einer Schwester, einer Mitstreiterin im großen Befreiungskampfe des Proletariats. Unter dem Druck ihrer Klassenlage ist auch sie, wie so viele Proletarierinnen in Deutschland , Desterreich, Frankreich , kurz überall, wo der Kapitalismus seine Orgien feiert, zum Bewußt sein erwacht. Sie hat gedacht, sie hat sich belehrt, ihr Geistesleben hat sich entfaltet, in ihrer Auffassung hat sie mit dem alten Schlen­drian gebrochen, wandelt sie neue Bahnen, auf welche sie durch ihre ureigensten Interessen hingewiesen wird. Von der Erkenntniß ihrer Leiden ist sie zur Erkenntniß der gesellschaftlichen Erscheinungen fort geschritten, von da zur Erkenntniß der wahren Ursachen ihrer unter­drückten, elenden Stellung, zur Erkenntniß auch des einzigen Mittels, das Abhilfe zu schaffen, welches ihr die Befreiung zu bringen vermag. Sicher ist die Zeit nicht mehr fern, wo an den Berathungen der Ver­treter des Weltproletariats auch die russischen Arbeiterinnen theil­nehmen, wo sie in Gestalt ihrer Delegirtinnen in persönliche Berühr­ung mit ihren Schwestern und Brüdern der Arbeit und des Elends treten werden. Bis dahin wird es ihnen ein Trost im Leiden und eine Ermuthigung im Kampfe sein, sich eins zu wissen mit ihren Klassen genossen und Genossinnen der ganzen Welt und ihnen ab und zu bei Gelegenheiten, wie die erwähnte, ihren sozialistischen Bundesgruß senden zu können. Ignatjeff.

Die Pariser Frauen des 5. und 6. Oktober 1789.

( Schluß.)

Tausende der Angesammelten hatten seit dreißig Stunden nichts gegessen. Die Menge, welche von verbohrt einseitigen oder be­soldeten Geschichtschreibern als der Auswurf, die Hefe der Pariser Frauenwelt" bezeichnet wird, bestand der Hauptsache nach aus Unglücklichen, welche die Verzweiflung vorwärts trieb, und aus Mitleidigen und Idealistinnen, welche dem Massenelend gegenüber nicht länger in Unthätigkeit verharren wollten und konnten. Viele betrachteten den Zug nach Versailles als ein Fest und hatten weiße Kleider oder ihre besten Gewänder angelegt.

In Gruppen strömten die Frauen dem Rathhaus zu, hier Brot und Waffen, sowie Beistand für Stranke und Schwangere fordernd, welche sich der Bewegung angeschlossen hatten oder mit­fortgerissen worden waren. Die das Hotel de Ville besetzt hal­tenden Truppen wurden mit Steinwürfen angegriffen und der Eingang zu dem Gebäude erzwungen. Seitens einzelner aufgeregter Gemüther fiel die Aeußerung, daß es das Beste sei, die Mitglieder des Stadtraths zu hängen und das Rathhaus anzuzünden. Es genügten jedoch etliche beruhigende Worte Maillard's, der an dem Bastillensturm hervorragenden Antheil genommen, um diese Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Frauen führten die vorgefundenen Kanonen weg und marschirten in einer Anzahl von 7-8000 unter Maillard's Führung Versailles zu. Friedlich, ohne den geringsten Schaden anzurichten, passirte der" wilde Pöbelhaufe" den Palast und die Gärten der Tuilerien. Bald machte sich der Hunger grausam fühlbar. In den Vororten, durch welche der Weg nach Versailles führte, schrie die Menge nach Brot. Halbverhungerte Frauen erklärten, Lebensmittel stehlen zu wollen, wenn man ihnen nichts zu essen gebe. Trotzdem gelang es Maillard , eine gewisse Ordnung aufrecht zu erhalten und die Plünderung der Bäcker­läden 2c. zu verhindern. Die Thatsache spricht beweisträftig gegen das Märchen von den zügellosen, rohen Instinkten der entfesselten Megären." In Sèvres konnten sich die entkräfteten Frauen nicht mehr weiter schleppen. Maillard erhielt gegen baares Geld etliche Krüge Wein und von den mit Gewalt herbeigeholten Bäckern des Orts acht vierpfündige Brote. Was sollte das Wenige für so Viele? Die wunderbare Speisung der Fünftausend mit fünf Broten und zween Fischen wiederholte sich nicht für die darbenden Frauen des Pariser Voltes. Hungrig und matt zum Sterben marschirten diese weiter, nur von der Hoffnung aufrechterhalten, durch ihr Ausharren ihren Theuren, der nothleidenden Masse Hilfe zu schaffen. Die meisten von ihnen warfen ihre Waffen fort, weil sie dieselben nicht länger zu tragen vermochten, aber auch dem Zureden Maillard's nach­gebend, welcher erklärte, daß man König und Nationalversammlung durch den Anblick des unendlichen Jammiers rühren, aber nicht durch Drohen mit Waffengewalt einschüchtern wollte. Um ihre friedliche Absicht fund zu thun, sang die Menge beim Einrücken in Versailles Das Lied Heinrichs IV.," die Hymne des französi schen Königthums. Die ärgsten Feinde der Revolution konnten

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sich des Eindrucks nicht erwehren, daß all dieses Volk nur Brot, nichts als Brot verlangte."

Während das Volk

Bis tief in die sinkende Nacht hinein hielt sich die viel­tausendköpfige Menge von Frauen vor dem königlichen Schloß, die Ergebnisse der Unterhandlungen ihrer Deputationen mit der National­versammlung und dem König abwartend. hungerte, die alte Ordnung der Dinge in allen Fugen frachte, die Zeit ernste Aufgaben stellte, war Ludwig XVI. wie gewöhnlich auf der Hirschjagd im Park zu Meudon , von der er erst in vor­gerückter Stunde zurückkehrte. Die vom Hunger gepeinigte Menge

erst spät am Abend erhielt sie nothdürftige Nahrung- bewies eine geradezu übermenschliche Geduld und bewahrte eine verhältniß­mäßig ruhige Haltung, obgleich die königlichen Truppen durch ihr übermüthiges, brutales Benehmen geradezu einen Zusammenstoß mit dem Volkshaufen herausforderten. Die ,, entmenschten Weiber" hungerten nach Brot und dürsteten so wenig nach dem Blute der " Nichtpatrioten," daß sie das der Königin anhängende Regiment von Flandern in rührenden Worten anflehten, nicht auf Schwestern und Brüder zu schießen, dem in friedlicher Absicht gekommenen Volt fein Leid zuzufügen. Die schöne Lütticherin Théroigne de Méricourt machte sich besonders bemerkbar durch die unwider­stehliche Beredtsamkeit, mit welcher sie die Soldaten für die Volks­sache zu gewinnen, sie zu bewegen verstand, ihre Patronen der Nationalgarde zu geben.

Die Nationalversammlung, die als Vertreterin der Interessen des Bürgerthums sich den Interessen des Volfs gegenüber mit schönen Phrasen abfand, aber instinktiv die Menge fürchtete und vor jeder ihr gemachten Konzession zurückscheute, zauderte unent­schlossen, was zu thun sei. Auf den Schrei nach Brot antwortete sie durch Vertröstungen und durch den Hinweis auf die Ent­scheidung des Königs. Nachdem dieser verschiedene Versuche ge= macht, mit seiner Familie das Schloß zu verlassen, empfing er schließlich eine Deputation von zwölf Frauen, deren Wortführerin die siebzehnjährige Blumenverkäuferin Louison Chabry war. Als das junge Mädchen das Wort ergreifen wollte, sant es vor Er­mattung und Aufregung mit dem Ausruf:" Brot!" ohumächtig zu Boden. Erst nach wiederholten Vorstellungen, und als die Haltung der Menge unruhiger, drohender geworden, entschloß sich der König zu einem Erlaß, welcher die lleberführung von Getreide nach Paris anbefahl und jedes Hinderniß aufhob, das der Verproviantirung der Stadt im Wege stand. Etwas später unterzeichnete Ludwig XVI. auch die neuen konstitutionellen Artikel.

Während die Verhandlungen hin- und hergingen, waren Schaaren von Frauen in den Sigungssaal der Nationalversammlung eingedrungen, um den Abgeordneten das Elend von Paris zu schildern. Als der Präsident Mounier die Mittheilung brachte, daß der König die konstitutionellen Artikel unterzeichnet hatte, ward er von allen Seiten mit der Frage bestimmt:" Werden die armen Leute von Paris nun Brot bekommen?" Und Fragen und Er­flärungen werden durch den Ruf übertönt: Wir hungern fürchter lich, wir haben heut noch nichts gegessen." Die Nationalversamm lung fuhr darauf fort, die Geseze über Verbrecher zu erörtern, die Frauen störten jedoch die Verhandlungen durch allerhand Zwischen­rufe." Der Schwäßer da, thäte besser zu schweigen," riefen sie; es handelt sich nicht darum, es handelt sich darum, Brot zu be­kommen." kommen." Und Brot, Brot! wir hungern!" schwirrte es viel­tausendstimmig vor den Thoren des Sigungssaals kläglich flehend und zornig drohend durch die Luft. Der Hunger, das bittere Elend beherrschte als Leitmotiv die Aktion der nach Versailles gezogenen Pariserinnen. Wie bereits bemerkt, war es erst spät Abends, nachdem der König einen Entschluß gefaßt hatte, daß die hungernde Menge Brot erhielt.

"

Gegen Mitternacht fehrte der größte Theil der Frauen, die ant Zuge Theil genommen hatten, unter Führung von Maillard und Louison Chabry nach Paris zurück, um daselbst die frohe Botschaft zu verkünden. Da aber den ganzen Tag über, bis spät in die Nacht hinein, Haufen hungernder Männer und Frauen nach Versailles geströmt waren, so blieb hier noch eine beträchtliche Menge zurück. Sie wollte sich mit den gemachten Versprechungen nicht zufrieden geben, sondern verlangte als Pfand für deren Er­