Für unsere Kinder

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Wo geht denn hier der Weg?"

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Ich bin ein Wandersmann geworden. Ist| kommen vergnügt und ungezwungen die Weide abgegrast, oder kommt der Sommer, dahergesungen. so breche ich mein Zelt ab, packe die Belt­stangen, die Felle und alles, was mein ist, auf meine Schlitten und ziehe mit meinen Tieren fort, hinauf in die Berge oder dort hin, wo es ihnen nicht an Futter mangelt." ,, Gehst du denn gar nicht mehr auf die Jagd?" ,, Nein, ich habe ja stets Fleisch in Fülle; Bogen und Pfeil gebrauche ich nur noch, wenn es gilt, ein feindliches Tier zu verscheuchen." Gefällt dir solch Leben denn? Ich mag doch lieber an einem Orte leben, und von der Jagd kann ich nicht lassen."

Wir wollen durch den Kindersternenhaufen über den Hügel weg

Ach," war die Antwort des Wagemutigen, ,, die Jagd ist viel zu mühsam. Häufig lauerst du stundenlang, ohne ein Wild zu sehen. Die Not und der Hunger treiben dich hinaus in Sturm und Wetter. Da hab' ich's viel schöner und leichter. Nein, ich bleibe, was ich bin und tausche nicht mit dir."

Am gleichen Tage noch nahm er wieder von seinen Eltern Abschied. Seine Herde wartete seiner Pflege. Auf seinem Schlitten fuhr er über die schneebedeckte Ebene, und die Renn­tiere, die vor dem Gefährt waren, flogen nur so dahin.

Und seine Herde gedieh und wuchs von Jahr zu Jahr. Bald nach seinem Besuch starben die Eltern kurz nacheinander. Das Mädchen zog zum Bruder, und dieser holte sich ein Jahr darauf von einem benachbarten Stamme eine junge Frau. Sie lebten glücklich und zufrieden beieinander. Zu ihren Füßen spielten blühende Kinder, die einst eine statt­liche Herde ihr eigen nennen fonnten. Sie dachten nicht mehr an die Jagd, sondern blieben Viehzüchter und Nomaden.

So ist im Laufe langer, langer Jahre aus dem wilden Renntier ein zahmes geworden, ein treuer Genosse des Menschen im hohen Norden. Roland.

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Ein Bildchen.

Den Rain hinauf, mit trotzigem Alarm fuchtelt ein Kinderschwarm.

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, Vorwärts! Hurra!"

Sut ab! Du schaust kein Spiel.

Den Himmel zu erstürmen gilt das ernste Ziel. Er ist so nah!

Siehst, wie er aus dem Grase guckt dort oben? Zwei Glockentöne, leicht vom Morgenwind gehoben,

die lange Kirschenblütenstraße laufen." Gesagt. Ein Sang, ein Flug: verschwunden in den Kirschen überm Bügelzug. Der Kindersturm aber dort unten hat einen Igel gefunden. In Anbetracht dessen ist der Himmel vergessen.

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Fasanenmutter.

Von Ernest Seton Thomson. II.

Carl Spitteler .

Am dritten Tage waren die Küchlein schon fester auf den Füßen. Sie brauchten nicht länger ängstlich um eine Eichel herumzulaufen, sie konnten schon über Tannenzapfen flettern, und aus dem weichen Flaum guckten die ersten Ansätze von dicken Schwungfedern hervor.

Sie hatten ihr Leben begonnen unter der Pflege einer treusorgenden Mutter, ausgerüstet mit gesunden Beinchen, einem zuverlässigen Naturtrieb und einer Portion Vernunft. Es war Naturtrieb, das heißt ererbte Gewohnheit, die sie hieß, sich aufs Wort ihrer Mutter zu verbergen; es war Naturtrieb, der sie lehrte, ihr zu folgen; aber es war Vernunft, die sie unter dem Schatten ihrer Flügel hielt, wenn die Sonne stechend niederbrannte, und von diesem Tage an leitete die Vernunft mehr und mehr all ihr Tun und Lassen.

Am nächsten Tage zeigten die Schwung­federn schon zarte Federspitzen; am folgenden waren die Federn ganz heraus, und eine Woche später konnten die flaumbekleideten Jungen fliegen wie die Alten.

Doch nicht alle- das Jüngste war schwäch­lich gewesen von Anfang an. Es trug seine halbe Gierschale noch stundenlang, nachdem es ausgekrochen war, es war weniger flink und piepste mehr als seine Geschwister. Als eines Abends beim Angriff eines Stunts* die Mutter, twit! twit!"( flieht! flieht!) rief, war es zurückgeblieben, und als sich die Familie auf dem fichtenbewachsenen Hügel wieder sammelte, fehlte es, und nie sahen sie es wieder.

* Stinktier, gehört zu den marderähnlichen Raub­tieren.