Naturen erst im Kampfe mit demselben zu ihrer ganzen Größe gelangt zu sein.
Ein Beispiel hiefür ist Anna Louisa Karschin , die arme Magd und Hirtin, die Proletarierfrau und Dichterin. Ihre Lebensschicksale sind so interessant, daß sie wohl verdienen, allgemeiner bekannt zu werden. Der außerordentliche Muth, mit dem sich die Karschin durch die Noth des Lebens hindurch gearbeitet hat, mit dem sie alle Zeit benutzte, sich auszubilden, um durch ihr Talent sich und die Ihren zu erhalten, ist wahrhaft bewunderungswerth. Ebenso hoch ist die Einfachheit und Wahrhaftigkeit ihres Charakters und ihre große Menschenliebe zu schäßen. Als echte Proletarierin hielt sie auch in späterer Zeit, in der es ihr selber besser ging, an denen fest, die ihr in der Zeit ihres Elends nahe gestanden hatten, und behielt sie, obwohl sie selber fast stets mit der Dürftigkeit tämpfte, noch Unterstützungen für die übrig, die ärmer waren als fie selbst. Die Karschin ist keine Vorkämpferin für die Rechte der Frau gewesen, aber ihre Arbeiten als Dichterin sind in eine Linie zu stellen mit denen der Dichter ihrer Zeit, und sie wurde darum von dem mit ihr lebenden Geschlechte auch wirklich ihren männlichen Zeitgenossen gleichgeschätzt.
Im Jahre 1722 wurde unsere Dichterin in einem kleinen Orte, der„ Hammer" genannt, an der Grenze von Niederschlesien, geboren. Anna Louisa war das dritte Stind des Brauers und Schankwirthes Dürrbach. Von ihrer Mutter hatte sie die Gabe zu dichten geerbt, empfing aber nicht viel Liebe von ihr. Frau Dürrbach gab viel auf das Aeußere und zog deshalb die hübschen Geschwister der von Natur häßlichen Louisa vor. Der Vater dagegen hatte sein fleines sinniges Mädchen lieb. Leider verlor fie ihn schon, als sie kaum das sechste Jahr erreicht hatte.
Mit der großen Wahrhaftigkeit, die der Karschin stets eigen war, sagt sie später von sich selber:„ Ich war ein häßliches Kind, die Haut im Gesicht und am Körper war gelb und schrumpfig, die Augen lagen mir tief und finster im Kopfe und mein mageres fleines Gesicht besaß eine widernatürliche Ernsthaftigkeit." Wir haben ein Bild von ihr aus ihrem 41. Jahre, auf dem sie feines wegs abstoßend erscheint. Das ganze Gesicht macht im Gegentheil einen durchgeistigten Eindruck, ihre Augen leuchten voller Begeisterung; vor allem aber berührt uns ein liebenswürdiger wohlwollender Zug um den Mund angenehm, der ihrem ganzen Gesichte den Ausdruck reiner Menschenliebe verleiht. Eine seltene Schönheit aber streitet ihr Niemand von ihren Zeitgenossen ab: sie besaß eine außerordentlich wohlflingende Stimme, mit der sie, wenn sie ihre Gedichte vortrug, alle zu ergreifen verstand.
Die Mutter beschäftigte Louisa schon als kleines Mädchen im Hause. Da sie aber mit dem stillen, verschlossenen, träumerischen Stinde nicht viel anzufangen verstand, gab sie den Bitten ihres Oheims, eines Justizamtmanns, nach), der die Kleine gern um sich haben wollte. Ihm sagte das Wesen der Kleinen zu. Bei dem Oheim verbrachte sie nun, wie sie später selber sagt, die drei schönsten Jahre ihres Lebens. Er unterrichtete das fleißige und strebsame Kind im Lesen, Schreiben, Geographie und Geschichte. Sie war ihm bis ans Ende ihrer Tage dankbar dafür und widmete ihm eines ihrer schönsten Gedichte.
Kaum war Louisa zehn Jahre alt geworden, so fürchtete die Mutter, die den ganzen Unterricht von vornherein nicht gern gesehen hatte, daß das Schreibenlernen für ihre Tochter schädlich sein könne. Sie hegte die Besorgniß, diese fönne bei ihrem Oheim statt zu einer tüchtigen Hausfrau zu einer nichtsnußigen Gelehrtin" werden.
Die Mutter hatte sich wieder verheirathet und brauchte nun die Dienste der Tochter als Wärterin der nachgeborenen Geschwister. Mit ihrer Rückkehr ins Elternhaus begannen die Mühseligkeiten des Lebens für Anna Louija.
Die zweite Ehe ihrer Mutter war feine glückliche, und die täglichen Zänkereien der Gheleute arteten bisweilen auf das Heftigste aus. Dem Streite gesellte sich die Sorge zu, die Leute kamen bald gänzlich herunter und mußten schließlich den„ Hammer" räumen. In dem neuen Wohnort wurden Louisa drei Rinder zum Hüten anvertraut, und es begann die Zeit ihres Hirtenlebens, auf welches sie später öfter in ihren Gedichten zurückfommt. Ihre Lebensweise als Hirtin war ganz geeignet, lebhafte Naturempfindungen
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anzuregen. Sinnend am Ufer des kleinen Flusses sizend, an dem sie ihre Rinder weidete, schaute sie den ziehenden Wolken, dem Flug der Vögel nach. Am anderen Ufer erschien ein junger Hirt, mit dem sie bald bekannt wurde. Es war ein armer, verwachsener, der Natur vernachlässigter Knabe mit rothem Haar und heiserer Stimme. Aber sie waren ja beide häßlich, und so kam es, daß sich die beiden Kinder aneinander anschlossen. Bald lernte Louisa's Freund ihre Vorliebe für Bücher kennen und brachte ihr seinen eigenen Bücherschatz: den Robinson, das Märchen von der schönen Melusine und Tausend und eine Nacht. Später wußte er Mittel und Wege zu finden, ihr auch noch einige andere Bücher zu beschaffen. Und so saßen denn die Kinder im Schatten einer breitäftigen Buche, lasen die wundersamen Geschichten und genossen ein unschuldvolles Glück. Auch später, selbst in den Zeiten ihres Glanzes als Dichterin, hat die treue ehrliche Natur der Karschin des armen Hirten nie vergessen. Sie stand bis an ihr Lebensende in Briefwechsel mit ihm und hat ihm stets eine echte Freundschaft bewahrt. Und, obgleich selber fast immer mit der Noth kämpfend, hatte sie doch noch Unterstützungen für ihn, der immer noch ärmer war als sie.
Außer sich vor Freude war Louisa, als ihr der Freund einst einen Band von weltlichen Gedichten brachte, die ersten, die sie kennen lernte. Sofort begann sie nach diesen Mustern selbst Verse zu dichten. Die ersten galten natürlich ihrem kleinen Freunde.
Das Glück des Hirtenlebens hatte aber bald ein Ende. Die Mutter ließ die nun 15jährige Louisa konfirmiren und vermiethete sie dann als Kinderwärterin und Magd. Das junge Mädchen war nicht besonders geschickt bei ihrer Arbeit und wurde viel gescholten. Unter diesen Umständen erschien es ihr als eine Erlösung, als ihr die Mutter die Aussicht eröffnete, daß sie sich verheirathen könne. Sie war eben 17 Jahre alt geworden.
Louisa ahnte nicht, daß ihr die Ehe keine Erlösung, sondern eine noch größere Last bringen sollte. Der Freier, der Tuchweber Hirseforn aus Schwiebus , war ein junger und ansehnlicher Mann, und sein Auftreten ihr gegenüber war ein so freundliches, daß er ihr bald wohlgefiel. Aber sogleich nach der Hochzeit zeigte er ein anderes Gesicht. Der erste Verdruß rührte von der Entdeckung her, daß Louisa's Mitgift viel geringer ausgefallen war, als er erwartet hatte. Er trat brutal gegen die junge Frau auf, war geizig, ließ sie manchmal fast Hunger leiden und behandelte sie überhaupt hart und lieblos. Daß sie alle Hausarbeiten zu verrichten hatte, das hielt sie für selbstverständlich. Dagegen schmerzte es sie tief, daß ihr der Mann in der freien Zeit Wolle zum Krazen brachte und ihr das Lesen oder gar das Schreiben gänzlich verbot. Sie las, dichtete und weinte an den Sonntagen, an denen wenigstens das Kragen der Wolle wegfiel. So gut es ging, suchte sie ihre geringen Kenntnisse zu erweitern und tröstete sich durch das Erlernte. In Betreff ihrer Bildungsmittel war sie auf die Bücher angewiesen, welche der junge Hirt ihr heimlich versorgte. Schon damals machte Louisa einzelne Gelegenheitsgedichte, wofür sie kleine Geschenke erhielt. Ihre Sachen wurden von den Leuten sehr schön gefunden.
Einst fam ihr Mann betrunken nach Hause, warf den Hut auf den Tisch und sagte lachend:„ Der König von Preußen hat die Ehescheidung erlaubt, was meinst Du, Louisa, wenn wir die ersten wären, die sich scheiden ließen?" Sie war damals 19 Jahre alt, Mutter zweier Kinder und erwartete die Geburt eines dritten. Troß des Kummers, den sie in ihrer unglücklichen Ehe gehabt, wurde ihr der Entschluß einer Scheidung nicht leicht. Sie empfand für den Mann, der ihr nur Härte und nie Liebe entgegengebracht hatte, eine gewisse Zärtlichkeit. Hirseforn wußte ihren Widerstand durch Ueberredung und Drohungen zu brechen, und sie willigte schließlich tief betrübt in die Trennung.
Die arme verstoßene Frau ward während der Zeit ihrer Niederkunft von ihrer Schwiegermutter und von ihren eigenen Verwandten unterstüßt. Kaum genesen, raffte sie sich auf, um für sich selber zu sorgen; ihre Dichtergabe mußte ihr Brot verschaffen. Auf Bestellung und für Geld verfaßte sie Gelegenheitsgedichte, zog von Ort zu Ort, von Gutshof zu Gutshof, und trug mit ihrer flangvollen schönen Stimme die selbst gedichteten Lieder vor. So schlug sich die Volksdichterin mühsam durch. Welch außerordent