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Johanna Sebus  .

Von Wolfgang Goethe  .

Für unsere Kinder

Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen, Guten aus dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809 bei dem Eisgang des Rheins und dem großen Bruche des Dammes von Cleverham Silfe reichend unterging. Der Damm zerreißt, das Feld erbrauft, Die Fluten spülen, die Fläche ſauft. " Ich trage dich, Mutter, durch die Flut, Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut." ,, Auch uns bedenke, bedrängt wie wir sind. Die Bausgenossin, drei arme Kind! Die schwache Frau!... Du gehst davon!" Sie trägt die Mutter durchs Waffer schon. Zum Büyle da rettet euch! harret derweil; Gleich kehr' ich zurück, uns allen ist Seil. Zum Bühl   ist's noch trocken und wenige Schritt; Doch nehmt auch mir meine Siege mit!" Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust, Die Fluten wühlen, die Fläche ſauft. Sie setzt die Mutter auf sichres Land, Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt. Wohin? Wohin? Die Breite schwoll; Des Wassers ist hüben und drüben voll. Berwegen ins Tiefe willst du hinein!" Sie sollen und müssen gerettet sein!" Der Damm verschwindet, die Welle brauft, Eine Meereswoge, sie schwankt und saust. Schön Suschen schreitet gewohnten Steg, Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg, Erreicht den Bühl   und die Nachbarin; Doch der und den Kindern tein Gewinn! Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's, Den fleinen Sügel im Kreis umsaust's. Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund; Das born der Siege faßt das ein', So sollen sie alle verloren sein! Schön Suschen steht noch strack und gut: Wer rettet das junge, das edelste Blut? Schön Suschen steht noch wie ein Stern, Doch alle Werber sind alle fern. Rings um sie her ist Wasserbahn, Rein Schifflein schwimmet zu ihr heran. Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf, Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf. Kein Damm, tein Feld! Nur hier und dort Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort. Bedeckt ist alles mit Wasserschwall; Doch Suschens Bild schwebt überall. Das Wasser finkt, das Land erscheint, Sno überall wird schön Suschen beweint. Und dem sei, wer's nicht singt und sagt, Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

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Etwas über die Entstehung

der Schrift.

Vielen von euch, liebe Kinder, wird es ähn lich gegangen sein wie mir, als ich lesen lernte. Eine neue Welt tat sich damals vor mir auf. Es erschien mir so herrlich, nun ergründen zu fönnen, was gute und große Menschen gedacht und getan haben, Verständnis zu bekommen für alle Entdeckungen und Erfindungen, an der Hand der Bücher Reisen zu machen in fremde, seltsame Länder, den Märchenerzählern und Dichtern folgen zu können in das unend. liche farbenschillernde Neich der Phantasie. Kurz, ich konnte mir bald nicht mehr vor­stellen, daß es eine Zeit gegeben hatte, wo mir all die Herrlichkeiten, die mir die Bücher er­schlossen, ein unergründetes Geheimnis waren. Ich meine, vielen von euch wird es ebenso gehen, andere werden vielleicht noch im Lernen eine recht unwillkommene Plage sehen. Aber auch sie dürfen den Mut nicht verlieren, son­dern sollen die Schwierigkeiten heiter über­winden. Der Lohn, der ihnen dann zuteil wird, wiegt reichlich die Anstrengungen auf.

Es gab eine Zeit, und sie liegt noch gar nicht so weit zurück, da das Lesen und Schreiben noch fein Allgemeingut war, sondern nur von einzelnen Bevorzugten verstanden wurde. Die Kinder der Reichen allein wurden im allge­meinen des Unterrichts teilhaftig, der oft mangelhaft genug war. Aber eine Schrift hat es schon sehr frühe und bei allen Kulturvölfern gegeben. So hatten zum Beispiel die alten Ügypter schon in vorgeschichtlicher Zeit, mehr als vier Jahrtausende v. Chr., die sogenannte Hieroglyphenschrift, das ist eine Bilderschrift. Die einzelnen Worte wurden durch kleine Bilder ausgedrückt, welche den Gegenstand oder ein Sinnbild des Gedankens, des Bes griffes darstellten. So wurde zum Beispiel die Sonne durch einen Kreis, der Mond durch ein mondfichelartiges Zeichen schriftlich zum Ausdruck gebracht, die Kraft und Stärke durch einen Löwen  . Solche Hieroglyphen finden sich auf Bapyrusrollen das sind papierähnliche Streifen, die aus den zusammengepreßten und geleimten Schaftfasern der Papyrusstaude her­gestellt wurden- oder in Stein eingemeißelt oder auch auf ihn gemalt in den großen ägyptischen Grabdenkmälern, den Pyramiden. Sie sind noch heute, nach mehr als viertausend Jahren wohl erhalten, und waren von jeher der Gegenstand gelehrter Forschungen. Es ist ben Gelehrten gelungen, fast alle zu entziffern,