IZ6 Für unsere Kinder tröpfchen aber zu schwer, und es schüttelte sein Köpfchen. Das Tröpfchen fiel herunter und rollte nun bis zur Quelle hin. Hier fand es viele Brüderchen und Schwesterchen und lief mit ihnen das Waldbächlein hinab, an der großen Wassermühle vorbei, biS es zu einem großen Fluß kam. Hier half es mit seinen Geschwistern die großen Schiffe tragen und floß immer weiter, immer weiter bis ins Meer. Da war unser Regentröpfchen nun wieder zu Hause. Aber bald wurde es ihm hier wieder zu langweilig, und es bat wieder die Sonne um einen Strahl, damit es zu ihr hinausklettern könnte. Die Sonne schickte einen Strahl, und unser Tröpfchen kletterte lustig hinauf zu ihr. Oben war es aber wieder sehr heiß, und das übermütige Waffertröpfchen wollte bald wieder hinunter. Die Sonne schickte es hinab zur Erde, wieder wurde es ganz leicht, und eS fiel und fiel immer weiter. Da merkte es, daß es kalt geworden war, und fing an zu frieren. Und es kroch ganz in sich zusammen und war gar kein lustiges Tröpf chen mehr. Es wurde kälter und immer kälter und ganz schneeweiß. Es fiel und sank auf ein großes, weites Feld. Da standen aber keine Ähren und leine Blumen mehr, das Feld war weih. Unser Regentröpfchen war ein Schneesternchen geworden und lag da mit seinen Geschwistern und bedeckte die Wurzeln der Feldblumen. Aus dem Kornfeld war ein Schneefeld geworden. Dort lag unser Regen tröpfchen als Schneesternchen, bis der Frühling kam. Da schien die Sonne so warm, daß unser Schneesternchen gar nicht mehr fror. Es ver wandelte sich wieder in ein kleines Wasser tröpfchen. Das Tröpfchen sank tief in die Erde hinein, und die Wurzeln der Feldblumen tranken alle Waffertröpfchen auf. Der Schnee ver schwand, und die Blumen streckten bald wieder ihre Köpfchen heraus. Sie hatten ihren Durst gelöscht und standen kerzengerade in der Sonne. Die Sonne schien immer wärmer und wärmer, und es wurde so warm, daß selbst die Sonne begann, durstig zu werden. Da fing sie an, aus den Blumen zu trinken, und trank auch unser Waffertröpfchen aus einer Feldblume. Nun war es wieder bei der Sonne. Bald wurde es aber von dieser wieder hinunter zur Erde geschickt, und es fiel in einen großen, großen Teich. Hier konnte es sich tummeln, daß es eine Lust war. Aber nach einiger Zeit wurde es kälter und immer kälter, und unser Tröpfchen konnte gar nicht mehr lustig springen und tanzen. Es bekam ganz steife Ärmchen und Beinchen und klammerte sich in seiner Angst ganz fest an seine Geschwister an. Da hörte es, wie ein kleiner Bube zum anderen sagte:»Du, ich glaube, unser Teich wird morgen zugefroren sein, dann können wir Schlittschuh laufen.� Waffertröpfchen hörte das und war sehr er staunt. Es wurde müde, sehr müde und schlief fest ein. Es schlief den langen, langen Winter hindurch, bis es im Frühjahr von der Sonne wieder aufgeweckt wurde. Waffertröpfchen har noch viele, vieleReisengemacht, und ein anderes Mal erzähle ich euch von einer anderen Reise." »Weißt du, Mutterchen," sagte Fritz,»jetzt habe ich keine Langeweile mehr. Wir wollen uns ans Fenster setzen und all die Regen tröpfchen ansehen. Vielleicht sehen wir da, woher sie kommen."»Das ist recht, Fritzchen, das tut nur, und wenn einer von euch steht, woher ein Regentröpfchen kommt, dann erzähl: er es, nicht wahr, Kinderchen?" z-m Tußmann. O o o Der Esel und der Stier.* Bon Just Friedrich Wilhelm Zacharia. Der Esel ging einst auf der Weide Mit einem Stier. Da hörten beide Viel Lärm, als wie von einem Heer. Und in den Dörfern rund umher Zu Sturm mit allen Glocken läuten. .Was," sprach Herr Heinz-,»mag das be deuten?" „Ach, Freund," erwidert ihm der Stier, »Ich zittre schon, der Feind ist hier! Laß uns sogleich von bannen fliehn, Bis daß die Plündrer weilerziehn; Bekämen sie uns hier zu fassen, Wir müßten beide Haare lassen." Der Esel sprach hierauf:»Ei nun, Willst du entfliehn, das kannst du tun. Dir grauet, daß du wirst erstochen Und sie dich schlachten, schinden, kochen? Vor diesem allem bin ich frei. Mein Schicksal bleibt stets einerlei, Und ich muß unter gleichen Plagen Die Säcke doch zur Mühle tragen." " Aus dem Buche»Fabeln und Parabeln der Weltliteratur". Gesammelt und mit literar-hislo- rischcn Einführungen herausgegeben von Theodor Etzel . Leipzig , Max HesseS Vertag. — Heinz ist bei unseren alten Fabeldichtern der Name des Es-tS, so wie Henning des Hahn», Murner der Katze, Isegrim des WolseS, Petz de» Bären, Reinhard oder Reinckc deS Fuchse«, Lampe des Hasen, Morien des Affen Name ist.
Ausgabe
6 (10.5.1909) 16
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