stellung der angestrebten Reformen seitens ihrer geeignetsten und befähigsten Vertreter.
Unsere Aufgabe besteht unseres Erachtens darin, Denen zu helfen, welche über die einschlägigen Fragen gedacht und gearbeitet haben, und welche über dieselben etwas zu sagen wissen. Wir hoffen auf Vorschläge, Ermunterung und Beistand von Seiten Aller, welche in unseren Tagen eifrig und thätig innerhalb der weiten Welt der Arbeit wirken.
Wir erwarten mit Recht, daß genügende Räumlichkeiten beschafft werden für Arbeitervereine, Verbindungen und industrielle Gesellschaften, welche unter eigener Leitung Kongresse abhalten wollen. Diesen Spezialfongressen soll jede Erleichterung zu Theil werden, welche in der Macht des Hilfskongresses liegt. Außer diesen Kongressen wird der Hilfskongreß des Weltkongresses allgemeine Versammlungen veranstalten, in denen unter seiner Leitung, gleichsam in einem großen vereinigten Arbeitskongreß, solche Redner und Vorträge gehört werden, für welche sich das große Publikum ganz besonders interessirt.
Wir bitten dringend, unsere vorliegende Ansprache in allen Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen, welche von Arbeiterorganisationen herausgegeben werden, sowie in denen, welche die Interessen der Frauenarbeit vertreten.
Wir bitten um Antwort auf folgende Fragen:
Welche Personen würden Sie aus den verschiedenen Ländern empfehlen behufs Ernennung als Mitglied des berathenden Komité's dieser Abtheilung der Weltkongresse?
Welche Themata würden Sie, mit Bezug auf die obigen Ausführungen, dem Weltkongreß zur Erörterung empfehlen und wen würden Sie zur Behandlung dieser Thematas vorschlagen?
Alle Mittheilungen über Spezialkongresse oder Versammlungen von Frauenvereinen, oder Vorschläge, den Frauenarbeitskongreß betreffend, ersuchen wir zu richten an
Mrs. J. D. Harvey,
Vorsitzende des Frauenkomités des mit dem Weltkongresse verbundenen Hilfskongresses.
,, Gott, dak Brot so theuer ist, Und so wohlfeil Fleisch und Blut."
In jüngster Zeit ging wieder einmal durch die Presse eine jener Nachrichten, welche die heutige Gesellschaft in ihrer vollen Stulturwidrigkeit brandmarken, in Flammenschrift ihr das„ Mene Tefel" schreiben.
"
In Leipzig wurden von Professor Dr. Heubner und Dr. Taube behufs Aufnahme in die Ferienkolonien 1250 Kinder untersucht. Die Untersuchungen ergaben ein geradezu niederschmetterndes Resultat. Etwa zwei Drittel sämmtlicher untersuchter Kinder sind in hervorragender Weise körperlich schwäch lich und tränklich und bedürfen dringend einer Kräftigung ihrer Gesundheit, wenn sie nicht dauerndem Siechthum verfallen sollen," so lautete das Urtheil der Männer der Wissenschaft.
Niemand kann sich über die Bedeutung des Untersuchungsresultats mit dem Wahne hinwegtäuschen, daß es sich um eine lokale, vereinzelte Erscheinung handle. Im Gegentheil. Aus Stutt gart , aus Berlin , aus so und so vielen Städten liegen Mittheilungen vor, welche sich dem Sinne nach mit der obigen Nachricht durchaus decken. Die Zahl der fränklichen, einer Erholung dringend bedürftigen Kleinen ist auch hier überaus groß; so groß, daß die öffentliche Wohlthätigkeit bei Weitem nicht vermag, Allen von ihnen den Ferienaufenthalt unter gesunden Lebensbedingungen zu gewähren. Und wollte man die diesbezüglichen Untersuchungen von der großstädtischen Jugend auf die Proletarierkinder kleinstädtischer und ländlicher Industriezentren ausdehnen, so würde man hinsichtlich ihrer Gesundheit zu den nämlichen Schlüssen gelangen. Wer je das liebliche Thüringen , wer die romantischen Thäler des sächsischen Erzgebirges, die reizenden Landschaften Schlesiens durchstreift hat, dem werden die hohlwangigen, greisenhaft ausschauenden Kindergestalten unvergessen bleiben, denen er daselbst auf Schritt und Tritt begegnet. Der Mensch lebt nicht von Luft allein, und die köstliche reine Atmosphäre jener Gegenden vermag nicht aufzuwiegen, was den Kindern abgeht in Betreff der übrigen unentbehrlichen Lebensbedürfnisse. Und das Warum? Je nun, weil sie nicht fürsichtig genug gewesen, als Kinder von Leuten geboren zu wer
138
den, welche auf Kosten des bittersten Elends dritter Personen ,, Entbehrungslöhne" zusammenzuscharren verstanden.
"
Es ist eine seit langen Jahrzehnten bekannte Thatsache, daß die Sterblichkeit der Proletarierkinder, zumal in dem ersten Lebensjahr, eine weit höhere ist, als die der Nachkommen anderer Klassen. In England kamen z. B. nach dem„ Sechsten Bericht über den Stand der öffentlichen Gesundheit" von 1864( zitirt im Kapital") in 16 Distrikten auf je 100 000 lebende Kinder unter einem Jahr im Durchschnitt nur 9000 Todesfälle; in den Industriezentren Hoo, Wolverhampton , Ashton- under- Lyne und Preston dagegen über 24 000, und in Manchester , der Königin der englischen Fabrikstädte, gar 26 125. Bezüglich der hohen Sterblichkeitsziffer der Proletarierfinder in den Mittelpunkten der deutschen und fran zösischen Industrie beweisen Zahlen die nämliche Erscheinung.
Wie Schritt für Schritt mit der Entwicklung der Großindustrie und der Entfaltung der kapitalistischen Wirthschaftsweise die Lebenskraft des Proletariats von Jugend auf, ja noch vor der Geburt in den Eltern vernichtet wird, das erhellt sinnenfällig aus einem anderen sattsam bekannten Umstand. Die Industriezentren liefern bei den Militärstellungen einen geringen und stetig abnehmenden Prozentsaz diensttauglicher Leute. Frankreich hat in diesem Jahrhundert bereits zweimal das Soldatenmaß heruntersezen müssen; ein englischer General bejammerte, daß das Ostende von London , der Sitz der größten Armuth, nur wenig militärtüchtige Männer stelle; die Refrutenuntersuchungen in der Schweiz vom Herbst 1890 ergaben, daß von 30 348 Untersuchten nur 15 509 als diensttauglich erklärt werden konnten. Nach einer in der, Statistik der Neuzeit" veröffentlichten Untersuchung des Sozialpolitikers Caspar sind von 1000 Wohlhabenden nach 5 Jahren noch 943, von 1000 Armen nur noch 655 am Leben. Mit anderen Worten: fast die Hälfte der Kinder des werkthätigen Volks stirbt bis zum Alter von 5 Jahren!
Ab und zu wird ob der betreffenden Verhältnisse sogar die bürgerliche Gesellschaft stuzzig. Nicht etwa aus gefühlsseliger Humanität, versteht sich, wohl aber aus eigenem, praktischem Interesse! Sie muß möglichst zahlreiches, lohndrückendes Maschinenfutter zur Disposition haben, sie kann des Kanonenfutters nicht entrathen. Um sich das Eine wie das Andere zu sichern, erklärt sie dann den gekennzeichneten Zuständen gegenüber mit dem ihr eigenthümlichen Bruſtton der Ueberzeugungsheuchelei, daß etwas gethan werden müsse." Und sie thut auch wirklich etwas" und wähnt ein Uebriges gethan zu haben, wenn sie kräftig den Bettelsack schwingt, um Ferienkolonien, Seebadstationen 2c. zu gründen. Wenige Wochen einer gesunden Lebensweise sollen dann ausgleichen, was Jahre lang durch schlechte Nahrung, ungesunde Wohnung und mangelnde Pflege gefündigt worden ist! Von der eigenen Großmuth gerührt, mit der sie grammweise etlichen Wenigen zurückgiebt, was sie zentnerweise der ganzen Klasse gestohlen, drückt sich dann die kapitalistische Gesellschaft die Bürgerkrone der Humanität aufs Haupt und läßt sich von dem Troß ihrer literarischen Landsknechte als menschenfreundlichste aller Gesellschaften beweihräuchern. An die Wurzel des Uebels zu rühren, hütet sie sich wohl. Sie könnte es ja auch nicht, ohne sich beim Keltern des Mehrwerths, beim Anziehen der Profitschraube eine winzige Beschränkung aufzuerlegen. Das Nüßliche mit dem Angenehmen vereinigend, wirthschaftet sie drauf los nach dem„ Bereichert Euch" des filzigen französischen Königs, der ihr Geschöpf und ihr Abgott war, und in Gemäßheit des„ Nach uns die Sintfluth" einer vergnügungstollen königlichen Maitresse. So verwüstet sie in der Jugend die Lebenskraft des Proletariats, ja der Nation durch einen Raubbau gewissenlosester Art, wie sie in blinder Profitwuth die Ertragsfähigkeit des Bodens ganzer Länderstriche vernichtet.
"
Mit langen lateinischen Namen werden gewöhnlich die Todesursachen bezeichnet, denen die Kleinen der Proletarier wie die Fliegen erliegen. Sie starben, weil sie Arbeiterkinder waren," könnte man in der Mehrzahl der Fälle auf ihren Todtenschein schreiben. Als Nachfommen abgerackerter, schlechtgenährter Eltern wurden sie schon mit einem Zuwenig an Kraft und Gesundheit geboren, als Proletarierkinder wuchsen sie unter Entbehrung und Vernachlässigung heran, als Proletarierkinder verfielen sie dem Siechthum und einem frühen Tod.