Frauenstimme
Nr.9 47. Jahraang
Beilage zum Vorwärts
24. April 1930
Der nervöse Haushalt.
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Jede Hausfrau hat Tage erlebt, an die sie nur mit Schrecken zurückdenken kann. Denn an diesen feltsamen Tagen geht einfach alles verkehrt. Die Suppe brennt an, das Gemüse schmeckt fade, die Kartoffeln find verfalzen, das Fleisch will nicht weich werden. Eine schöne alte Base wird beim Abstauben umgestoßen, der Mann tommt verärgert nach Hause, und die Kinder verüben irgendeinen besonders dummen Streich. Das sind die bösen Tage, an denen es gewitterschwül in der Luft liegt, bis das Unwetter sich endlich in einer erregten häuslichen Szene entlädt. Unsere Großmütter pflegten zu sagen, solche Tage feien einfach verhegt mir modernen Frauen aber meinen nach einem solchen Unwetter:„ Wir sind eben alle nervös Und weil wir uns nicht mehr mit der alten Er flärung zufrieden geben, sind wir dem Problem der ,, verberten Tage" ober, modern ausgedrückt, des ,, nervösen Haushalts" mehrfach auf den Grund gegangen und haben versucht, es zu lösen und zu beantworten. Jedes moderne Haushaltsbuch, jeder Kursus einer Haushaltungsschule weist warnend auf diese Tage hin und empfiehlt Gegenmittel zu ihrer Beseitigung: Vorherige feste Tageseinteilung, planvolle Anordnung der Arbeiten, durchdachte Ausführung. Ferner wird immer wieder auf
die Wunderwirtung der Paufen
hingewiesen, jener turzen Spannung der Erholung und der absoluten Ruhe, die jede Nervosität, jede Unruhe auszuschalten oder wenigstens zu dämpfen imftande sind. Friz Klatt hat sogar über den Wert der ..schöpferischen Bause" ein ganzes Büchlein geschrieben, das in intereffanter und fesselnder Weise die Notwendigkeit dieser Ausspannung für jede tätige Frau darstellt. Alle diese Lösungen sind zweifellos vollkommen richtig in der Theorie. Weiche Schwierigkeiten der richtiger Bray Ausführung aber in der Praxis des Arbeiterhaushalts entgegenstehen, das wissen meist nur die Frauen, die einen solchen Haushalt zu leiten haben. Oft find sie berufstätig und deshalb gezwungen, die Arbeit daheim auf wenige Abendstunden zusammenzudrängen. Müde und abgehetzt kommen sie nach Hause, wo ein neuer Berg von Arbeit auf sie wartet. In einem oder zwei engen Räumen ist die ganze Familie zusammengepferchtwo soll die Hausfrau des proletarischen Haushalts ein stilles Plätzchen finden, wo fie aufatmen und den Segen der schöpferischen Bause" genießen fann? Die Haushaltsbücher wissen wohl Rat für die in geordneten Verhältnissen debende Frau, wer aber hilft der Proletarierin?
Ellen Key , die große schwedische Frauenrechtlerin, erzählt ein mal von einer solchen Arbeiterin, die mit ihrer Famille in den ärmdie mit ihrer lichsten Verhältnissen hauste. Sie war den ganzen Tag von der Arbeit, von Haushalt, Mann und Kindern in Anspruch genommen, und die enge Wohnung verstärkte noch das Bedrückende und Unfreie ihres Lebens. Aber sie wußte Rat. Nach dem Mittagsmahl setzte fie fich still in eine Ede und hing fich ein großes grünes Tuch über den Kopf. Das trennte fie von ihrer Umgebung, das schuf ihr eine furze Zeit des Alleinseins mit sich selbst, ein paar Minuten förperlicher und geistiger Ausspannung. Erhob sie sich nach dieser Pause, dann war sie neu gestärkt und ging mit Freude und Ueber
legung wieder ihrer Arbeit nach.
Bielleicht ist manche deutsche Arbeiterfrau versucht, die kleine Erzählung der schwedischen Dichterin ins Lächerliche zu ziehen. Aber fie enthält eine tiefe Weisheit, und ihre Verfasserir hat mit feinem Empfinden erfaßt, was den Frauen fehlt, die in dauerndes Heße ihr Tagewert vollbringen müssen:
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Die innere Sammlung.
Gewiß man lönnte der kleinen Erzählung eme audere Wendung geben: Man fönnte die arme schwedische Proletarierin in ein geräumiges, behagliches Heim versehen, in dem sie die Mittel und die Beit hätte, in einem ganz anderen Maße an sich zu denken, in dem
sie feines grünen Tuches mehr bedürfte, um ein paar Minuten Einsamkeit zu haben. Aber solche Lösungen, solche Wunder sind nur im Märchen, nicht aber in der harten Wirklichkeit zu finden.
In der herben Alltäglichkeit unseres Zeitalters gibt es nur einen Weg, der die proletarische Frau aus den qualvollen Nöten ber menschenunwürdigen Wohnverhältnisse, der bedrückenden Sorgen um das Auskommen und der daraus entspringenden inneren Zerrissen. heit und seelischen Unruhe befreien tann. Es ist kein Weg des Wunders, der von einem Tage zum anderen das Schicksal Tausender und aber Tausender ändern könnte, sondern es ist ein harter Weg der Arbeit, des konsequenten Kämpfens und Ringens. Nur durch wirtschaftlichen und politischen 3 usammenschluß fann er zu einem erfolgreichen Ende geführt werden. Darüber hinaus aber kann auch heute schon jede einzelne Frau tas ihre dazu tun, diese Arbeit durch ihre seelische Einstellung zu unterstützen. Denn die Haltung der armen schwedischen Proletarierin ist gleichzeitig einSymbol: Sie bedeutet die Auftehnung gegen das Herkömmlicy, gegen das Bequeme, das Bürgerliche. Sie ist der Ausdruck eines stolzen Selbstvertrauens, das mit vollem Bewußtsein ihres innerlichen Wertes ihr Leben selbst in die Hand und sich selbst in Zucht nimmt. Die Seldin der kleinen Geschichte hat begriffen, was tein Haushaltbuch, fein Kurjus einer Haushaltungsschule den Frauen jemals gejagt hat: Der nervöse Haushalt", d. h. die innere Ver zweiflung und Müdigkeit einer überfasteten Arbeiterin kann nur überwunden werden, wenn jede Frau die Kraft und den Mut auf:
bringt, ihr Recht auf Menschenwürde, ihrer Willen zu innerer Sammlung und zu überlegtem Handeln immer wieder unbeirrt zu verfechten.
Elke.
Deutsche„ Dichter" und der§ 218.
Eine medizinische Zeitschrift, die Biologische Heilkunst", hatte fich an eine Reihe bedeutender Künstler, Gelehrte und Organisatoren gewandt und sie um ihre Stellung zum§ 218 des Strafgesetzbuches befragt. Die eingelaufenen Antworten, gleichgültig, ob sie fich für oder gegen Aufhebung des Abtreibungsparagraphen aussprechen, stehen durchweg auf einer bemerkenswerten Höhe- mit zwei Ausnahmen, das sind die Antworten der Dichter und Schriftsteller Will Vesper und Hanns Heinz Ewers , deren Bücher, obwohl fid dem Gedankenkreis des Proletariats vollständig fernstehen, auch in Arbeiterkreisen viel gelesen werden Will Vesper antwortete auf die Umfrage:
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Ich bin der Ansicht, daß man diejenigen, die ihre Kinder abtreiben wollen, soll abtreiben lassen, damit diese minderwertige Rasse ausstirbt und unser Bolt sie fos ist."
Noch beschämender als diese gewiß doch recht alberne und von feiner ernsten Einstellung zur Frage des§ 218 zeugenden Antwort Will Vespers ist die von Hanns Heinz Ewers , der nicht etwa nur feine auf Erhaltung des Abtreibungsparagraphen gerichtete. Meinung zum Ausdruck bringen wollte, sondern diese Meinung in eine Form kleidete, die allen ernst an der Lösung dieser Frage arbeitenden Menschen die Schamröte ins Gesicht treiben muß. Er schreibt:
§ 218, Jadumeingott, was soll man dazu sagen! Es ist wirklidy höchste Zeit, daß das Hohelied der Lehre von der Abtreibung als Pflichtunterrichtsgegenstand in den Mädchenvolksschulen eingeführt wird. Man müßte zunächst mit theoretischem Unterricht anfangen und sollte zur Belebung der Unterrichtsstunden sowohl Anschauungsunterricht an Tafeln und Modellen, wie auch hübsche kleine Verschen zum Auswendiglernen geben....“
Zu diesen infamen Ausfällen ist wohl jedes Wort der Kritit zu schade....!