die Ohren in den engherzigsten Klassenvorurtheilen steckend, von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die aus guter Familie stammenden Gebildeten" auf Grund ihrer Geburt und ihres Wissens mehr Anrecht auf die Güter dieses Lebens haben als die Handarbeiter," findet sie kaum Worte der Entrüstung genug, um gegen die in Australien herr­schende Tyrannei des Volkes" zu protestiren. Ihr Schelten und Klagen über die Vergewaltigung," welche daselbst die Besitzenden sei­tens der Arbeiter erfahren, erscheint ein Sturm im Glase Wasser wie ein komischer, belustigender Schmerzensschrei gegen die bevor­stehende Diktatur des Proletariats ."

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Wenn man weiß, daß auch in Australien das Proletariat noch weit davon entfernt ist, gesellschaftlich frei zu sein, daß sich seine Knechtschaft nur um etliche Grade abwärts von derjenigen seiner europäischen und amerikanischen Klassengenossen unterscheidet, so er­scheinen die tragikomischen Stoßseufzer der Dame über die Anmaßung der Dienstboten und der Arbeiter" als unverständlich. Verständlich werden sie erst, wenn man bedenkt, daß die Betreffende eben Aristokratin und eine Deutsche ist, das heißt nicht nur in den Vor­urtheilen ihrer blaublütigen Raste aufgewachsen, sondern noch oben­drein in einem Lande, in welchem die Dienstboten noch einer beson deren ,, patriarchalischen," frautjunkerlichen Gesindeordnung unterstehen, kraft deren sie nicht besser daran sind, als mittelalterliche Hörige; in einem Land, in welchem die politische und wirthschaftliche Bewegungs­freiheit der Arbeiterklasse durch allerhand Schranken, durch heimtückische Fußangeln und Fallen gehindert wird; in einem Land endlich, dessen herrschende Klassen sich in blindem Egoismus auch gegen die beschei­denste Verbesserung der Klassenlage des Proletariats stemmen.

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Nach der Meinung der vornehmen" Dame ist Australien ein Paradies" für die Arbeiter, eine Hölle" dagegen für den Rest der Bevölkerung. Die Arbeiter sind es, welche da drüben jeden Tag mehr das Heft in die Hände bekommen, die Gesetzgebung und Rechtspflege, Handel und Industrie, das Schulwesen zu ihren Gunsten regeln, bis in die Privathäuser hinein befehlen.

Der Einfluß der Arbeiterorganisationen, des Vereins- und Ver­sammlungslebens erstreckt sich auf die Verkäufer und Verkäuferinnen, die Laufburschen, die Köchinnen und Dienstmädchen. Der achtstündige Arbeitstag ist zwar offiziell blos für zirka 60 Gewerbe eingeführt, in Wirklichkeit jedoch und weil das Gesetz jeden Ort, wo sechs Per­sonen arbeiten, als Fabrik" betrachtet wird er bei fast allen Ar­beiten und Berufsarten eingehalten. In vielen Städten sind nach 7 Uhr Abends die Läden geschlossen, Verkäuferinnen und Kellnerinnen dürfen nicht mehr als 48 Stunden pro Woche in ihrem resp. Gewerbe

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" Pst," ermahnte Friß, redet doch leiser, sie kann jeden Augenblick Hereintreten." Er selbst kam näher. ,, Hat sie über haupt eine Liebschaft? Gustel, hast Du etwas bemerkt?" fragte er dringend, und er sah dabei sehr ernst aus.

" Nicht die Spur, sie ist überhaupt so sittsam, bleibt selbst Sonntags immer zu Hause, sie hat gewiß keinen Anbeter."

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So, sie hat feinen Anbeter?" nedte Karl, und der dicke Anton, der immer vom Heirathen spricht und sich damit brüstet, er könne in seiner Stellung zwei Weiber ernähren, und der ihr zärtliche Augen macht und sich ihr gegenüber schon einmal bis zu einer Liebeserklärung verstiegen hat, ist das nichts? Fällt bei Euch der dicke Anton nicht ins Gewicht, und

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Ich weiß, sie hat ihn abgewiesen," unterbrach ihn Friz. Rund abgewiesen."

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,, Sie ist in allem rund, aber sakerlot, da fällt mir ein, der Anton hat mir heute geschrieben, ich habe den Brief noch ich habe den Brief noch ungelesen in der Tasche, am Ende hat er mich bei ihr zum Frei­werber ausersehen."

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Gieb her den Brief!" rief Friß aufgeregt.

,, Gemach, mein Lieber, er ist, soviel ich weiß, an mich und nicht an Dich adressirt."

Er zog gleichwohl den Brief aus der Tasche und zeigte ihn dem in Neugier Entbrannten, wie um ihn zu reizen, aus einiger Entfernung. Frizz wollte sich halb im Aerger, halb lachend auf den Bos haften stürzen, um ihm denselben zu entreißen, da trat Rosa, ein Strohkörbchen am Arm und einen stattlichen Gugelhupf auf einer Schüssel vor sich tragend, herein.

Die Brüder hielten in ihrer Kämpferstellung inne, und Friz hatte bald im Anschauen Rosas den diden Anton und alles übrige vergessen. Die Kleine sah aber jetzt auch gar zu verführerisch hübsch aus. Sie hatte ein weißes Latschürzchen vorgenommen

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thätig sein. Die Dienstmädchen lassen sich nicht mehr unbegrenzt lange Zeit ausbeuten, sondern schaffen gleichfalls nur 8 Stunden pro Tag. Als unsere vornehme Deutsche von ihrem Dienstmädchen ver­langte, es solle sie Abends vom Theater abholen oder bei Gesellschaften bedienen, erhielt sie die höfliche, aber sehr bestimmte Antwort, daß sie sich zu diesem Zwecke noch ein weiteres Mädchen miethen müsse. Die Dame mußte ferner den Dienst während der acht Arbeitsstunden derart einrichten, daß es dem Mädchen möglich war, Unterrichtskurse für Französisch, Musik und andere Fächer besuchen zu können. Wir sehen von hier aus, wie sich alle Haubenbänder und falschen Löckchen auf dem würdigen Haupt einer deutschen Frau Kommerzienräthin, Frau Inspektorin und anderer Frau in" von Mannes Gnaden vor sittlicher Entrüstung ob solch frevelhafter Zustände sträuben. Doch sparen Sie Ihren Zorn für schlechtere Zeiten, Verehrteste; wir hoffen, es durch eine gewerbsmäßige heßende Agitation" auch in Deutschland , der frommen Kinderstube," noch so weit zu bringen, daß die weißen Stlavinnen" zum Bewußtsein ihrer Menschenwürde erwachen und als erste Forderung die auf Muße zur Erholung und Bildung erheben. Daß in Australien der furzen Arbeitszeit der Dienstboten und Arbeiter hohe Löhne entsprechen, versteht sich am Rande. Die deutsche Aristokratin kann deshalb auch nicht genug darüber jammern, daß ,, Schuhflicker, Dienstboten und Putzmacherinnen" mehr verdienen, als Angestellte,"" Beamte" in Europa , daß Arbeiter und Dienstleute nur nach hohen Löhnen und kurzer Arbeitszeit" trachten. Den Arbeitern war und ist es möglich, ihre diesbezüglichen Forderungen durchzusetzen, nachdem sie in Folge ihrer Sentimentalität" der Frauen und Kinderarbeit*) gegenüber, zuerst eine Regelung der selben erzwangen, damit eine Schmutzkonkurrenz unmöglich gemacht hatten. Die Arbeitszeit der Minen- und Grubenarbeiter ist durch ein Gesetz auf 44 Stunden pro Woche festgesetzt.

Es wird Niemand überraschen, daß eine an die Segnungen der deutschen Gesindeordnung, deutscher Verhältnisse gewöhnte Dame mit sichtlichem Bedauern des Umstandes erwähnt, daß sich in Australien Dienstboten und Arbeiter ihren Herren" und Anwendern gegenüber als gleichstehend fühlen und dem entsprechend höflich behandelt sein wollen; um jede Arbeit, jede Dienstleistung, für welche sie doch be­zahlt werden, muß man sie wie um eine Gunst ersuchen."

Uebrigens muß die Dame indirekt zugeben, daß die werkthätige Klasse von ihrer Muße, ihrer Bewegungsfreiheit im Allgemeinen einen

*) In Australien ist die Arbeit für Kinder und junge Leute unter 16 Jahren verboten.

und, die Kokette, eine blaßrothe Schleife um ihr Halskrägelchen geschlungen, und daraus sah nun das frische, blühende Gesichtchen mit einem Ausdruck, der seinen Reiz auf feines Menschen Herz verfehlt, mit dem Ausdruck reiner, kindlicher Glückseligkeit hervor.

Dieser prosaische, boshafte Mensch, der Karl, konnte auch jezt seine Spöttereien nicht lassen. Er machte sich über ihre Eitel­feit lustig, von der er meinte, sie käme ihm sehr verdächtig vor, und sie hätte es sicherlich darauf angelegt, ihm den Kopf zu verdrehen."

Rosa schlug verlegen die Augen nieder, aber sie lächelte. " Ich war auch gar nicht festlich angethan, als ich herüberkam," entgegnete sie, gleichsam entschuldigend. Ich hatte nicht daran gedacht, daß man mich bemerken könnte, da ich aber nun den Christabend mit Euch feiern soll, mit Euch zu Nacht essen

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Das heißt, wir werden vielmehr mit Ihnen zu Nacht essen. Dieser köstlich duftende Gugelhupf in seiner respektablen Größe dürfte weitaus das größere Kontingent zu unserem Abendessen stellen. Arme Rosa, wenn man diesen kolossalen Gugelhupf ansieht, dann weiß man erst, wie trostbedürftig Sie gewesen sein müssen." Hör' auf mit Deinen Späßen," brummte Friz, es könnte sonst leicht Dein Vorrath für die übrigen Abende ausgehen, und das wäre schade."

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Rosa, ich habe Dich sehr lieb," versicherte jetzt Georg, in­dem er sich schmeichelnd an seine junge Freundin drängte. Wirst Du mir ein Stück Gugelhupf geben? Ich habe hungrig." Gewiß, mein Kind. Nicht wahr, Mama, ich darf ihm da­von geben?" fragte Rosa.

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,, Ei, freilich; aber trage ihn nur gleich ins Zimmer und decke den Tisch, nimm ein frisches Tischtuch, Du weißt, wo es zu finden ist." " Ja wohl," sagte Rosa ,,, laß mich nur machen." Sie ging hinein. Friz hatte ebenfalls nichts mehr in der Küche zu thun, er ging mit Georg ihr nach und zog die Thür hinter sich zu.( Fortsetzung folgt.)