Für unsere Kinder 19l groß dazu, und die Alte begann, die Lebens weise Erwachsener einzuführen. Zurzeit war es sicherer, in den Bäumen zu nächtigen, denn die jungen Wiesel, Füchse, Skunks und Sumpf- oltern fingen an, im Walde umherzulaufen, und auf der Erde wurde es mit jeder Nacht gefährlicher. Mutter Fasan rief darum bei Sonnenuntergang„K— riet" und schwang sich in einen dichten, niedrigen Baum. Die Kleinen folgten, ausgenommen eins, ein eigensinniges Närrchen, das darauf be stand, wie zuvor auf der Erde zu schlafen. Alles ging gut in dieser Nacht, aber in der nächsten weckte die Geschwister ein klägliches Schreien. Dan» folgte Totenstille, die nur unterbrochen wurde durch das nervenerschüt ternde Knacken von Knochen und das woll- lüstige Schmatzen von Lippen. Sie starrten hinab in das grauenhafte Dunkel unter ihnen, und das grünliche Glänzen von zwei dicht- stehenden Augen, ein eigenartig muffiger Ge ruch verriet ihnen, dast eine Sumpfotter der Mörder ihres törichten Bruders gewesen war. Sechs kleine Fasanen saßen nun des Nachts aufgereiht neben ihrer Mutter, doch oft ließ sich eins der Kleinen, wenn es kalte Füße hatte, auch auf dem Rücken der alten nieder. Ihre Bildung machte gewaltige Fortschritte, und die Mutter begann nun, ihnen ein neues Kunststück beizubringen, das„Schwirren". Wenn ein Fasan will, kann er sich ganz leise auf seinen Schwingen erheben, aber zuzeiten ist das Schwirren so wichtig, daß es alle lernen müssen, wie und wann man sich mit sausen dem Flügelschlag erheben muß. Mancher Er folg wird durch das Schwirren gesichert. Es warnt alle Fasanen vor nahender Gefahr, es macht des Schützen Hand unsicher, oder es zieht die Aufmerksamkeit des Feindes auf den Schwirrer, während sich die übrigen still davon machen oder der Beachtung entziehen, indem sie sich zusainmcnducken. ovo Von den Schildbürgern. Der Salzacker. Die Ratsherren von Schilda waren außer ordentlich eifrig, kamen täglich zusammen und zermarterten sich das Hirn für das Wohl der Stadt. Vornehmlich berieten sie darüber, wie man einen Vorrat von Lebensmitteln auf speichern könnte für den Fall, daß einmal eine Teuerung entstünde. Besonders aber redeten sie vom Salze, dessen Zufuhr ihnen der herr schenden Kriege wegen abgeschnitten war und an dem sie eben darum großen Mangel litten. Sie wollten es gern soweit bringen, daß sie eigenes Salz hätten, da sie es in der Küche so wenig entbehren könnten wie den Dünger auf dem Acker. Zuletzt kamen sie zu folgen dem Ergebnis: Da es doch offenbar sei, daß der Zucker, der ja dem Salze ganz ähnlich sehe, wachse, so könne man schließen, daß das Salz ebenfalls auf dem Felde wachse. Auch habe das Salz so gut Körner wie der Weizen, und man sage ebensowohl ein Salzkorn wie ein Weizenkorn. Darum beschließe der wohl weise Rat, daß man ein großes Stück Gemeinde land umpflügen und darauf in Gottes Namen Salz säen solle. Der Acker ward gepflügt und nach dem Beschluß der wohlweisen Ratsherren mit Salz besät. Alle Schildbürger waren in bester Hoff nung und zweifelten nicht, Gott werde seinen Segen im Überfluß zu der Arbeit geben, weil sie ja in seinem Namen gesät hätten. In diesem Vertrauen stellten sie auch Bannwarte auf und rüsteten sie mit einem langen Vogel rohr aus, mit dem sie die Vögel schießen sollten, wenn diese etwa das ausgesäte Salz wie anderen Samen auffressen oder auslecken wollten. Es währte nicht lange, so sing der Acker an, aufs allerschönste zu grünen und die frechsten Kräuter zu treiben. Die Schildbürger hatten eine unsägliche Freude darüber und meinten, diesmal wäre ihnen die Sache wohlgeraten. Sie gingen alle Tage hinaus, um zu sehen, wie das Salz wüchse. Ja, sie redeten sich ein, sie hörten das Salz wachsen wie jener das Gras. Und je mehr es wuchs, desto mehr wuchs in ihnen die Hoffnung. Und da war keiner unter ihnen, der nicht im Geiste schon einen ganzen Scheffel Salz gegessen hätte. Sie befahlen auch den Bannwarten, daß sie schonungslos jedes Pferd oder Schaf, jede Kuh oder Geiß, die sich etwa auf den Salz acker verirrten, fortjagen sollten. Dessenun geachtet kam das unvernünftige Vieh auf den wohlbebauten und besäten Salzacker und fraß nicht nur die herrliche Aussaat von Salz, sondern auch das, was noch hätte wachsen sollen. Der Hüter, der dies sah, wußte wohl, was ihm besohlen worden war. Aber er ver lor den Kopf, denn er war ein Schildbürger, und anstatt das Vieh hinauszutreiben, lief er in die Stadt und meldete das Unheil dem Schultheißen und dem Rate. Man sah auch bald ein, daß dem Bannwart sein Vogelrohr
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6 (29.8.1910) 24
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