Für unsere Kinder
Nr. 25 ooooooo Beilage zur Gleichheit ooooooo 1915
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Inhaltsverzeichnis: Meisenglück. Gedicht von Friedrich Hebbel . Herbstzeitlosen. Eine Geschichte vom Zweifüßler. Märchen von Karl Ewald. ( Fortsetzung.) Ein Kernschuß. Bon Henrik Pontoppidan . Der Eidechs. Gedicht
von Heinrich v. Reder.
Meisenglück.
Aus dem gold'nen Morgenqualm Sich herniederschwingend, Hüpft die Meise auf den Halm, Aber noch nicht singend.
Doch der Halm ist viel zu schwach, Um nicht bald zu knicken, Und nur wenn sie flattert, mag Sie sich hier erquicken.
Ihre Flügel braucht sie nun Flink und unverdrossen, Und indes die Füßchen ruh'n, Wird ein Korn genossen. Einen kühlen Tropfen Tau Schlürft fie noch daneben, Um mit Jubel dann in's Blau Wieder aufzuschweben.
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Herbstzeitlosen.
rufen. Die Strahlen der Septembersonne fallen schon viel zu schräg, sind schon zu kraftlos, um genügend Farbstoff in den Pflanzen zu entwickeln. So muß sich die Natur eben mit diesen blassen Blüten begnügen.
Was uns an der Herbstzeitlose besonders auffällt, ist das gänzliche Fehlen aller grünen Blätter. Die Blume mit ihrem langen, dünnen, weißen Hälschen ist alles, was von der Pflanze über dem Erdboden sichtbar ist. Ziemlich tief unter dem Boden finden wir beim Nachgraben eine von schwarzbrauner, derber Haut umhüllte Zwiebel. Auch der dünne Blütenhals ist noch ein Stück weit von dieser schützenden Haut umkleidet. Die Zwiebel enthält übrigens ein scharfes Gift, und wehe dem Engerling oder Nagetier, das an ihr seinen Appetit stillen möchte. Schon der eigentümliche Geruch\ warnt ihn.
Aber wo stecken denn die Blätter? Nur Geduld. Nehmen wir ein Messer und schneiden Zwiebel sowie Blütenstengel der Länge nach durch. Gleich fällt uns auf, die Herbstzeitlosenawiebel besteht nicht wie die echte Zwiebel aus lauter übereinandergelegten Schalen, sondern Friedrich Hebbel . aus einer festen Masse wie die Kartoffeltnolle. Sie ist also eine Knollenzwiebel, die Pflanze bezieht ihre Nahrung aus der Knolle. Ganz unten auf der einen Seite entspringt der Blütenstengel. Aber dieser Stengel ist hier weit mehr Nun sind die Felder wieder leer, hier und als bloß Stengel. Er ist ein dicker Sproß, der da geht schon ein Pflug durch den Stoppel- die Aufgabe hat, im nächsten Frühjahr selber acker, um den Boden für die Herbstsaat zu zur Knolle aufzuschwellen. Da, wo die lange bereiten. Auch auf den Wiesen ist der zweite dünne Blütenröhre einmündet, finden wir drei Schnitt vorbei, das gewürzige Ohmd ist unter einander und die Blütenröhre fest umschließenDach und Fach. Schmucklos liegen die breiten den Blattscheiden. An ihrer Spige erkennen grünen Flächen da, und nur wenn der Wind wir ganz deutlich einen gelblichen Farbenhauch, einige früh vergilbten Blätter vom nahen der uns verrät, daß wir es hier mit jungen Pappelbaum herunterweht, kommt etwas Laubblättern zu tun haben, die, sobald sie an Buntes, etwas Gelb und Rot in den ein- die Sonne heraufgekommen sind, grün werden. tönigen Teppich. Doch nein! Hier zu unseren Aber das geschieht noch nicht so bald. Ist die Füßen erhebt sich ein schlanker, blasser Kelch Blume oben nach etwa acht Tagen verblüht, vom Boden, dort noch einer und dort wieder so bleibt der junge Sproß mit den Blatteiner. Wartet nur! In ein paar Tagen ist scheiden und dem Fruchtknoten ganz ruhig das ganze stille Wiesengrün von hunderten unter dem Boden. Er überwintert. Er ist so blaßlilaroten Farbenflecken übertupft. Es iſt, tief unten, daß der Frost ihm nichts anhaben als ob die Natur noch einmal vor dem Winter- kann. Sehr bald im nächsten Frühjahr aber sterben dem Leben ein Fest geben wolle, aber beginnt er sich zu dehnen und die kleinen nicht mehr die Kraft habe, alle jene fatten, Sproßspigen durchdringen die aufgeweichte leuchtenden Farben des Sommers hervorzu- Erde. Allmählich kommt eine grüne, tulpen