Nr. 7.
Die Gleichheit
2. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr 2564a) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.
Mittwoch, den 6. April 1892.
Zuschriften an die Redaktion der„ Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner), Stuttgart , RothebühlStraße 147, IV. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Bum Gewerkschaftskongres von Halberstadt .
Seitdem die Frauen und Töchter des Proletariats in den Kreislauf des modernen Wirthschaftslebens gezogen worden, seitdem an Stelle ihrer früheren häuslichen Thätigkeit die Berufsarbeit in den verschiedensten Industriezweigen getreten, zeichnet sich auch immer klarer und deutlicher die Nothwendigkeit ab, sie in die gewerkschaftlichen Organisationen einzubeziehen, sie mit ihren Klaſſengenoffen zusammen zu Trägerinnen und treibenden Sträften der gewerkschaftlichen Bewegung zu machen. Die schier unzähligen Leiden ihrer Klaffenlage, die Hungerlöhne, langen Arbeitstage, das tausenderlei Elend, das auf ihnen laftet, zwingen ihnen den Kampf gegen das stets ausbeutungslüsterne, profitgierige kapitalistische Unternehmerthum auf. In ihrer Eigenschaft als Frauen, auf Grund der Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts, ist aber den Proletarierinnen die Antheilnahme an dem Kampf ihrer Klasse auf politischem Gebiete unmöglich. Nur auf dem Felde des Wirthschaftslebens, durch die gewerkschaftliche Bewegung können sie sich gegen den Druck des Kapitals zur Wehr sezen, auf ihm muß sich bis auf Weiteres ihre ganze Kampfesenergie fonzentriren und bethätigen.
Welch hohe Bedeutung der gewerkschaftlichen Bewegung und ihrer kräftigen Weiterentwicklung gerade für Hunderttausende von Arbeiterinnen innewohnt, liegt mithin auf der Hand. Der kürzlich stattgehabte erste Kongreß der deutschen Gewerkschaften, der, wenn er auch manche überschwängliche Hoffnung nicht erfüllt hat, so doch immerhin einen Schritt nach vorwärts bedeutet, verdient deshalb ganz besonders die Beachtung der weitesten Streise der Arbeiterinnen.
Der Kongreß von Halberstadt hatte über die Frage der besten gewerkschaftlichen Organisationsform zu verhandeln und zu entscheiden, und seine diesbezüglichen Beschlüsse sind von einschneidender Bedeutung für die sich mehr und mehr unter den Arbeiterinnen regenden Organisationsbestrebungen, zeichnen ihnen den für die nächste Zeit einzuschlagenden Weg vor.
Schon längst war in den Kreisen der gewerkschaftlich gruppirten Arbeiter die Nothwendigkeit einer Einigung, eines einheitlichen, planvollen, zielbewußten Vorgehens erkannt worden. Der Umstand, daß in einzelnen Industrien verschiedene Formen der Organisation nebeneinander bestanden, die oft ohne Fühlung, ohne Einverständniß miteinander handelten, ja oft sich gegenseitig bekämpften und befehdeten, führte zu einer verhängnißvollen Schwächung und Zersplitterung der proletarischen Streitkräfte, welche auf wirthschaftlichem Gebiete gegen die kapitalistische Uebermacht kämpften. Abhilfe zu schaffen, die gewerkschaftlich organisirten Arbeiter Deutsch lands zu einer geschlossen marschirenden, geschlossen fämpfenden und schlagenden Macht zusammen zu fassen, ward um so dringlicher, als sich das Kapital täglich mehr konzentrirte, als sich die Unternehmer ihrerseits in Trußbündnisse gegen die Bestrebungen der Proletarier zusammenthaten, als sich die letzteren mithin einem mächtigeren Feind gegenüber befanden als je zuvor.
Zwei Vorkonferenzen der Vertreter deutscher Gewerkschaften, von denen die eine im November 1890 in Berlin , die andere im September 1891 in Halberstadt getagt hat, sollten die Einigung der Organisationen anbahnen und beschlossen zu diesem Zwecke die Einberufung des allgemeinen Gewerkschaftskongresses,
der Mitte März in Halberstadt stattgefunden hat. Auf der Konferenz von Berlin ward außerdem die„ Generalkommission der Gewerk schaften Deutschlands " mit dem Siz in Hamburg ernannt. Sie erhielt die Aufgabe zuertheilt, einen Plan für die Neuorganisation der Gewerkschaften auszuarbeiten, Abwehrstreits zu unterstüßen, unter den noch nicht organisirten Arbeitern zu agitiren und ein Korrespondenzblatt herauszugeben, das den gekennzeichneten Zwecken dienen und zugleich ein Bindeglied zwischen den einzelnen Gewerkschaften bilden sollte.
Daß die Leistungen der Generalfommission vielfach hinter dem Erwarten zurückgeblieben sind, ist Schuld der ungünstigen Verhältnisse, unter denen sie wirken mußte, Schuld auch der Gewerkschaften, welche viel von ihr verlangten, ohne ihr genügende Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Sie hat geleistet, was unter so schwierigen Verhältnissen überhaupt geleistet werden konnte, und die Vorwürfe, welche ihr auf dem Kongreß nicht erspart blieben, scheinen uns ungerechtfertigt.
Der Kongreß zu Halberstadt hatte sich über den Werth dreier verschiedener Organisationsformen schlüssig zu machen. Die Generalkommission hatte einen Organisationsentwurf ausgearbeitet, nach welchem die zu einem Verband zentralisirten Berufsorganisationen verwandten Industriezweige sich zu Unionen zusammenschließen und die einzelnen Unionen untereinander durch eine Generalfommission verbunden werden sollten. Von den Nürnberger Metallarbeitern lag dagegen ein Antrag vor, welcher Organisation sogenannter Industrieverbände forderte. Nach ihm sollten sich nicht die Arbeiter einzelner Berufe gesondert organisiren, zentralisiren und die Zentralisationen zu Unionen zusammenschließen, sondern alle Arbeiter einer ganzen Industrie, so z. B. alle Metallarbeiter, Holzarbeiter, Bauarbeiter 2c. sollten sich an einem Orte gemeinschaftlich in einer Verwaltungsstelle gruppiren, und die so entstandenen lokalen Organisationen sollten sich dann zu großen Industrieverbänden vereinen. Ein dritter Entwurf erklärte sich für die Lokalorganisationen und das System der Vertrauensmänner. Die Arbeiter sollten sich in unabhängig von einander bleibenden Lokalvereinen zusammenthun, die durch in öffentlichen Versammlungen der Berufsgenossen gewählte Vertrauensmänner miteinander lose Fühlung zu halten hätten.
Die Gegensäße zwischen dem Entwurf der Generalfommission und dem der Nürnberger waren nicht derart, daß eine Verständigung durch etivas Nachgeben von beiden Seiten unmöglich schien. Beide erstrebten, wenn auch unter verschiedenen Formen, die möglichste Zentralisation, Zusammenfassung der organisirten Arbeiter, um diese zu einer Macht zusammenzuschweißen, welche sich mit dem Unternehmerthum im Kampfe messen, ihm in Zeiten guten Geschäftsganges bessere Arbeitsbedingungen entreißen, ihm in Zeiten flauen Geschäftsganges eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen unmöglich machen könne. Schwieriger, ja fast ausgeschlossen schien dagegen eine Verständigung mit den Anhängern der Lokalorganisation, welche in den Gewerkschaften nicht in erster Linie ein Kampfesmittel be= hufs Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Arbeiterklasse sehen, vielmehr eine Art Vorschule für die politische Erziehung derselben.
Will man den Gegensatz zwischen den Anhängern der Zentralisation und den Parteigängern der Lokalorganisation verstehen, so darf man nicht vergessen, daß die verschiedenen deutschen Vereinsgeseze die Ver