Für unsere Kinder 203 kriegt. Was das Mädchen uns geantwortet hat. ist ja sinnlos. Wie könnte eine Familie mit so wenig leben, wie sie gesagt hat; das gibt es gar nicht." Life starrte die beiden klugen Leute ganz fassungslos an. Sie wollte sich verteidigen, aber es war ihr, als ob in ihrem Halse langsam eine feste Kugel emporstiege. Sie wußte, daß sie jetzt bei dem ersten Worte, das sie sagte, in Tränen ausbrechen würde. Und vor diesen Menschen wollte sie nicht weinen! Mitten in ihrem großen Zorn kam ihr plötzlich ein Gedanke, der all ihr« Em pörung und ihren Schmerz spurlos fortfegte. Sie wußte mit einem Mal, warum diese Leute ihr nicht glaubten. Weil sie selbst noch nie Not gelitten hatten, konnten sie nicht begreifen, daß es solche Not gab, wie daheim bei ihr. Sie konnten auch nicht verstehen, daß schon die Kinder ihr Teil von dieser Not tragen und tapfer dagegen kämpfen mußten. Ob wohl die dicke Dame lo mutig und rastlos arbeiten konnte wie die Mutter zu Hause? Ob wohl das nase- rümpfende Backfischchen die Kraft halte wie sie selbst, nachts aufzusitzen und zu nähen, am Tage bei Wind und Wetter hausieren zu gehen? So fragte sich das Mädchen, und mit stolzer Freude empfand die kleine verachtete und beschimpfte Hausiererin, daß sie mehr konnte als diese Herrschaften. Sie konnte Not ertragen und für ihr Leben arbeiten. Was den Leuten da als etwas Unerhörtes, Unglaubwürdiges er schien, das durchlebte sie Tag sür Tag, und dabei hatte sie noch ihre kleinen und großen Freuden! Und nicht nur sie allein; ihre Mutter und Geschwister und viele, viele andere, die sie kannte, arbeiteten wie sie und lebten wie sie. Täglich erkämpften sie arbeitend ihr Stück Brot. Waren die nicht alle viel mutiger und stärker als die Leute hier, die sie der Lüge ziehen? Life sah ihre Umgebung fast mit leidig an, und während sie ihre Kiepe auf den Rücken nahm, sagte sie:„Ob Sie mir glauben oder nicht, das ist mir ganz gleich; aber wenn Sie mir nicht glauben, warum fragen Sie dann immer weiter?" Damit ging sie hinaus. Hmter ihr klang ein Durcheinander von schel tenden Worten.„Unverschämt! So eine freche Kröte! Aber so sind sie alle." Life kam sich so stark vor, daß sie hell auflachte. Sie reckte sich so gerade empor, wie es die schwere Last auf ihrem Rücken nur immer erlaubte, und während sie in der zunehmenden Dämmerung schnell dahinschritt, sprach sie lächelnd vor sich hin:„Ja, so sind wir alle, alle." Emma D-ltz. Zwei heimgekehrte. Von Anastasius Grün . Zwei Wanderer zogen hinaus zum Tor, Zur herrlichen Alpenwelt empor. Der eine ging, weil's Mode just, Den andern trieb der Drang in der Brust. Und als daheim nun wieder die zwei, Da rückt die ganze Sippe herbei, Da wirbelt's von Fragen ohne Zahl: „Was habt ihr gesehen? Erzählt einmal!" Der eine drauf mit Gähnen spricht: „Was wir gesehn? Viel Rares nicht! Ach, Bäume, Wiesen, Bach und Äain, And blauen Kimmel und Sonnenschein!" Der andre lächelnd dasselbe spricht, Doch leuchtenden Blicks, mit verklärtem Gesicht:' „Ei, Bäume, Wiesen, Bach und Äain, And blauen Kimmel und Sonnenschein!" ovo Eine Floßfahrt auf dem Main. Vlkl. Im Kampf mit Sturm und Wellen. Die Prophezeiung des„langen Schorsch", unseres braven Steuermannes, wir würden weiter schönes Wetter haben, ging leider nicht in Erfüllung. Als wir zur gewöhnlichen Morgenstunde von unserem Strohlager auf standen und zur Bretterhütte hinaustraten, um die Anker zu lösen, waren wir noch von dichtem Nebel umhüllt. Auf eine größere Ent fernung als zehn Schritte ließ er nicht das Geringste mehr erkennen. Statt der aufgehen den Sonne, deren warme Strahlen sich an den anderen Tagen über die waldigen Berg rücken stahlen und die Wasserfluten schim mernd verklärten, begrüßte uns ein feucht kalter, heftiger Wind, der über die Strom fläche strich und einem ins Gesicht fuhr, daß man fröstelte. Was man vom Himmel sehen konnte, war bleigrau, und dicke, trübe Wolken hingen tief herab. Diesmal war richtiges Wetterprophezeien leicht.„Fettheine" betrach tete sich eine Weile tiefsinnig die mißlichen Wetterzeichen und schnupfte aus Arger eine Prise nach der anderen. Als er darauf den Aus spruch tat:„Wir kriegen ein Hundewetter", begegnete er keinem Widerspruch. Wegen des starken Nebels, der viel länger als sonst über dem Wasser lagerte, konnten wir erst eine
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6 (27.9.1909) 26
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