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Hans nimmt mich auf den Arm.

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Wir kommen eben von der Freundschaft", die zusammen mit der Freien Turnerschaft ein Feft gefeiert hat, und Hans ist sehr stolz, daß er wieder mal im Zuge mitmarschiert ist, gleich hinter der roten Fahne. Nun müssen wir aber nach Haufe; auf der Straße treffen wir einen Jungen, dem meln Herr Sohn stolz und wichtig zunickt. Der is aus unserer Straßel"-S0? gehört denn der auch zur Freundschaft?" ,, Nein, der is bloß von nebenan. ,, Möchte ich bloß wissen, wie der nu hierher tommt!"- ,, Vielleicht is er durch die Luft geflogen..ja, fannfte glauben, richtig!" Und mein Herr Sohn sieht mich erwartungsvoll an: Bielleicht falle ich doch darauf rein. aber denn! Und er strahlt, als ich mich todernst umsehe und dann erffäre, daß doch gar fein Flieger zu sehen ist. Nein, von alleine bloß aufgepustet hat er sich! Meinste nich?!" Was soll man nun dagegen machen?! Die Spizbubenfreude Leuchtete dem Halunten aus den Augen: Sollte ich ihm nun etwa einen Vortrag darüber halten, daß ein braver Junge nicht schwindelt und ihm beweisen, daß große Leute viel zu schlau sind, um an fliegende Jungens zu glauben aber nicht zu schlau, um nicht teinen Leuten die Geschichte von Rifofaus zu erzählen, der alle Balkons nach den Schuhen der braven Kinder absucht und die Mohrrüben für fein Efelchen abholt? Na, ich half mir diplomatisch: Ich kniff das linte Auge zu und fah meinen Herrn Sohn lachend an: Also Schwindler fehen aus wie Menschen- wer's nicht weiß, fann sie nicht unterscheiden! Meinste nich?!" Und mein Herr Sohn bemühte sich, ebenfo diplomatisch mit den Augen zu zwintern. Die Angelegenheit war ohne längere Erklärung und Eingeständnis awischen uns beigelegt und wir hatten beide unsere Würde gewahrt; er hatte mir bewiesen, daß er ein großer Mann ist, der mich eben so schön foppen fann wie ich ihn toppe und ich hatte ihm bewiesen, daß ich eine große Frau bin, die nicht auf jeden Schwindel rein fällt. Mein Herr Sohn ist jekt ja fängst heraus aus dem Alter, in dem man noch weint, wenn eine Mama behauptet, sie hätte die Nase abgebissen; wir übertrumpfen uns jegt in schauderhaften Drohungen und Geschichten und beweisen uns dann immer, daß alles ja doch. bloß große Quatschmacherei" ist. Wenn er wieder mat ein Baar Hofen ausgewachten hat, dann habe ich ihm ge­wöhnlich gedroht, daß ich aber nun von der Schneiderin ein Paar Aufnäher in seine Beine nähen ließe, es ginge nicht, daß er die Beine fo lang durchstecke und heute sagte er mir auf diese Drohung überlegen lächelnd: Da sind ja denn noch die Knochens drin, die kann sie nich nähen, äh!" Mir aber droht er, er würde mich auffreffen, wenn er vielleicht feine zweite Strippe zum Frühstück friegte und ich muß in allem Ernst beweisen, daß ich in seinem Bauch doch nicht Plaz habe

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Was wohl an diesen Schauergeschichten schuld hat? Ich weiß es genau: Es ist ein wunderschönes Buch, aus dem wir nun schon ein halbes Jahr lang alle Morgen eine Geschichte lesen: Grimms Märchen . Ich weiß, es gibt Erzieher, die das Märchen, und nun gar das Volksmärchen mit seiner manchmal recht blutrünftigen Fabel durchaus aus unseren Kinderstuben verbannen wollen. Die Märchen sollen einen ungefunden Anreiz auf die Phantasie der Kinder ausüben, sollen ihre tieinen Seelen durch fremdes Leid frant machen und angreifen. Ich selbst habe mit dem Märchen­erzählen sehr zurückgehalten, bis ich einmal meinen Herrn Sohn fand, als er im After von drei Jahren ftreichelnd und beinahe meinend die Käßchen auf einem Bild bedauerte, denen nach seiner Meinung gerade ein schauderhaftes Unrecht geschah und bis der Junge mir mal von einer Belannten mit der Heinzelmännchen­gefchichte richtig angegrault" war. Da merkte ich, daß er uns doch faft unmöglich ift ,,, iterzieher" auszuschaffen und es schließlich und endlich nur darauf ankommt, Leben und Lüge und Märchen fäuberlich schon in den erfien Lebensjahren unserer Kinder zu trennen und zu schlichten. Nicht das Märchen ist das Gift für die findliche Phantasie, sondern eine Erziehung, die dem Märchen nicht dem ihm gebührenden Blat anweist und dem Kinde die Flucht ins Märchenland" verlodend macht oder Märchen zum Schred­gespenst der Kindertage werden läßt. Die Heinzelmännchengeschichte ist wunderschön, wenn sie Wunschtraum fleiner und großer Faul pelze bleibt und wenn es feststeht, daß die Heinzelmännchen nun ein für allemal von dem efelhaften Schmelderweib vergrault worden find, aber sie kann zum Alporuck werden, wenn das Kind fürchtet, baß nachts heimlich aus allen Löchern Heinzelmännchen triechen und vielleicht sogar kleine Kinder gegen Wechselbälge austauschen Wenn jede alte Reifigsammlerin zur allen Here" gestempelt wird, ist der Wald, ist jedes alte Weib unheimlich. Wenn die ganze Ge­fchichte vor vielen Jahren im Märchenland spielte und heute felbft verständlich der Förster viel zu gut aufpaßt, dann ist das ganze ein glorreiches Spiel, in dem die Gerechtigkeit, fiegt. Die afte Here hat ganz recht gehabt! Kleine Jungs fchmeden am besten aber bloß, wenn sie frisch gebadet sind!" Aber die Gretel hat doch am rechtesten gehabt, die hat sie in den Ofen geschoben! Schieb die Mama in'n Ofen!"- ho! geht ja gar nicht! Wir haben ja gar nicht jo'n großen Ofen!"

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So viel vom Graufen". Nun zur anderen Seite, der Flucht in das Märchenland. Das Kind, dem feine richtige Stellung in der Familie gesichert ist, wird fein Verlangen haben, die auch nur in der Phantasie gegen die eines Märchenprinzen einzutauschen. In das Märchenland" flüchtet sich der Unterdrückte, der sich im späteren Leben auch dann einen Wachtraum schafft, wenn ihm in der Jugend

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alle Märchenbücher vorenthalten worden sein sollten. Charakteristisch dafür ist mir ein Wachtraum", den ich selbst in der Zeit von meinem 12. Lebensjahr hatte, in dem ich mich zu Haus aus den verschiedensten Gründen herzhaft unglücklich fühlte. Ich war alt genug, um begriffen zu haben, daß Geld der Schlüssel zum irdischen Glück ist, daß das Märchenland lange verfant und zu alledem hatten wir in der Schule gerade Zinsrechnung. Da habe ich Tage und Tage damit ausgefüllt, von einem fabelhaften Bermögen von 18 Millionen zu träumen, daß ich besaße. 18 Millionen mußten es fein, fovief brauchte ich gerade, um für alle Leute au forgen, ble ich gern hatte und für eine Menge armer Leute außerdem ohne daß das Geld alle wurde, alles von den Zinsen! Und Blatt um Blatt meines Tagebuches füllte ich mit der Zinsrechnung von den 18 Millionen Mein Herr Sohn aber spart höchft real alle Hanselpfennige für seine nächste Sommerreise nach Bayern und freut fidh , daß die Büchle immer flappert: Hanselgeld, Hansel geld! Er braucht fein Märchenland und weiß, daß wir alles tum um feinen Wunschtraum Wieder nach Bayern " verwirklichen au fönnen.

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Und dann die Lüge. Kinderfügen haben zwei Wurzeln: Die Angst und die Phantasie. Die Angst lönnen wir hier ausschalten; die Phantasielüge hat ihren Grund darin, daß eben das Kind sein tägliches Leben als grau und sich selbst als unterdrückt empfindet. wird fein gesundes Selbstgefühl nicht gebrochen, so hat es feinen Grund, zum Brahlbans zu werden. Nur ein verprügelter Hund wird zum Angstbeißer". Schon eine Fahrt in den herbstlichen Bald, abseits der Straße, Kastaniensuchen unter goldlaubigen Bäumen kann dem Kinde zu einem großen Erlebnis werden, und die Beobachtung eines Ameisenhaufens, in den man ein paar Krümchen Zucker wirit, macht diesen Wald ebenso interessant, aber doch zu einem ganz anderen Gebilde, als den Märchenwald mit der Räuberherberge. Auch davon fäßt fich großartig erzählen und man ist damit den anderen fo fotoffat überlegen! Kinder haben von Natur ein fehr feines Gefühl für die Unterschiebe. Sehr schön fand ich immer die Klaffifitation der fleinen Renate, für die der Bär im zoologischen Garten ein richtiger Bär", ihr Teddybär ein lebendlicher Bär"( lebendig- wirklich und der Bär im Bilderbuch ein tun als obper Bär" war. Auch meinem Jungen, der ble gräßliche Geschichte vom Machanbelboom auf eigenen Wunsch er­zähit bekommen hat und dabei nicht mit der Wimper zuckte, fraten die Tränen in die Augen, als ich von einem Jungen las, der feinem Teddybären die Dhren abgeschnitten hatte. Denn daß man einen einen Jungen nicht lochen darf, ist ihm ganz flar und er ft ein großer Anhänger der Theorie, daß nicht fein fann, was nicht sein barf", aber bel dem Schmuselbären ist die Lötstelle, die Märchen und Wirklichkeit verbindet.

Go lange wir aber dem Leben geben, was des Lebens ist und dem Märchen sein Reich säuberlich abgrenzen, brauchen wir feine Furcht zu haben, daß das Märchen das Leben unserer Kinder stören oder zerstören könnte. Unsere Märchen enthalten wertvollstes Gut und Wissen des Voltes, und wenn Schelmenmärchen den Sinn für Humor, Groteste und Eulenspiegelel in unseren Kindern befreien, so sollten wir damit ganz zufrieden sein. Sie werden in ihrem Leben noch genug davon brauchen. Rose Ewald..

Kindergeift.

Sufi ist eine lehr gute Schülerin, befommt aber am ersten Tinte- Schreibetag 3-4, weil sie zma Riedle gemacht hat. Darauf felt fie fich zu Haule hin und schreibt einen Brief an den heiß geliebten Lehrer:

Herr H. die fade mit bem 3-4 finde ich gemein. Wenn man das erstemal schreibt, t...

Soweit fam fie, als Mutti bas unpassende Bapler und auch den Tert, besonders die Anrede beanstandete: Herr H.? Sonst nichts?" ,, Na, ich zant doch mit ihm, da fann ich doch nicht schreiben: ribe. Lieber Herr H."

Meinem kleinen Burzel ist beim Umhertollen im Garten ein Unglüc paffiert. Mit ernster Miene nimmt ihn der Vater am Arm: Sag' mal, wann ist denn das geschehen?" Mit großen Augen starrt der kleine Kerl auf den verräterischen feuchten Fled. Der fleine Mund zuckt bedenklich. llebermorgen!" kommt es endlich mit freuherzigem Augenaufschlag heraus und ein erleichtertes Schluchzen bringt aus der kleinen Bruft.

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In aller Frühe ist mein kleiner Burzel erwacht und aus seinem Bettchen geklettert. Vorsichtig beugt er sich über mich und versucht mit seinen Fingerchen meine Augen zu öffnen. Du, Mutti, mußt mir eine Gefchichte erzählen!"- Ach, Ich bin noch so müde, erzähl du mir lieber was." ,, Ja, ich erzähl bir... Da waren einmal viele Kinder und da war einmal ein gro- o- ßes Haus... und da sprangen die Kinder über das Haus und da waren sie tot... Und da tamen vie- le große Leute und da fagten die großen Leute: Ach Gott, Kinder, le seid ihr tot!..." A. L..