2. Jahrgang."«e MM.Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.Herausgegeben von Emma Ihrer in Velten(Mark).Die„Gleichheit" erscheint alle 14 Tage emmal. Preis der Nummer10 Pfennig, durch die Post(eingetragen unter Nr 2K64a)vierteljährlich ohne Bestellgeld KS Pf.; unter Kreuzband 85 Pf.Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.StuttgartMittwoch, den 4. Mai189SZuschriften an die RedaNion der„Gleichheit" sind ,u richtenan Fr, Klara Zetkin(Sißner), Stuttgart, Rothebllhl-Straßc>47, IV. Die Expedition befindet sich In Stuttgart,Furthbach-Straße 12,Weifte Sklavinnen.In den letzten Wochen berichteten die Blätter darüber, wiees zu den noblen Gepflogenheiten des Grafen und der Gräfinvon Dönhoff-Selten gehörte, ihr Dienstmädchen, das sowohl diefrühere wie die nachfolgende Herrschaft als ein Muster von Bescheidenheit, Zuverlässigkeit und Fleiß rühmen, zu mißhandeln undin gröbster Weise zu beschimpfen. Die„gnädige Frau" zumal geruhte gnädigst, ein anmuthiges Zeugniß ihrer Bildung und feinenSitte dadurch abzulegen, daß sie dem Mädchen Schimpfwörter wie„Schwein,"„alte Sau" und ähnliche liebliche Titulaturen an denKopf warf, die kaum noch unter den einst wegen ihrer Kraftausdrücke berüchtigten Fischweibern gang und gäbe sein dürften. Inliebevollem Gedenken jener Zeiten, wo der mittelalterliche Adeligenach Willkür mit Leib und Leben seiner Hörigen schaltete undwaltete, behandelte das würdige Ehepaar das Mädchen so schlecht,wie es nach der Aussage einer Zeugin wohl im Deutschen Reichenicht zum zweiten Male vorkommen könne. Als die Mißhandelte— nachdem sie sich eine Zeitlang mit Selbstmordgedanken getragen— schließlich ohne Kündignng den Dienst verließ, wurdesie auf die Klage der Herrschast hin zu drei Mark Geldstrafe ver-urtheilt. Das Gericht nahm nämlich an, daß in dem vorliegendenFalle nicht die Rede sein könne von„einer ungewöhnlichen Härte,"die allein zum sofortigen Verlassen des Dienstes berechtige. DerUrtheilsspruch würde dem simplen Menschenverstand als ein Beispielmehr jener unfaßbaren, tiefgründigen richterlichen Weisheit erscheinen,welche in den letzten Jahren öfters die Spitzfindigkeit Salomo's inden Schatten gestellt hat, wenn nicht die bestehenden Gesinde-Ordnungen den Schlüssel zum Verständniß der gerichtlichen Erkenntnißlieferten. Auf Grund unserer deutschen Gesinde-Ordnungen muß esals etwas„Gewöhnliches" erscheinen, daß Dienstmädchen seitens ihrerhochfeinen Herrschaften schlecht behandelt und grob geschimpft werden.Noch bei weitem grelleres Licht als durch den berichteten Vorgang fiel auf die Schönheiten der Gesinde-Ordnung anläßlich vonVerhandlungen, welche Ende Januar vor dem Glatzer Schwurgericht stattfanden. Die verwitwete Bauergutsbesitzer Siemon,deren Sohn und drei bei den Genannten in Dienst stehende Knechtestanden unter der Anklage vor Gericht, durch vorsätzliche Körperverletzung mittelst gefährlicher Werkzeuge und durch lebensgefährlicheBehandlung das Siechthum und schließlich den Tod der siebzehnjährigen Dienstmagd Schreiber herbeigeführt zu haben. Die Verhandlungen wiesen nach, daß das Mädchen seitens der Gutsherrschaft und der Knechte eine Behandlung erfahren, für welche dieBezeichnung„barbarisch" und„teuflisch" fast noch als zu milderscheint. Als das Opfer der scheußlichsten Brutalität sterbend inein Krankenhaus übergeführt worden und daselbst ihren Leidenerlegen war, ergab die gerichtliche Sektion der Leiche, daß derKörper der Verstorbenen durch fortgesetzte Mißhandlungen niit tausendgroßen und kleinen, alten und nenen Wunden bedeckt war, welcheSiechthum und schließlich den Tod zur Folge gehabt hatten. Einerder Sachverständigen sagte aus:„daß ihm in seiner vierzigjährigenPraxis ein derartiger Fall, wo thatsächlich kein Glied des ganzenKörpers ohne Beschädigung war, noch nicht vorgekommen sei." DieGeschworenen vernrtheilten die Knechte zu 3, 4 und 5 JahrenGefängniß, sprachen dagegen die Witwe Siemon und deren Sohnfrei. Und dies obgleich Beide bewiesenermaßen nicht nur dienioralischen Urheber der an der Schreiber verübten Greuel waren,diesen ruhig zugesehen hatten, sondern auch selbst das Mädchenvorkommenden Falles mit Holzschuh, Reitpeitsche und Besenstielunbarmherzig zu züchtigen pflegten. Die Geschworeneu, welche sichvermuthlich aus der Gutsbesitzerschaft der Gegend rekrutirten, unddie mithin für die„gesetzlich gewährleisteten väterlichen Rechte" derDienstherrschaft das richtige feine Verständniß mit zu den Verhandlungen brachten, gingen bei ihrem ungeheuerlichen Entscheid offenbar von den Voraussetzungen aus, daß die Siemon's das ihnennach der Gesindeordnung zustehende Züchtigungsrecht nicht überschritten hatten.Die beiden hier kurz gekennzeichneten Fälle sind auf Rechnungder preußischen Gesinde-Ordnung zu setzen, doch könnten sie sich ebensogut unter dem„Schutz" der Gesinde-Ordnung eines x-beliebigendeutschen Landes oder Ländchens zugetragen haben. Denn wenn auchdie Bestimmungen der deutschen Gesinde-Ordnungen so mannigfaltigsind wie unsere kleinen„Einzelvaterländer" auf der Landkarte buntscheckig, so bekunden sie doch sammt und sonders darin eine rührendeUebereinstimmung, daß sie den reaktionärsten mittelalterlichen Geistathmen, daß sie unter dem Vorwand, ein angeblich„patriarchalischesVerhältniß" zwischen Dienstherrschaft und Dienstboten zu wahren,letztere an Händen und Füßen gebunden der größten Willkür derersteren preisgeben. Es vergeht kaum eine Woche, in welcher dieBlätter nicht durch Berichte über Gerichtsverhandlungen und durchNotizen rc. der Geschichte des Märtyrerthums der Dienstboten einneues Kapitel hinzufügen. Und wie viele Fälle grausamster physischer und moralischer Qualen der Dienstboten überhaupt nie indie Oeffentlichkeit gelangen, weil die Gemarterten weder zu sprechen,»och klagbar zu werden wagen, das entzieht sich jeder Berechnung.Alle jene Beispiele„ungewöhnlicher" oder„gewöhnlicher"Härte legen nicht nur Zeugniß ab, daß die Bildung und Humanitätunserer oberen Zehntausend vielfach nichts als eine dünne Schminkeist, welche zu Hause nebst anderem in„guter Gesellschaft modischeuFlitterstaat" bei Seite gelassen wird, sie reden vor allem auch ganzeBände gegen die Ungeheuerlichkeit der Gesinde-Ordnungen, welchedas„patriarchalische Walten" der Dienstherrschaft, lies die kaumeine Grenze kennende Versklavung der Dienstboten gesetzlich billigenund heiligen.Die Gesinde-Ordnungen sind Ausnahmegesetze härtester Art,welche unter mehr oder weniger modernisirten Namen und Formenfür einen großen Theil der werkthätigeu Masse die Sklaverei desAlterthums, die Hörigkeit des Mittelalters fortsetzen und befestigen.Von den von Junkern und Muckern mit öliger Beredtsamkeit gepriesenen„Segnungen" der„alten patriarchalischen Verhältnisse"ist in den Gesinde-Ordnungen mehr als sich mit dem Geiste unsererZeit, mehr als sich mit dem bescheidensten Gefühl der Menschenwürde verträgt als maßgebend für Stellung, Pflichten und Behandlung der Dienstboten erhalten geblieben: echt patriarchalischnach Faustrecht und Stall duftende Brutalität und Rohheit, unddie gleicherweise in echt mittelalterlich feudaler Wolle gefärbteForderung gedanken- und kritikloser Unterwerfung des Gesindesunter die Launen und Schrullen der Herrschaft. Die Gesinde-----