Du schaffst dein Ebenbild.
Er wächst. Wächst zusehends. Wächst mit jedem Tage. Seine. Rörperhaltung ftrafft sich. Aufrecht ist sein Gang. Fest treten die Füße auf. Jeder Schritt befagt: Jeht gehe ich umher, jeßt geschieht etwas von Bedeutung. Und jetzt hebe ich die Hand und hole den schweren Gegenstand vom Tisch herunter. Ich habe Kraft und ich schleudere den Ball weit fort, daß die Hand nachschwenkt und der Körper zurück- und in weitem Bogen wieder vorschnellt. Und das vermag ich. Und alles tue ich nun selbst. Ich wasche mich selbst und Bam es ebensogut wie die Großen. Ich brauche auch nicht mehr festgehalten und aufgepaßt zu werden. Ich kann auch allein über den Straßendamm gehen. Ich bin nun auch groß und tann alles fo gut wie der Bati."
Und das alles tut er fund durch die Tat, meist ohne Worte. Nur manchmal fagt er es. Er steht da wie der Bati, spricht in deffen Tonfall. Er gebraucht Batis Redewendungen. Behandelt ihn liebe voll zärtlich, gönnerhaft, gibt ihm Rosenamen. Aber er befiehlt auch in Batis Ton, der feine Widerrede duldet. Spielt den Hausherrn, trifft Anordnungen und betrachtet sie als verbindlich für fämtliche Hausgenossen. Ist ehrlich empört, wenn sie dagegen handeln. Und manchmal bekommt felbft Bati einen ungnädig verweisenden, befferwisferischen, rechthaberischen Ton zu hören. Daß er erstaunt Magen und Ohren aufsperrt, um sich au vergewiffern, ob er recht gesehen und gehört hat. Wo der Junge das her hat? Natürlich vom Bater. Und spielt nicht bloß Bater,
er fühlt sich als Bater, ist der Vater.
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Er hat sich mit feinem Bater identifiziert, wie es die Wissenschaft nemnt. Und nicht nur wie er spricht und geht und was der Bater sonst tut hat er ihm abgelauscht. Hat der Vater ein Leiden, das sich sichtbar äußert oder von dem er spricht der Kleine wird es fich aneignen und ihm darin ähnlich werden. Baters Stimmungen und Liebhabereien, feine Zuneigungen und Abneigungen, feine Mengste und Zweifel, feine Hoffnungsfeligkeit- er wird fle fich aneignen. Alles, möglichst alles wird er annehmen, denn er will wie der Vater werden. Die anderen aber und der Vater selbst, fie glauben, der Knabe fel nur von Natur ihm so sehr nachgeartet, habe all seine Eigenschaften ererbt. In Wirklichkeit wurde er nicht zum wenigsten
deffen Ebenbild, weil er sein Bild in fich aufnahm. Wenn er es nicht vollkommen wurde, so weil noch andere um ihn her find, die er ebenfalls in sich aufnahm, mit denen er sich gleichfalls zum Teil identifizierte: Mutter und Geschwister, Onkel und Tanten und sonst wer. Identifiziert sich das Kind vorwiegend mit der Mutter, so wird es in Wesen, Haltung und Gewohnheit ihr Ebenbild werden und nicht Baters.
,, Mein Junge hat von mir die Neigung zum llebergeben geerbt", erflärte eine Mutter. Sie irrte sich. Nähere Untersuchung erwies, daß der Knabe sich übergab, weil er sich mit der Mutter identifizierte, werden wollte wie sie.
Bei einem Meinen Mädchen sah ich eines Tages zum ersten Male eine bestimmte Mundbewegung der Mutter auftreten; Immer häufiger zeigte fich diefe Mundbewegung. Ich fonnte im Baufe mehrerer Jahre verfolgen, wie Bewegungen, Urteile, Gefimmungen der Mutter immer deutlicher von dem Kinde übernommen wurden, es ihr immer ähnlicher machten und bestimmend wurden für die Wesensentwicklung des Kindes. Das Kind war start an die Mutter gebunden. Es drückte sich aus in dem Sah, den es eines Tages, als es faum aufammenhängend schreiben tonnte, an die Wandtafel malte: Ich möchte mich mit meiner Mutti gertüffen. Auch in der Einstellung zu anderen Menschen, in dem Bertangen nach der Mittelpunktstellung feiner eigenen Berson paßte sich das Kind immer mehr der Mutter an.
Die Psychoanalyse erklärt die Identifizierung damit, daß der Knabe unbewußt danach strebt, die Stelle des Vaters bei der Mutter einzunehmen, das Mädchen die Stelle der Mutter beim Bater. Dieses ursprüngliche Streben wird durch die Erziehung ins Un bewußte verdrängt, wird gewandelt in feinere Regungen der Särt lichkeit es wird fublimiert". Doch im Unbewußten lebt das Bestreben fort, das Wesen von Bater oder Mutter anzunehmen, d. h. Bater oder Mutter zu werden.
Deutlich spricht der Fünfeinhalbjährige diefe Baterstrebung aus, als ihm ein Märchen von einem kleinen Mädchen mit schönen Löckchen erzählt wird: Solche, wie Bati hat?"
ind einmal zu einer Hausgenoffin: Ich glaube, ich habe in deiner Abwesenheit mehr erlebt, als du. Ich glaube, Männer erleben überhaupt mehr als Frauen."
Der Mann ist er und dessen Urbild der Vater.
„ Ich bin doch kein Mädchen. Ich bin doch ein Mann wie der Bati."
Und eines Tages fibt er eine Stunde lang auf dem kleinen Bäntchen neben dem arbeitenden Vater, sachlich in dessen großen Maschinenbüchern blätternd. Da kommt die Mutter, umarmt den Mann und füßt ihn wiederholt.
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Romme ich nun dran?" fragt plöglich errötend der Kleine, indes ein halb vorwurfsvoller, halb verlegener Blick die Mutter ftreift. Es ist augenscheinlicher ist eifersüchtig auf den Bater. Durch die Uebertragung dieses Strebens von der Person des Baters oder der Mutter auf andere Personen tann auch eine Identifizierung mit diesen herbeigeführt werden. Bei dem ere wähnten fleinen Mädchen, dessen Erzieherinnen häufig wechselten, konnte ich beobachten, wie es von jeder derselben irgendeinen Zug, irgendeine Gewohnheit angenommen hatte. Eines Tages fragte ich es, wie es über Strafe denke. Als es zur Antwort gab: Strafe muß ja sein, ohne das geht es ja nicht", bot es in Wortlaut, Ton und Haltung ein getreues Abbild feiner lehten Erzieherin. Es hatte sich mit ihr identifiziert. Die Formen und Abwandlungen der Identifiglerung find fehr mannigfaltig und tompliziert. Sie tönnen hier nicht aufgezeigt werden. Wichtig in diesem Zusammen.. hange ist aber die Schlußfolgerung, die sich aus der Identifizierung für die Berantwortlichkeit der Eltern, Erzieher und fonstiger Erwachsener dem Kinde gegenüber ergibt. Sowohl in Rede und Ton, als im Tun dem Kinde, wie Erwachsenen gegenüber. Das Kind identifiziert fich mit Ihnen im Guten wie im Bösen, im Lebensfräftigen wie im Lebensunkräftigen, im Lebenswertigen und Unwertigen. Kinder haben und Kinder erziehen, mit Kindern umgehen, sich in ihrer Umgebung bewegen legt die Pflicht auf, zu achten auf Tun und Lassen, Rede, Ton und Bewegung. Berpflichtet sein eigenes Fühlen und Denken zu beobachten und zu berichtigen: Damit das Rind nicht eine Wiederholung wird der den Erwachsenen anerzogenen Mängel, damit es Träger und Fortentwickler wird der Veredelungsbestrebungen feiner nächsten, natür. lichen, sowie bestellter Erzieher. Vor allem aber tut dem Kinde nicht, was ihr nicht wollt, daß es euch tue. Denn eines Tages tommt euch von ihm alles wieder, in Rede, Ton und Tun. Sascha Rosenthal.
Das abgegebene Kind.
Liebe Frauenstimme!
In deiner letzten Nummer vom 20. November 1929 lese ich den Artikel ,, Kinder bitte abgeben"; ich bin hierüber anderer Meinung.
Wie sehr würde ich es begrüßen, wenn er st alle waren. häuser, befonders das unserer Konsumgenossenschaft eine Kinderstube befäßen. Wenn man Besorgungen machen muß, ist das Kind für die Mutter hinderlich, das Kind wird naturgemäß nervös oder ungeduldig, die Mutter auch, der Schluß ist meist, wie ich es oft beobachten konnte, ein paar Klapse, ob gerecht oder un gerecht, pleti ja hierbei gar feine Rolle; die Mutter ist eben hier der Machtfaftor und macht fich ihrer Nervositat Luft.
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Ich kenne im Augenblick nur die Kinderstube von dem Kaufhaus N. Israel und muß dir geftehen, daß ich sie nach einmaligem Bersuch des öfteren für mein erst knapp zweijähriges Kind benutzen werde. Dabel mußt du nicht denken, daß ich zu meinem Mädel lieblos bin oder es gern los fein möchte. Ich stehe auf dem Standpunkt, je früher ein Kind selbständig wird, desto mehr paßt es in unfer anspruchsvolles Wirtschaftsleben. Bei den Kinderfreunden fann man auch sehr gut beobachten, daß es 12jährige Nesthäfchen gibt, und 6jährige Kerlchen, die„ Inorfe" find. Wenn ein Kind von Klein auf als felbständiger Mensch behandelt wird, an dem die Mutter mit Pünktlichkeit ihre Pflicht erfüllt, ihm au- effen gibt, troden legt Schlafen legt, und nicht mit dem Babi- fpielt, weil es so niedlich ist, dann ist sie schon vieler Sorgen enthoben. Richtet sie dem Kind dann später feine Spiel und Ruhestunden ein, läßt ihm vor allem feine Spiele felbft fuchen und wenn es Holz und Breßtohlen find, selbst auf die Gefahr, daß es schmutzig wird, so wird es gewöhnt, mit sich etwas anfangen zu tönnen, und uns Arbeiter. frauen ist damit geholfen, daß wir unsere Arbeit verrichten können, ohne fortwährend einen Heulaugust am Schürzengipfel hängen zu haben; die Mutter gewinnt bestimmt durch folch torrettes handeln beim Kinde; das Kind ist stolz auf seine Mutter und weiß sogar, daß sie immer das beste will.
Wenn folch ein Kind nun für ein bis awei Stunden einem Kindergarten übergeben wird, so lernt es nur noch etwas dazu, näm
Ein andermal zur Mutter, die ihn auffordert, mit kleinen lich den Gemeinschaftsfinn, den wir so sehr gebrauchen. Mädchen Puppen zu spielen:
Es grüßt dich deine Genoffin
M. E.