Für unsere Kinder

Nr. 16 ooooooo Beilage zur Gleichheit ooooooo 1915

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Inhaltsverzeichnis: Gruß der Sonne. Von G. Keller.( Gedicht.) Der Mai ist gekommen. Von Die Tiere und der Mensch. Wie wohl die Welt entstanden sein kann. Von Felix Linke. Ein arabisches Märchen. Herr Frühling. Von Robert Prutz.  ( Gedicht.)

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Aus den braunen Schollen Springt die Saat empor, Grüne Knospen rollen Tausendfach hervor.

Und es ruft die Sonne: Fort den blassen Schein! Wieder will ich Wonne, Glut und Leben sein! Wieder wohlig zittern Auf dem blauen Meer,

Oder zu Gewittern

Führen das Wolkenheer!

Gruß der Sonne.

In den Frühlingsregen Sieben Farben streun Und auf Weg und Stegen Meinen goldnen Schein! Ruhn am Felsenhange, Wo der Adler minnt, Auf der Menschenwange, Wo die Träne rinnt!

Dringen in der Herzen Kalte Finsternis, Blenden alle Schmerzen Aus dem tiefsten Riß!

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Bringt ich bin die Sonne  - An das Kerkertor, Was ihr habt gesponnen Winterlang, hervor!

Alle finstern Hütten Sollen Mann und Maus Auf die Aue schütten, An mein Licht heraus!

mit all euren Schätzen Lagert euch herum, Wendet eure Fetzen Dor mir um und um!

Daß durch jeden Schaden mit dem goldnen Faden Leuchten ich und dann

Der Mai ist gekommen.

E3 war der erste Sonntag im Mai. Onkel Wilhelm, der zwölfjährige Frig, die zehnjährige Anna und Klein- Trudchen, die erst vier Jahre zählte, verbrachten den sonnigen Nachmitttag im Walde. Die schlanken Weißbuchen trugen schon ganz kleine grüne Blättchen, und die dunklen Tannen hatten an allen Zweigen helle, faftige Spitzen angesetzt. Unter dem tnofpenden Buschwert schwankten zarte Ane­monen; wo Sonne war, hatten sie die schnee­weißen Augensterne groß aufgeschlagen, im Schatten aber trugen sie die Köpfchen gesenkt und zeigten die blaßroten Bäckchen. An feucht­warmen Hängen blühten honiggelbe Schlüssel­blumen und wurden von den Kindern mit Jauchzen begrüßt.

Es war das erstemal in diesem Frühjahr, daß die Kinder so recht fröhlich den lieben, langen Nachmittag im sonnigen Walde herum­streifen konnten. Bisher war das Wetter rauh und regnerisch gewesen, auch hatte Onkel Wilhelm feine Zeit gefunden, mit ihnen zu

3hn verweben kann!

Gottfried Keller  .

gehen. Mutter war die ganze Woche auswärts auf Arbeit und war froh, wenn sie am Sonn­tag etwas ausruhen konnte. Meist hatte sie aber am Sonntag zu flicken, zu waschen und zu pugen, um die kleine Hinterhauswohnung, sich selber und die drei Kinder in Ordnung zu halten.

Vater war im Krieg. Wie lange mochte es schon her sein? Gleich in den ersten Tagen des August hatte er einrücken müssen. Vor Weihnachten hatten sie eine Zeitlang gar keine Briefe mehr bekommen, dann hatte Mutter erfahren, daß Vater verwundet sei und in einem Lazarett liege. Das war ein trauriges Weihnachten gewesen.

Sie hatte in jener Zeit immer viel gemeint. Klein- Trudchen aber hatte geschmollt: Böses Tisttind.

Im Februar war Bater, der notdürftig wiederhergestellt war, auf Urlaub einige Tage nach Hause gekommen. Das waren frohe Tage gewesen. Vater hatte auch einiges er­zählt. Aber gar nicht