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Frauenstimme

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Nr.19 45.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

13. September 1928

Der Faschismus und die Frau.

es hat Soldaten genug, diese Grenzen zu erweitern. Während automatisch aus dem wachsenden Druck der Bevölkerung die Kriegsdrohung folgt, will man hier systematisch diesen Druck verschärfen, um die Kriegsdrohung zu rechtfertigen.

Im Dienste rassenhygienischer Ideale findet die For­derung hoher Fruchtbarkeit der Tüchtigen bei vielen Frauen Widerhall; auch als Ausfluß religiöser Pflichtbegriffe segt sie

Leuchtende Herbstsonne.

Solange der Faschismus noch im Stadium der Besiz-| kann nicht auf seine heutigen Grenzen beschränkt bleiben, und ergreifung der politischen Macht stand, hat er sich um die Frau nicht bekümmert. Er ging mit gewaltsamen Mitteln vor, im Dienste und im Solde bestimmter Interessen; was er an Zustimmung bedurfte, strömte ihm zu, weil er der Kriegs­verrohung und Reizgier der Heimkehrer und der Daheim­gebliebenen entgegenkam. Da brauchte er weder Ideale noch ein Programm. Der Faschismus hat die Seelenver fassung der Nachkriegs­zeit, die in allen Staaten das gesellschaftliche Gefüge zeitwei lig gelockert hat, in einem ge gebenen Sinne gerichtet: seine ersten Geldgeber waren die Agrarier und die großen Ban­fen, und als deren Botengänger tritt er zuerst in die Geschichte ein. Damals gefiel er manchen Dämchen sehr gut, sie fanden ihn schneidig und heroisch; ge­legentlich zog auch mal eine das schwarze Hemd an und zierte sich mit einem Totenkopf. Wo den Faschisten Frauen als Geg ner gegenüberstanden, wie in Molinella, hat sich an ihnen die Gewalttat ohne Ansehen des Geschlechts betätigt. Aber zu einer Werbetätigkeit oder prin­zipiellen Stellungnahme des Faschismus gegenüber der Frau bestand keine Veranlassung.

Nach der Besizergreifung wurde das anders. Da brauchte auf einmal der Faschismus alle möglichen Dinge, die er nie ge­habt hatte, wie Ideen, Pro­gramm, Weltanschauung. Es wurde ihm ein wahrer Basar

Die Welt ist nun in blauen Glanz getaucht, In dem sie sich mit weichem Lächeln schmiegt, Und Heide, Wiese, ferner Hügel liegt Von schmalem Sandgeäder golddurchpfadet. Heut' hat das Licht die Seele mir begnadet. Thr, meiner Sehnsucht letzte Träume, stiegt Zu- sanften Höhen, reife Aehre biegt

Sich euch entgegen, die zum Schnitte ladet.

Die Zeit der Ernte muß voll Stille sein, Die ganz mit froher Sonne sich erfüllt Und alles Reife mild in Wärme hüllt Und gießt in alle Früchte Süße ein. Das Sterben selbst darf noch ein Strahlen trinken, Wie müde Rosenblätter leuchtend sinken.

geliefert und das Verschiedenste ausprobiert, bis man sich auf das heutige Muster einigte: der Staat als Selbstzwed, das Individuum als Mittel, eine Minderheit Auserlesener herrscht und verwirklicht durch eine Art Staatssozialismus den Wohl stand der rechtlosen Masse, das Ganze mit altrömischen Falten­wurf und mit dem Zukunftsprogramm der Wiederherstellung des römischen Weltreichs. In dieser ,, Ideenwelt" des Faschis­mus fiel der Frau nur eine Funktion zu, die der Gebärerin. Nun ist es einleuchtend, daß die Forderung einer großen Kinderzahl gerade in der faschistischen Einkleidung geringe Werbekraft befigt. Italien ist so dicht bevölkert wie Deutsch­ land , da es aber in viel höherem Maße Agrarland ist, be­deutet die gleiche Dichtigkeit wirtschaftlich eine größere Be­engung. Wenn der Faschismus trotzdem für eine höhere Ge­burtenzahl eintritt und gleichzeitig die Auswanderung unter­bindet, so hat er dabei nicht etwa die Absicht, das Land von der ihm wesensgemäßen agrarischen Produktion abzudrängen, um es in ein Industrieland zu verwandeln. Das Programm der forcierten Fruchtbarkeit dient nicht wirtschaftlichen, son­dern politischen Zwecken. Der Kessel soll überheizt wer­den, während man gleichzeitig das seit Jahrzehnten wirksame Ventil der Auswanderung schließt. Es hat durchaus den Anschein, als ob man dadurch Europa bedeuten wolle: Italien

Henni Lehmann .

sich noch gelegentlich durch. Aber als Soldatenzüch terei, als Kanonenfutter­fabrit hat sie gewissermaßen alles Mütterliche der Frau ge gen sich. In der Tat ist die ab­steigende Linie der italienischen Geburtenzahl durch alle bis­herigen faschistischen Maßnah men nicht abgelenkt worden. Die Italiener sind ein finder­frohes Volk, Volt, aus gesundem Triebleben heraus, aber zu einer Kinderproduktion aus Parteidisziplin, um Prämien oder Belobigungstelegramme zu empfangen, gleichsam aus politischem Strebertum, eignen sie sich nicht. Die Statistik der nächsten Jahre dürfte einen starken Abfall der Geburtenzahl melden, in dem neben der all gemeinen Zeitströmung und neben der wirtschaftlichen Not und Aussichtslosigkeit die poli tische Not und die bewußte Ab­lehnung politischer Einmengung zum Ausdruck kommen wird.

Daß es dem Faschismus bei der Geburtenfrage nur um die Quantität zu tun ist, geht

| am trasfesten daraus hervor, daß in einem Dertchen Süd­italiens ein Podestat eine Geldprämie ausgesetzt hat für die, die im Laufe der nächsten fünf Jahre die meisten Kinder in die Welt setzen. Es liegt auf der Hand, daß dieser Kaninchen­preis am ersten einer Mutter winkt, die ihre Kinder nicht stillt und also eine Schwangerschaft dicht an die andere schlie­Ben kann. Dieselbe Nichtachtung der Qualität des Nachwuchses spricht aus der Verleihung des fog. Wahlrechts an achtzehn jährige Männer, wenn sie verheiratet sind, während gleich­zeitig den militärischen Fliegern die Ehe bis zum 30. Lebens­jahr verboten ist.

So hat der Faschismus auch in seiner Konsolidierungs­phase eigentlich fein Werbemittel für die Frau, hat also, von seiner prinzipiellen Einstellung ganz abgesehen, gar fein Interesse daran, ihr irgendeinen politischen Einfluß zuzuge stehen. Was er von ihr will, wird sie um so weniger leisten, je mehr Selbstbestimmungsrechte sie hat. Das Regierungs­funststück, das jede Dittatur von sich selbst verlangt, besteht ja überhaupt darin, die Menschen darüber hinwegzutäuschen oder zu trösten, daß sie um ihr Selbstbestimmungsrecht ge­prellt worden sind. Das ist nun in Italien der Frau gegen­über in einem Sinne leichter als dem Manne gegenüber, in anderem Sinne wieder schwerer. Leichter, insofern sie sehr