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standes ist eine Herabsetzung der im Tarif vorgesehenen Löhne um 5 bis 30 Prozent. Die Versammlung sprach sich für Unterstützung der Streifenden aus und beschäftigte sich dann mit der Frage der Maifeier.

Frau v. Hofstetten referirte am 10. April in einer vom sozialdemokratischen Agitationsklub für den Osten Berlins   ver­anstalteten öffentlichen Versammlung über Die Wichtigkeit der Arbeiterbewegung." Die Ausführungen der Rednerin fanden reichen Beifall. In Breslau   fand am 10. April eine von ca. 700 Personen, darunter vielen Frauen besuchte Volksversammlung statt, in welcher Herr Schütz über das Thema sprach:" Das Christenthum und die herrschenden Klassen." Den Darlegungen des Referenten entsprechend erklärte die Versammlung in einer Resolution, daß sie auch in der Frage der Religion auf dem Boden des sozialdemokratischen Partei­programms stehe.

Am 10. April fand in Berlin   eine vom freien Diskutir­verein veranstaltete Versammlung statt, in welcher Herr Folger einen beifällig aufgenommenen Vortrag über Christenthum und Sozialis­mus" hielt. In der anschließenden lebhaften Diskussion unterstützten verschiedene Redner, sowie Frau Kolbe die Ausführungen des Referenten.

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Herr Fräßdorf sprach am 10. April in einer auch von Frauen besuchten öffentlichen Versammlung der sozialdemokratischen Partei Dresdens   über Die Stellungnahme zur Feier des 1. Mai." Nachdem der Referent und einige andere Redner für möglichst impo­sante, aber ruhige Gestaltung der Kundgebung eingetreten waren, forderte eine Frau ihre Geschlechtsgenossinnen, sowie die Männer auf, dafür zu sorgen, daß sich auch der weibliche Theil der Arbeiter­schaft recht zahlreich an der Feier betheiligen möge.

In Nürnberg   sprach am 10. April Frau Henrich Wilhelmi über das Thema:" Der Frauen Natur, Recht und Pflicht." Die Rednerin führte aus, wie die Frau bezüglich ihrer gesammten Ent­wicklung, bezüglich auch ihrer privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Stellung darunter zu leiden habe, daß Gewalt vor Recht gehe. Der Frau müssen die besseren Erwerbsquellen der liberalen Berufe er­schlossen, ihr muß das Stimm- und Wahlrecht gewährt werden. Der Kampf der Frauen um ihr Recht sei kein Klassentampf(!!?), sie for­derten nur ein Recht, ihr Menschenrecht. Man brauche die Konkurrenz der Frau nicht mehr zu fürchten, wenn der Grundsay verwirklicht werde: Gleicher Lohn für gleiche Leistung."

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Am 13. April fand in Nürnberg   eine öffentliche Versamm lung der in den graphischen Gewerben beschäftigten Arbeiter, Hilfs­arbeiter und Hilfsarbeiterinnen statt, in welcher Herr Sillier

( Berlin  ) über Die Stellungnahme zu den auf dem Halberstadter Gewerkschaftskongreß gefaßten Beschlüssen" referirte. Der Redner sprach sich unbedingt zu Gunsten der zentralen Organisation aus, um eventuelle wirthschaftliche Kämpfe gemeinsam führen zu können. Er betonte die Nothwendigkeit, ungelernte Arbeiter und Arbeiterinnen zur Organisation heranzuziehen, doch empfahl er rücksichtlich der letzt genannten die Gründung besonderer Arbeiterinnenvereine. Frl. Fischer machte den Männern den Vorwurf, daß sie bisher trotz aller schönen Worte nur sehr wenig für die Selbständigmachung und Organisation der Frauen gethan hätten. Die seitens der Frauen gut besuchte Ver­sammlung erklärte sich mit den Beschlüssen des Gewerkschaftskongresses einverstanden und verpflichtete sich, für das Zustandekommen einer graphischen Union   und die Ausbreitung der Organisation zu arbeiten und zu wirken.

Eine öffentliche Versammlung für Frauen und Männer, welche am 17. April in Hohen- Schönhausen statthatte, hörte einen Vortrag des Herrn Lazarus über das Thema: Was hat die länd­liche Bevölkerung von der Sozialdemokratie zu erwarten?" Der Redner führte aus, daß allein die Sozialdemokratie die Befreiung des ländlichen wie des industriellen Proletariats anstrebe und ver­wirklichen werde, und die Versammlung versprach, fleißig für die Ziele der Sozialdemokratie und den Beitritt zum sozialdemokratischen Ortsverein Propaganda zu machen.

Am 17. April fand in dem Landorte Klein- Tschausch ( Schlesien  ) eine von etwa 150 Männern und Frauen besuchte Volks­versammlung statt, in welcher Herr Schütz( Breslau  ) über Die Lage der ländlichen Arbeiter" referirte. Die Anwesenden verpflichteten sich zur regen Agitation für die sozialdemokratische Idee, deren Verwirk lichung allein den Landarbeitern Besserung ihrer Lage und endliche Befreiung bringen könne. Die Versammlungsbesucher waren voller Begeisterung und gingen nach dem Absingen der Arbeitermarseillaise

auseinander.

In Lübeck   tagte am 18. und 19. April der sozialdemokratische Parteitag für Lübeck   und beide Mecklenburg  . Nach kurzer Diskussion ward ein von Frau Kleve   mit warmen Worten begründeter Antrag angenommen, die Arbeiterinnenbewegung zu unterstützen. Auf dem Parteitag waren zwei Frauen als Delegirte für Lübeck   anwesend.

Eine von etwa 1000 Personen, darunter sehr vielen Frauen besuchte Volksversammlung fand am 23. April in Nürnberg   auf Veranlassung des Arbeiterbildungsvereins statt. Frau Zetkin  ( Stutt gart) sprach über Die gegenwärtige Stellung der Frau in der Gesell­schaft" und wies nach, wie dieselbe in erster Linie nicht von der Geschlechtslage, vielmehr von der Klassenlage beeinflußt werde. Die Klassenunterschiede seien innerhalb der Frauenwelt ebenso scharf zu

so sorge Dich nicht um sie, denn sie ist unser seit ewigen Zeiten; Schwert, das Schwert des Geistes in ihrer Hand, sie hat es uns Dich aber fennen wir nicht!"

Du lügst!" rief die Weiblichkeit zornentflammt und erhob ihr Schwert, daß der Wächter erschreckt zurückwich. Im selben Augenblick war sie an ihm vorüber und in der Stadt und ohne Aufenthalt, ohne der entsetzten Blicke der Menge, ohne der Droh­rufe hinter ihr her zu achten, eilte sie geradezu in den herrlichen Palast, den sie schimmernd vor sich sah, gerade vor den Thron der Frau Sitte, welche steif und langweilig im Kreise ihrer Hof= damen dasaß.

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Es entstand ein ängstliches Rücken und Zurückweichen. Was willst Du?" herrschte Frau Sitte mit drohender Miene sie an. Die Weiblichkeit wollte antworten.... Da- von Entseßen gepackt blieb ihr Blick auf den Stufen des Thrones haften. Dort saß, als wenn sie sich im Spiegel sähe, ein Wesen wie sie, von ihrer Gestalt, ihrer Größe, ihrer Art, ihrem Antlig sie selbst, sie selbst! Der Wächter hatte wahr gesprochen. Wie Wie erstarit bohrten sich die Blicke der Doppelgängerinnen einen Augen­blic lang in einander sie selbst, sie selbst! und nein! doch nicht sie selbst! Es war ein leerer falscher Blick, der dem ihrigen entgegen fam. Und sieh! auf der Stirn jenes Selbst dort thronte lächelnd die Dummheit, und in den Augen und auf den halb­geöffneten Lippen lauerte die Lüfternheit.... Mit einem Schrei schlug die Weiblichkeit beide Hände vor's Gesicht; sie konnte den Anblick ihres entseßlichen Spiegelbildes nicht ertragen.

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Hinaus! Du willst zerstören, was uns heilig ist, hinaus!" rief mit strenger, höhnender Stimme die Sitte auf ihrem Throne, und die vielen Ritter im Saal, die sich schüßend um die Doppel­gängerin geschaart hatten, erhoben ein gar gewaltiges Getöse: Das

gestohlen, entreißt es ihr!" Da flüchtete die arme Weiblichkeit hinaus, verfolgt von den Schmähungen und den Drohrufen aller Derer, denen zu helfen sie gekommen war, hinaus bis vor die Thore der Stadt und weiter, weiter, in die Nacht hinein, durch Felder und Dörfer, so weit die Herrschaft der Frau Sitte   reichte, bis in den tiefen schweigenden Wald, wo sie fern von Menschen niedersank.

Wie lange sie so gelegen, wußte sie nicht; sie war so müde und verzweifelt. Aber dann strich es ihr fühl um die Stirn, und in ihrem Ohr klingelte und tönte es wie von feinen Glöckchen, so lieblich und lustig, daß sie die Augen aufschlug. Es waren die Waldelfen, die sie zu trösten gekommen waren. ,, Bleibe bei uns!" baten sie schmeichelnd. Ich kann ja nicht, sie bedürfen dort meiner," schluchzte die Weiblichkeit und wies nach der Nicht­ung, von der sie gefommen. Da machten die Elfen betrübte Ge­sichter und flüsterten miteinander, und plößlich faßten sie sie bei der Hand und zogen sie weiter bis in ein duftig verschwiegenes Thal.

Und sieh! da stand sie plößlich vor ihr, der Ewigen, Einzigen, Allwissenden: der Mutter Natur. Die saß auf felsigem Thron, und die Elemente webten um sie herum, und von ihrem Antlitz strahlte ein sieghaftes Leuchten, so daß die Weiblichkeit erschauernd in die Knie sank, das Haupt zu Boden gesenkt. Sieh' auf!" sprach die Natur. Und die Weiblichkeit sah auf, der Natur gerade ins Angesicht, und die Natur lächelte. Wie heller Sonnenschein glitt dieses Lächeln überall hin, in Winkel und Spalten, hinein auch in das wunde Herz der Weiblichkeit, und während ihr noch die Thränen die Wangen herabliefen, lachte sie mit einem Mal hell und jauchzend auf.