selben zu verallgemeinern drohten. In Folge der in dem genannten Hause üblichen Lohnschinderei konnten die übrigen Stickereifirmen dessen Konkurrenz nicht Stand halten, ließen zum Theil nicht mehr gegen höhere Löhne selbst sticken, bezogen vielmehr ihre Waaren fertig von Herrn Sch., der mit der Zeit die Münchener Stickereiindustrie so gut wie monopolisirt hätte. Hungerlöhne für alle Stickerinnen wären dann die Regel geworden.

Der Prozeß hat von einem kleinen Eckchen der Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft den Schleier gelüftet. In seiner trockenen Thatsächlichkeit redet er ganze Bände von der kapitalistischen Profit wuth, von der Rolle des Schwitzsystems, der Schmutzkonkurrenz, von Hungerlöhnen und dem materiellen, geistigen und sittlichen Elend, das sie im Gefolge haben. Hungerlöhne, lange Arbeitszeit und, um die Dreieinigkeit voll zu machen, die Prostitution, das ist der Weis­heit höchster Schluß, zu der es die kapitalistische Gesellschaft der Frauenarbeit gegenüber gebracht hat. Die Arbeiterinnen aller Berufs zweige und aller Orten denn was von den Stickerinnen und aus München berichtet wird, das könnte man ebenso gut von den Schneiderinnen, Näherinnen, Verkäuferinnen zc. aus Berlin , Wien und Hunderten von Städten berichten werden die Sprache der Thatsachen bezüglich ihrer Klassenlage, ihrer Klasseninteressen und auch ihrer Klassenpflichten verstehen, verstehen auch, von welcher Be­deutung, von welchem Nuzen behufs Aufdeckung ihrer Leiden die Thätigkeit der sozialdemokratischen Presse ist, die stets und überall ihrer Aufgabe nachkommen wird, Wortführerin der Enterbten und Ausgebeuteten zu sein.

Anna Louisa Karschin .

( Schluß.)

Sie traf oft auf ihren Wanderungen mit dem Schneider Karsch zusammen, der immer freundlich gegen sie war, und gegen den sie darum eine gewisse Dankbarkeit hegte. Er machte ihr einen Heirathsantrag, den sie annahm, wiewohl sie den Mann nicht liebte. Sie knüpfte sich damit eine schwere Fessel für lange Jahre ihres Lebens. Hatte sie bisher dürftig gelebt, so lernte sie nun erst die eigentliche bittere Noth kennen. Es stellte sich bald heraus, daß ihr Mann ein Müssiggänger und Trunkenbold war, der nicht nur das eigene, sondern auch das Geld der Frau ins Wirthshaus trug. Als nun noch die Sorge für Kinder hinzu kam, stieg die Noth auf den höchsten Grad. Die Kleidung der Starschin bestand zu einer Zeit nur aus Lumpen, so daß sie sich in der Kirche hinter einem Pfeiler verbarg, weil sie sich vor den Blicken der Menschen schämte. Auch jetzt ließ das tapfere Weib den Muth nicht fahren. Die Karschin hatte eine große Fertigkeit im Versemachen erworben; sie versuchte es, die Predigten des Pfarrers Herold in poetische Form zu bringen, und dies mit so gutem Erfolg, daß sie an Herold und Leuten seiner Bekanntschaft Gönner erwarb, die sie mit Geld und mit Büchern unterſtüßten. Gern hätte sie viel gelernt, allein sie fand nur wenig Zeit dafür; ihr Mann war nicht zu bessern, und sie mußte allein für den Unterhalt der zahlreichen Familie sorgen.

,, Vier Kinder um mich her und neben mir ein Gatte, Der feinen Gram um Brot und keine Pflichten hatte, Als über mich ein Herr zu sein!

Die Sorgen blieben alle mein,"

sagt sie mit Bezug auf ihr damaliges Leben.

1755 zog die Starschin mit ihrem Manne und den Kindern nach Glogau . Der Kreis derer, mit denen sie bekannt wurde, erweiterte sich, Bestellungen auf Gelegenheitsgedichte gingen zahl­reicher ein, zu ihren Stunden gehörten jetzt schon junge Offiziere, denen sie Lieder auf ihre Schönen dichtete. Von vornehmen Leuten ward sie hier und da eingeladen, um ihnen nach der Tafel und vor dem Tanze Gedichte zu deklamiren. Auf einer ihr zugegangenen Ein­ladungskarte heißt es: Es wird etwas Pifantes gewünscht, auch eine Hymne auf den König und die Armee." Zum ersten Male erfahren wir bei der Gelegenheit, daß sie derartige Hymnen dichtete, die ihr am besten bezahlt wurden. Es lag im Geschmacke der Zeit, den großen Friedrich" und seine Siege zu besingen, alle Dichter der damaligen sogenannten preußischen Dichterschule wetteiferten in seinem Lobe. Leider stimmte auch unsere gute Starschin in den Ton der Zeit ein, und nicht allein um des Brot­erwerbes willen entstanden ihre Poesien an Friedrich. Die Dichterin war eine viel zu ehrliche Seele, als daß sie falsche Töne an­

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gestimmt oder geheuchelt hätte. Es geht ein Zug wirklicher Be­geisterung durch ihre Hymnen an den König, und die Biographen der Dichterin stellen ihre kriegerischen Oden als ihre besten Ge­dichte hin, ein Urtheil, dem wir uns nicht anschließen können. Das Jahr 1761 brachte einen Wendepunkt in ihrem Leben. Der kunstsinnige und menschenfreundliche Baron Kottwiß war mit ihr bekannt geworden und entriß sie und ihre Kinder dem Elend, in­dem er sie mit nach Berlin nahm. Troß der Hindernisse der schlimmsten Art, gegen welche die Karschin anzukämpfen gehabt, hatte sie sich doch zu einer Persönlichkeit entwickelt, die sich sofort in Berlin die Achtung und Liebe Aller gewann, die zu ihr in Beziehung traten. Allein ihr Talent, ihr Geist reiften erst jetzt, wo sie freier aufathmen konnte, und Freunde sich ihrer und ihrer geistigen Fortbildung annahmen. Sie erkannte dies dankbar an.

In Berlin verlebte sie eine kurze glückliche Zeit im Hause des edlen Kottwiß, dessen sie ihr ganzes Leben hindurch in ihren Gedichten mit Dankbarkeit gedenkt. Die Ausgabe ihrer aus­gewählten Gedichte, die 1764 veranstaltet wurde, trägt als Wid­mung ein begeistertes Gedicht auf ihren ersten Wohlthäter." Leider starb dieser bald, und die Dichterin war in der Folge ge= zwungen, eine Dachwohnung zu beziehen, an deren Thür die alten Bekannten, Noth und Kummer, manchmal wieder anklopften.

In Berlin war sie sogleich in den Kreis der dort lebenden Dichter aufgenommen worden, die ihr Talent neidlos schäßten. Menschenfreundlich nahm sich vor Allem Gleim ihrer an. Der gute Mann war als Dichter herzlich unbedeutend, aber Goethe spricht ein wahres Wort aus, wenn er von ihm sagt: Er hätte ebensowohl des Athemholens entbehrt, als des Dichtens und Schenkens." Seine Freude am Geben rettete manches junge Talent, und auch seine liebe Freundin Sappho ," wie er die Karschin immer nannte, erfuhr viel Gutes von ihm. Anna Louisa hat ihrem Wohlthäter dankbar manchen Vers gewidmet, denn die Dankbarkeit gehört zu den Grundzügen ihres Charakters, und sie vergaß Niemand, der ihr je Wohlwollen erwiesen.

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In allen Liedern der Karschin berühren die Stellen am rührendsten und wahrsten, in denen sie an Verhältnisse ihres eigenen Lebens anknüpft. Ungemein sympathisch ist auch das tiefe Mit­gefühl für fremde Leiden, das aus manchen ihrer Gedichte spricht und sie als echte Proletarierin kennzeichnet. Wo sie konnte, half sie mit der That, wo ihr dies unmöglich war, gab sie ein Lied, welches oft Leute ergriff, die thatkräftig Hilfe leisten konnten. Voll warmen, echten Gefühls ist z. B. das bei einem solchen Anlasse entstandene Lied:" Fürbitte für eine Witwe."

In Folge ihrer Freundschaft mit von Kottwiß und den bekann= testen Dichtern der Zeit war die Karschin in Berlin bald zu Ruhm und gesellschaftlichem Ansehen gelangt. Nicht nur die Kenner von Kunst und Wissenschaft wollten mit der Dichterin bekannt werden, auch Leute der vornehmen Welt ließen sie in ihre Paläste holen und überschütteten sie mit Auszeichnungen. Was hätte näher gelegen, als daß sie, das einfache Bauernkind, in der Folge eitel geworden wäre, wie dies auch nach verschiedenen Seiten der Fall gewesen sein soll. Als Beweis dafür wird der Brief einer jungen schönen Gräfin angeführt, welche der Karschin wegen ihres Auftreten bei einem Feste Eitelkeit und Hoffart vorwarf. Uns scheint, daß die Dichterin bei der betreffenden Festlichkeit höchstens eine gewisse naive Freude am Puz an den Tag gelegt hat. Und das ist wohl verzeihlich seitens eines armen Weibes, das vor seinem 40. Lebens­jahr niemals ein hübsches Kleid besessen und oft genug in Lumpen einhergegangen war.

Im Jahr 1763, zur Zeit, wo sie den größten äußeren Ruhm genoß, ward sie auch Friedrich II. in Sanssouci vor­gestellt. Wir besigen den Wortlaut des Gespräches zwischen beiden. Der König fragte die Dichterin wie irgend einen seiner Grenadiere aus. Als er ihre mißliche Lage erfuhr sie bewohnte damals schon ihr Dachſtübchen entließ er sie mit den Worten: Na, ich will schon sehen, daß ich Ihr helfe." Die Hoffnung der deutschen Sappho" auf das Königswort sollte enttäuscht werden: statt einer Versorgung erhielt sie vom großen Friedrich zwei Thaler, die sie mit einem beißenden Spottvers zurücksandte. Wie viele oder richtiger wie wenige unserer modernen, in Verhimmelung

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