106Für unsere Kinderzug des Palmesels bildete für die Kinder immerein Fest, auf das sie sich lange vorher schonfreuten. Doch auch die Erwachsenen kamendabei mit dem Lachen nicht zu kurz. Denn soein Esel konnte sich manchmal äußerst störrischerweisen und führte sich nicht immer so an ständig auf, wie das seine Rolle verlangte.Oder einer aus der Menge machte sich denSpaß, das Grautier zu reizen, und der Reiterauf dessen Rücken hatte dann seine Not, dieerforderliche heilige Würde zu wahren. Sowird berichtet, daß der Pfarrer MelchiorLeichtenhändle in Hainstetten seiner Gemeindeeinmal den Einzug Christi in Jerusalem be sonders schön veranschaulichen wollte. Er ließzu dem Behuf am Palmsonntag seinen Mesnereinen langen schwarzen Rock anziehen undgebot ihm, sich auf den Esel des Dorfmüllerszu setzen. Zwölf hochgewachsene Bauern hatteder Pfarrer ausersehen, die als die zwölfJünger Christi neben dem Esel einherschreitenmußten. Die Gemeinde war vor dem Eingangder Kirche aufgestellt, um den Einzug desPalmesels mit Lobgesang zu begleiten. Abereins von den Kindern, die die Einziehendenmit geweihten Palmkätzchen bewarfen, warfdem Mesner aus Bosheit seine Palmrute ge rade ins Auge. Vor Schreck und Schmerz fielder Darsteller Christi vom Esel, und als ersich vom Boden aufraffte, schrie er den bravenHainstettern wütend zu:„Der Teufel soll euerHerrgott sein, aber nicht ich!"In manchen Orten wurde, wenn kein Eselam Platze war, eine alte Mähre als Palmeselbenützt. Noch öfters aber verwendete mananstatt des lebendigen Esels einen hölzernen.Dergleichen Holzeset sind heute noch in man chen Altertumssammlungen zu sehen. Warendie meisten der hölzernen Palmesel recht plumpgemacht, so gab es doch auch wahre Kunst werke der Holzbildhauerei unter ihnen. Einsolches ist der Palmesel, der in der Altertums sammlung der ehemaligen freien ReichsstadtUlm aufbewahrt wird. Sein Verfertiger sollder berühmte Holzschnitzer Jörg Syrlin sein,der das herrliche Chorgestühl des Ulmer Mün sters geschaffen hat. Ein Prachtstück von einemgeschnitzten Palmesel besitzt auch das MünchnerPriesterseminar Georgianum. Ans dem Rückendes Esels sitzt eine gleichfalls hölzerne nackteChristusfigur, die mit schönen Gewändern be kleidet ward, wenn man den Esel in der Stadtherumführte. In den Dörfern Oberschwabens wurde derhol�i""-- si-,i!emal von den Buben aufdie Emporkirche hinaufgezogen und wiederheruntergelassen. Dabei küßten sie die Christus figur und ließen sich zum Schlüsse der Feiergroße Palmbretzeln schenken. In Rangendingenbrachte jeder Bube dem hölzernen Palmeselzum guten Futter ein Bündelein Heu mit. DerEsel war schön herausgeputzt auf einem freienPlatze des Gottesackers aufgestellt, und derPfarrer stand neben ihm und verlas die Palm sonntagsgeschichte von dem Einzug des Hei landes in Jerusalem. Nach alter Sitte wurdewährenddem der Geistliche von den Kindernmit geweihten Palmkätzchen beworfen. ZuBiberach an der Riß wurde schon um fünfUhr in der Frühe am Palmsonntag eine feier liche Prozession zu der Kapelle veranstaltet, diedraußen vor der Stadtmauer stand. Vorauswurde der geschmückte hölzerne Palmesel ge zogen, hinter ihm schritt die Jugend des Slädt-chens in weißen Kleidern mit grünen Palm zweigen in den Händen, den Beschluß machtendie Männer. Diese trugen brennende Wachs kerzen und schritten, in lange schwarze Mäntelgekleidet, feierlich einher. Im benachbartenSlädtlein Saulgau wurde der hölzerne Palm esel mit dem Christus darauf in der soge nannten Ablösungskapelle aufbewahrt. AmSamstag vor dem Palmsonntag wurde erunter Führung des Lehrers von einem halbenDutzend Schulknaben ans Tageslicht geholtund in die Stadtlirche gezogen. Das warleichte Arbeit, da der Esel aus einem Räder gestell befestigt war. Am Palmsonntagmorgensand mit dem Esel eine große Prvzession umdie Kirche statt. Dabei mußte sich der Pfarrervor dem Esel niederlegen und von einemanderen Geistlichen mit einer geweihten Palm-kätzchenrute bestreichen lassen. Besonders fest lich war die Palmeselprozession in der freienReichsstadt Kempten im Algäu. Dort zogenam Palmsonntag in aller Frühe alt und jung,Männlein wie Weiblein, voran der Bürger meister und die ehrsamen Ratsherren, alle mitbrennenden Wachskerzen in den Händen, infeierlichem Zuge nach der Klosterkirche. Hierholten sie den hölzernen Palmesel, der oereitsgeschmückt ihrer harrte, und führten ihn hinauszur Sankt Magnuskirche. War ein Bürgerwegen irgend eines Frevels aus der Stadtgewiesen worden, so konnte er am Palm sonntag unier dem Schutze des Palmesels,der das Bild des Friedensfürsten auf seinemRücken trug, unbehelligt zurückkehren undfürder ruhig in Kempten wohnen. Geächtete,die an dem Tage um das Asylrecht der