124 Mr unsere Kinder geblich mühe ich mich, die strampelnde Un geduld zur Ruhe zubringen. Alsred packt seine Geschwister an den Haaren:Aufthen, Sonne, Sonne." Bald sind die beiden wach. Was bleibt mir übrig, auch ich muß heraus. Kaum dämmerte der Tag. Es ist drei Uhr vorbei. Von der Kammer aus kann ich nicht sehen, wie das Wetter sich anläßt, der Apfelbaum ist zu dicht. Wir steigen hinunter in die Küche und machen uns einen Topf Milch warm. Nicht solch bläu liche Flüssigkeit, wie sie in der Stadt vom Milchmann gebracht wird, sondern gelbe, fette Milch. Ich strecke den Kopf zur Tür hinaus, das Wetter ist zweifelhaft. Der größte Teil des Himmels ist mit schwarzen Wollen über zogen, im Osten dampfen Nebelmassen. Na, wir wollen uns trotzdem aus Hohpa als Wetter propheten verlassen. Vier Uhr sechs geht nach dem Kalender die Sonne auf. Da heißt es eilen, um einen günstigen Platz zu erreichen. Aber wo! Nach den Bergen des Solling   ist es zu weit, vor uns die Berge sind zu steil. Wir müssen talaufwärts gehen, vielleichtkönnen wir dann im Leinetal den Aufgang der Sonne beobachten, falls diese überhaupt zum Vor schein kommt. Wir stampfen vorwärts, den Kleinen trage ich huckepack, die anderen beiden folgen mir. Um uns dampfende Nebel, die uns entgegen wirbeln, als ob soeben ein Eisenbahnzug vor übergesaust wäre. Kaum sind die einzelnen Baumstämme zu unterscheiden. Jetzt macht der Pfad eine scharfe Biegung nach links, das Tal ist zu Ende, wir stehen auf dem Hoch plateau. Die wallenden Nebel ziehen uns nun nicht mehr entgegen, sondern streichen an uns vorüber, als wenn große Reitermassen an uns vorbeistürmten. Leider, leider habe ich vollständig die Him melsrichtung verloren, ich weiß nicht, wo Osterode  , Nordhausen   oder Göttingen   liegen mag. Ich zweifle, ob wir überhaupt die Sonne zu sehen bekommen. Was soll ich mit den un geduldigen Kindern anfangen, wie sie trösten? Es ist zehn Minuten nach vier, die Sonne müßte schon aufgegangen sein, über uns hat sich der Himmel geklärt. Sollte die Sonne hinter einem Berge stecken? Es wäre doch zu fatal. Da ballt sich plötzlich der Nebel an einer Stelle zusammen, und mitten drinnen erscheint ein blutroter Streifen, die Sonne geht auf.S o n n e, S o n n e!" rufen die Ältesten, der kleine Alsred klatscht m die Hände: ,Papa, Sonne, Sonne," zuvelt er immer wieder. Majestätisch steigt der Sonnenball empor, glutrot, einem mächtigen Wagenrad vergleich« bar! Die aufsteigenden und vorüberstreichen' den Nebel täuschen uns vor, daß die Sonn« sich immerfort um sich selbst dreht, es sieht aus, als ob dies große Rad dahinrollte. D'e Kinder sind vor Staunen still geworden, sie sind ganz Auge. Mit einemmal wird der Rand der großen Scheibe eingedrückt, sie verschwindet langsam hinter einem Harzriesen. Der kleine Alfred wird traurig und umklammert meine Knie:O, Sonne is weg." Langsam treten wir den Heimweg an. Der Nebel verteilt sich jetzt und sinkt herab. Wie ein dicker Schasspelz liegt es feucht und grau auf der Talwiese. Rehe stehend äsend am Gehölzrand. Hin und wieder guckt eins von ihnen ruhig zu uns herüber. Wir stören die schönen Tiere nicht, und sie lassen sich nicht stören. Ter ganze Wald ist lebendig geworden: überall piepsen junge Vögel, die ihr Frühstück begehren, aus manchem Nest klingt es fast wie ungeduldiger Lärm. Mein Töchlerchen ist ein paarmal horchend stehen geblieben. Jetzt späht Lene wieder nach dembewaldetenBerg:Papa," ruft sie,wohnt hier in diesem Berge die Arbeit?" Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Was meint das Kind damit? Und nochmals fragt Lene eindringlich:Horch  , Papa, die Arbeit!" Jetzt wurde mir die Frage klar. Ein Eichelhäher ahmt täuschend das Kreischen der Säge nach. Leider entziehen ihn die dichten Baumkronen unseren Blicken. Die Sonne hat sich nun über die Berge er hoben und wärmt uns den Rücken. Ein gold- durchfluteler Pfingstmorgen ist angebrochen. Die Kinder werden allmählich von Müdigkeit überwältigt, von der Sonne spricht keines mehr. Wir sind endlich wieder bei Hohma. Die Kleider sind bis über die Knie durchnäßt, an den Schuhen klebt Lehm. Hohma kommt eben aus dem Kuh- slall und schlägt die Hände über dem Kopse zusammen, als sie uns sieht. Niemand hat unser Fortgehen bemerkt. Nun stürmen die drei Kinder aus die alle Frau mit dem lieben Gesicht ein.Hohma, die Sonne, die Sonne!" ruft eins immer lauter als das andre. Hohma Hilst Kleider und Schuhe ausziehen, die ge trocknet werden müssen. Dann gibl s Kaffee und Milch und guten Kuchen. Mit gefülltem Mäglein gehen die drei noch ein Stündchen ins Bett. Sie sind todmüde, aber so glücklich, sie haben die Sonne gesehen. Später spielen die Kinder auf dem Rasenteppich im Garten.