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Kann man Kinder zur Gesundheit

erziehen?

Eigentlich follte man meinen, daß es in Berlin   gerade genug Gelegenheit gibt, fich zu belernen". Bünde   für und Berbände gegen halten den ganzen Winter hindurch Vorträge über Borträge, man fönnte jeden Abend doppelt besetzen. Und natürlich find darunter auch ein Haufen pädagogischer Borträge. Warum muß da ausge­rechnet noch die Schwangerenfürsorgestelte den Ambu­latorien des Verbandes der Krankenkaffen Berlins   auch einen Zyklus abhalten? Aber wenn man sich erst im Vortragsraum niedergelaffen hat, begreift man, warum diese Reihe von Borträgen nötig ist. Denn die Menschen, die hier figen, würden von feinem der Bünde  und Berbände erfaßt werden und mit einem noch so populär aufge­zogenen Bortrag wäre ihnen nicht gedient. Das sind Menschen, die nur von eigener Not, von eigener Sorge aufgerüttelt hierherkamen. Sie wollen sich nicht über die neuesten Theorien unterrichten, fie alle haben eigene Sorgen, für die sie hier, unmittel orgen, für die fe

Wenn wir Frauen nur eines wüßten!

Wenn wir Frauen nur eines wüßten! Warum so viele Kinder weinen? Den Kindern sollte Sonne scheinen, Und ihre goldenen Strahlen müßten Sie froh mit den zarten Händen greifen.

Wenn wir Frauen nur eines wüßten! Warum so viele Mütter klagen:

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Wir müssen angstvoll die Kinder tragen, Die gern wir in freudiger Hoffnung füßten, Den Blüten gleich, die Früchte reifen."

Wenn wir Frauen nur eines wüßten! Warum sich immer die Menschen hassen, Statt liebend die Hand des Bruders zu faffen, Um schöneres Seft der Zukunft zu richten, So frei wie Vögel, die lichtwärts schweifen! Henni Lehmann  .

bar für sich brauchbar, guten Rat wollen. Chrafateristischerweise find nur drei oder vier auf Grund der Zeitungsanfündigung ge fommen; alle anderen famen auf Grund der Bekanntmachung in der Schwangerenfürsorge.

Schließlich beginnt der Bortrag. Aber das ist gar fein richtiger Vortrag, das ist mehr eine Arbeitsgemeinschaft, in der durch Frage und Antwort, Rede und Gegerede zu den Erkenntniffen geführt wird, die die Grundlage für alle die kommenden Borträge bilden. Ist Erziehung nötig, ist sie möglich? Eine schnelle Umfrage nach dem Kinderreichtum der Großeltern und Eltern ergibt, daß ein halbes Duhend damals noch nicht als viel" Kinder angesehen wur­den. Schleierhafte Zahlen werden genannt: 12, 16, 21. Heute? Wie­viel Kinder wünscht man sich heute? Und eine schlagfertige Ber­linerin gibt die Antwort: zwischen feins und zwei. Also Kinder find heute ein tostbareres, felteneres Material als zur Zeit unserer Groß­väter. Wir haben darum schon die Kindersterblichkeit, die ein Drittel betrug, auf ein Zehntel heruntergedrückt. Aber damit ist nicht alles getan. Die Erkenntnisse der Psychoanalyse, daß der Grund zu den meisten nervösen Erkrankungen in den vergeffenen" Erlebnissen der Kinderjahre liegt, zeigen uns, daß wir in diefen Jahren wie das förperliche auch das jeelische Schidfal unserer Kinder bestimmen, Ratürlich, allen Erziehungsfünften find Schranken gefeßt; vor allem drei: die Erbanlagen des Kindes, die wirtschaftlichen Berhältniffe und die Schranke, die in der Persönlichkeit des Erziehers selbst liegt. Aber auch diese Schranken sind elastisch. Die angeborene Gutmütig. feit des Kindes fann durch richtige Erziehung zur Güte veredelt wer­den, fle fann durch falsche Erziehung zur Schwäche entarten. Die Persönlichkeit des Erziehers: auch sie fann fich wandeln, und die Erziehung der Erzieher" ist von allen Problemen vielleicht das wichtigste. Die wirtschaftlichen Verhältnisse: im großen können wir da nur auf eine Wandlung auf lange Sicht" rechnen, denn sie werden ja in ihrer Gesamtheit von den politischen Machtverhältnissen bestimmend beeinflußt. Pflicht darum aller Eltern ist es, schon um ihrer Kinder willen volitisch denken und handeln au fernen

Dies die Schranken. Und nun die Ziele der Erziehung. Noch immer existiert das Elend des vorbestimmten Berufes", der von den Eltern ohne Rücksicht auf Wünsche und Eignung des Kindes aus äußeren Gründen beftimmt wird; oft genug bricht dann der selb ständig gewordene Mensch aus diesen Zwangsberufen aus, oft genug verstumpft er darin oder bricht darunter zufammen. Erziehung zu vorbestimmter Weltanschauung? Hier kann nur ein Beispiel vor­gelegt werden. Jeder Zwang erzeugt Gegendruck, und die oftmals erlebte Geschichte von verkommenen Bastors- und Lehrerkindern zeigt, wie unhellvoll hier jeder Drud wirken fann. Das einzige, was wir von vornherein als Ziel aufrichten fönnen: wir wollen unsere Kinder aur Gesundheit erziehen, au förperlicher und geiftiger Gefundheit. Und wie wir sie dazu erziehen, das sollen die nächsten. Borträge lehren. R. E.

Die Vortragsabende.

Dienstag, den 27. November, 8 Uhr abends( pünktlich): Die Brügetstrafe".

Dienstag, den 4. Dezember, 8 Uhr abends( pünftlich): Rörper pflege und Ernährung des Kindes".

Dienstag, den 11. Dezember, 8 Uhr abends( pünktlich): Die Seguelle Erziehung".

Bortragende Fürsorgerin Gen. Ilse Theiß. Männer und Frauen find alle eingeladen.

Die Vortragsabende finden unentgeltlich statt in den Räumen der Schwangerenfürsorge des Berbandes der Kranken­faffen Berlin  , Alexanderstr. 39/40, 1. Hof, 2. Aufg. 2 Tr., Zimmer 10.

Ehenot auf dem Lande.

In der Großstadt beginnt die sachgemäße Eheberatung in Ber­bindung mit wissenschaftlich erprobter Geburtenfontrolle immer mehr für breite Boltstreise ihre Unentbehrlichfeit zu beweisen. Ehe­glück und Gesundheit sind auf Erkenntnis und Berbreitung moderner Methoden der Empfängnisverhütung gegründet. Aber schon vor den Toren Berlins   beginnt das Elend der Unkenntnis; Zerstörung des Eheglücks durch übergroße Kinderzahl oder grauenhaft primitive Abtreibungsmethoden sind die Folge. Gewiß, wir Sozialisten Pämpfen für die Beseitigung des§ 218, aber immer gebieterischer ergibt sich die Ergänzung dieses Kampfes durch Auffiärung und allgemeinste Verbreitung empfängnisverhütender Mittel. Die Frauen des Landproletariats hungern nach dieser Aufklärung. Zwei oder dret Kinder stellen für den schlecht bezahlten Landarbeiter oder Kleinbauern das Aeußerste an wirtschaftlicher Belastung dar. Soll die Familie fich nicht ins linermeßliche vergrößern und dem wirt. schaftlichen Ruin verfallen, so bleibt der unberatenen Landfrau nur der Weg der Abtreibung. Man höre einmal selbst die erschütternden Klagen der von dem Segen moderner empfängnisverhütenden Methoden ausgeschlossenen Frauen! In unseren märkischen Dörfern sind allen hohlen Redensarten vom fittlichen Hochstand des Landes" zum Trotz ein großer Teil der älteren Ehefrauen von qualvollen Unterleibsleiden befallen als Folge der daheim oder in Berlin   von Pfuscherhänden vorgenommenen Abtreibungen. Und der Landproletarierin, die neben dem Haushalt auch noch Land­arbeit und Viehzucht zu besorgen hat, ist das Leben zu einer Kette grauenhafter Qualen geworden. Man versucht, fich auf den Aus­weg mehr oder weniger wirkungsvoller Borbeugungsmethoden zu retten; eine Frau teilt der anderen die Rezepte zu primitiven und oft gesundheitsschädlichen Ausspülungen mit. Bon durchziehenden Händlern werden Mittel der fragwürdigsten Art gekauft. In ein­zelnen Fällen haben die bitterarmen Frauen für wertlose Apparate 30 big 40 m. bezahlt, nur beherrscht von der Sorge, weiterem Kindersegen vorzubeugen. Wird ihnen durch eine Rednerin der Partei endlich einmal fachgemäße Aufklärung auteil, fo fcheuen fie auch die Ausgaben für verhältnismäßig kostspielige, wirksame Mittel nicht und find felbft in entlegenen Orten bereit, die weite Reife zu einer Berliner   Eheberatungsstelle anzutreten.

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Die Kreis- und Kassenärzte auf dem Lande scheinen in diesem Bunkte zu verjagen. Ein Arzt scheute sich nicht, von einer armen Proletarierfrau für das Einfeßen eines Schußpeffars 50 M. 31 fordern!

Modern geleitete Eheberatungsstellen für das flache Land, die in jeder Kreisstadt ihren Sit haben und nach dem Berliner   Borbild Berhütungsmittel und entsprechende Aufklärung unentgeltlich oder gegen Ersatz der Selbstkosten verabfolgen, hun bitter not! Auch das Landproletariat ist über das Stadium schrankenloser Bermehrung und In- die- Belt- Seßen einer elenden, vernachlässigten Kinderschar hinaus. Daß der soziale und tuiturelle Aufstieg der Familie aber nicht mehr mit der Gesundheit der Frau und Mutter, die ihren Körper stets wiederholten Abtreibungen zum Opfer bringt, erfaust werden darf, ist selbstverständlich und darum die Einrichtung öffent­liche Ehe- und Segualberatungsstellen für das flache Land eine