich tann ihnen in dem Augenblicke nichts sagen, als Leben Sie wohl. Bäre ich einen Augenblid länger ben Euch geblieben, ich hätte nicht ge­halten.. Und an Lotte: Lotte, wie war mirs bey Deinen Reden ums Herz, da ich wußte, es ist das letzte Mal, daß ich Sie sehe. Ich binn nun allein und darf weinen, ich laje Euch glücklich, und gehe nicht aus Euren Herzen..." Er bleibt mit Lotte und Kestner   in einem ständigen Briefwechsel verbunden und erhält von Restner eine Beschreibung des Selbstmordes von Jerusalem  , ber sich bekanntlich aus Liebe zu der Frau eines Freundes erfchoffen hatte. Sein eigenes Erlebnis mit Lotte und diefen tragischen Ted Jeru falems verband nun Goethe in seinem Roman Berthers Leiden" zu einem einheitlichen poetischen Gemälde. Edhon am Balmsonntag 1773 batte teftner feine Lotte geheiratet. Durch den Roman bereitete er bem jungen Ehepaare viel Aergernisse, denn er halle Wahrheit und Dichtung durcheinander gemischt und dadurch ein Ge mälde der zwei Hauptpersonen entworfen, das für Lotte und Kestner  mancherlei Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Insbesondere fühlte sich Kestner   durch die Zeichnung des Albert im Werther  " verlegt. Aber das Mißverständnis wurde bald wieder beseitigt, da die Freunde Goethes   den Wert von Lotte und Restner fannten und zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden wußten.

Obwohl Goethe in allen Briefen feiner Liebe zu Lotte ben felbenschaftlichsten Ausbruck gab, hat er sie erst im Jahre 1816 wieber gesehen. Lotte lebte an der Seite Kestners bis zu deffen, am 24. Mai 1800 erfolgten, Lebe, als glückliche Frau und Mutter in Hannover  . Sie starb in Efter von 75 Jahren und hat den großen Aufstieg igres Jugendgeliebten beglüdt miterlebt.