154 Für unsere Kinder und recht durchschlagen. Und wenn es dabei häufig mehr schlecht als recht hergeht, so muß man ihm doch die schlimmen Verhältnisse zu gute halten, übrigens ist das Mitleid bei Jo chen und Seinesgleichen wenig angebracht. Er findet schon seinen Weg, denn„er paßt in die Welt". Aber es wird Zeit, daß ich euch den Be wohner des Hinterhauses vorstelle. Hinter un serem Hause liegt ein kleiner Garten. Auf einem Rasenplatz darin steht ein pyramidenförmiger Birnbaum, der vor einigen Wochen über und über mit Blüten bedeckt war. Aus einem Zweige nahe der Spitze steht im Laub versteckt die Wohnung des Aristokraten. Stieglitz heißt er, und ihr werdet ihn ebensogut kennen wie Jo chen den Spatz. Der Unterschied zwischen bei den kann kaum größer sein. Der Jochen ist notdürftig in ein unscheinbares graubraunes Gewand gehüllt, das auf der schmutzigen Straße sehrzweckmäßig sein mag, aber neben dem feinen Kleide des Herrn Stieglitz sich nicht sehen lassen kann. Schau, wie so einem eleganten Herrn die Hosen sitzen! Und der braune Frack! Und auf dem Kopf das rote Käpplein! Alles an dem Herrn Stieglitz ist glatt und nett. Und nun erst sein Haus! Das ist geradezu ein Wunder werk der Baukunst. Die Außenwand ist mit grauen Flechten verkleidet, zwischen denen hie und da zarie Wollepflöckchen hervorblicken. Innen ist die überaus zierliche Wohnung mit zarten Wurzeln und Wolle sehr sauber aus gepolstert. Die Wohnung des Spatzenjochen ist ein roher 5kasten gegen dieses reizende Kunst werk des Herrn Stieglitz. Als im Mai der Bau vollendet war und Frau Stieglitz zu legen be gann, konnte ich's doch nicht unterlassen, hinauf zusteigen und hineinzusehen. Kann man sich etwas Zierlicheres deuten als die kleinen bläu lichen Eierchest mit braunroten Punkten in dem sauber gerundetem Napf? Aber ich habe mich sehr gehütet, irgend etwas zu berühren und bin schnell wieder herabgestiegen. Ich habe noch Vorkehrungen getroffen, daß Stachbars Katze dort oben keinen Einbruch verüben kann. Dann kam eine Zeit der Ruhe. Madame Stieglitz wie Frau Spatz saßen brütend auf den Eiern. — Heute hat sich das Bild schon wieder ver ändert: Im Vorder- wie im Hinterhause ist großer Familienzuwachs erschienen. Und beide Häuser sind voller Kinder. Die Eltern haben ihre liebe Not, alle die schreienden Schnäbel zu befriedigen. Jochen hat's bequem: er fliegt von seiner Villa hinunter auf die Straße, sucht zwischen den Roßäpfeln die schönsten Hafer körner und stopft sie seinen Kindern in den Schnabel. Aber dem vornehmen Herrn Stieglitz im braunen Fracke graut's vor solcher Atzung. Er fliegt ins Feld und sucht zarte Insekten und Sämereien für seine aristokratische Brut. Das muß ich jedoch gerechterweise anerkennen: In rührender Fürsorge für Weib und Kind läßt Jochen sich von keinem noch so gewichsten Aristokraten übertreffen. Und leicht hat er's wahrlich auch nicht: Sechs junge Jochen liegen im Nest und schreien vom frühen Morgen bis Sonnenuntergang. Sie sind schon ziemlich groß und werden demnächst das elterliche Haus ver lassen. Aber Jochen ist unermüdlich; er wird, wie auch sein Nachbar im Hinterhause, zu einer zweiten Brut rüsten. Jürgen Brand. ovo Tod in Aehren. Von Detlev v. LMencron. Im Weizenfeld, in Korn und Mohn, Liegt ein Soldat, unaufgefunden, Zwei Tage schon, zwei Nächte schon, Mit schweren Wunden, unverbunden. Durstüberquält und fieberwild, Im Todskampf den Kopf erhoben. Ein letzter Traum, ein letztes Bild, Sein brechend Auge schlägt nach oben. Die Sense sirrt im Aehrenfeld, Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, Ade, ade du Keimatwelt— And beugt das Äaupt, und ist verschieden. o o c> Das Leben auf einer einsamen Insel. Inmitten des Südallantischen Ozeans liegt die Inselgruppe Tristan da Cunha . Einsam erheben sich die drei Inseln, die sie bilden, aus den Fluten. Hunderte von Seemeilen ent fernt von ihnen liegt im Osten das afrikanische und im Westen das südamerikanische Festland. Nach Norden erstreckt sich die sie umgebende ungeheure Wafferwüste schier ohne Grenzen, und im Süden setzt ihr erst das Festland des Süd pols Schranken. Die Inselgruppe trägt den Namen der Hauplinsel, die im Jahre 1506 von dem portugiesischen Seefahrer Tristan da Cunha entdeckt wurde. Das war zu der Zeil , da die Portugiesen die Beherrscher des See wegs nach Ostindien und die Herren der asri-
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8 (26.6.1912) 20
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