Denn die Gironde war die Partei der Bourgeoisie, sie war beherrscht von den Klasseninstinkten, zum Theil von den schon bewußten Klasseninteressen des Bürgerthums, das sich im Gegensatz zu fühlen begann zu den Schichten der„ Sanstulotten"( Ohnehosen), d. h. der besitzlosen, arbeitenden Masse.
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„ Ich hätte meine Suppe ebenso gut kochen können, als Philopoemen* Holz spaltete", sagt sie in ihren Memoiren sehr charakteristisch,„ aber Niemandem, der mich sah, würde es eingefallen sein zu denken, daß dies die Aufgabe wäre, welche man mir passender Weise zuertheilen könnte."
In der Zeit, wo Manon sich auf den ersten Genuß des Abendmahles vorbereitete, trug sie sich mit dem Plane, der Welt zu entsagen und den Schleier zu nehmen. Sie trat in ein Pariser Kloster
Die Kindheits- und Jugendjahre von Madame Roland stehen im schärfsten Gegensatz zu ihrem späteren Leben. Hier die reinste Idylle, eine behaglich ruhige Gristenz innerhalb der engen Schranken des Herkommens. Da der leidenschaftlich tobende Kampf, das Herein, kehrte aber schon nach einem Jahre wieder zu ihrer Familie austreten aus dem engen Kreis des bürgerlichen Frauenlebens, die Aktion auf der Bühne des politischen Lebens, am Ende- das Schaffot. Das Schicksal war Madame Roland nicht an der Wiege gesungen worden; sie hat es sich selbst geschmiedet, soweit die Gestaltung eines Lebens von dem Willen einer Person abhängen kann.
Jeanne- Marie Phlipon, die spätere Madame Roland , wurde am 18. März 1754 als Tochter einer behäbigen Bürgerfamilie in Paris geboren. Ihr Vater, Graveur und Bijouteriewaarenhändler, war ein Kluger, aber oberflächlicher, eitler und leichtsinniger Mann, die Mutter eine herzensgute, einfache, etwas beschränkte Frau, die in ihren Haushaltungs- und Familiensorgen aufging.
Schon frühzeitig zeigte die kleine Manon, so wurde die nachmalige Heldin der Gironde genannt, einen ungewöhn lich lebhaften und regsamen Geist, der sich an Alles heranwagte, und einen festen Willen, der sich Geltung zu verschaffen wußte. Die Mutter war zu schwach und beschränkt, um auf die Entwicklung des begabten Kindes großen Einfluß auszuüben, der Vater zu sehr Lebemann. So blieb die kleine Manon sehr viel sich selbst überlassen. Man gab ihr für die verschiedenen Fächer des Wissens Lehrer, in der Werkstatt des Vaters lernte sie mit dem Stichel umgehen, die Mutter machte sie mit den Geschäften des Haushalts bekannt. Am Gravieren, Kochen und an allen Handarbeiten fand jedoch Jeanne- Marie nur wenig Geschmack. Dafür lernte sie mit um so größerem Eifer und mit andauerndem Fleiß Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte 2c. Ein Onkel schlug ihr vor, das Latein zu erlernen, und mit großer Begeisterung ging sie sogleich an das Studium der lateinischen Sprache. Später studirte sie mit der gleichen Lust Astronomie, Physik, Philosophie 2c. Oft stand sie des Morgens um 5 Uhr auf, eilte im Nachtjäckchen an den Arbeitstisch im Zimmer der Mutter und lernte und las.
zurück und verbrachte darauf ein zweites Jahr bei der Großmutter, welche sie in die„ gute Gesellschaft" einführte. In jene Zeit fallen die ersten Aeußerungen ihres Hasses gegen die soziale Ungleichheit. Scharf und peinlich kam dem jungen Mädchen der Gegensatz zwischen Aristokratie und Bürgerthum zum Bewußtsein. Manons Selbstgefühl bäumt sich dagegen auf, daß Adelige, welche weder Vorzüge des Geistes noch Charakters besitzen, auf Grund ihrer Geburt eine bevorrechtete Stellung einnehmen und voll Geringschätzung auf die Bürgerlichen herabblicken. Zwei Episoden, welche Madame Roland in ihren Memoiren erzählt, sind charakteristisch dafür.
Eines Tags besucht sie mit der Großmutter eine Frau de Boismorel. Diese empfängt ihren Besuch als große Dame, auf dem Sopha sigend, neben sich ihren Schooßhund, redet die betagte Madame Phlipon, in ihrer Eigenschaft als Unterbürtige, als Bürgerliche, die in ihrem Hause Erzieherin gewesen, mit Fräulein Rotisset ( dem Mädchennamen) an und führt eine halb frivole, halb gnädig herablassende Unterhaltung. Während die gute Großmutter von der Dame und ihren„ feinen Manieren" ganz entzückt ist, nimmt die Enkelin von dem Besuch einen höchst unangenehmen Eindruck mit nach Hause. Sie ist entrüstet über die Hohlheit des Geplauders, die lächerliche Gespreiztheit der Manieren und vor allem über die Herablassung, die sie erfahren. Etwas später ist Manon bei einer am königlichen Hofe angestellten Freundin der Familie im Versailler Schloß zu Besuch. Sie hat Gelegenheit, den König und alle großen Persönlichkeiten des Reichs aus nächster Nähe zu sehen, zieht aber vor, durch die Gärten zu streifen und die Statuen zu betrachten. Die Mutter fragt, ob sie mit ihrer Reise zufrieden ist, und sie giebt die charakteristische Antwort:„ Ja, vorausgesetzt, daß sie bald zu Ende ist. Noch etliche Tage, und ich würde die Leute, welche ich sehe, so aus tiefster Seele verabscheuen, daß ich nicht wüßte, wie ich mit meinem Haß fertig werden sollte." „ Aber was haben sie Dir denn zu Leide gethan?" fragt die Mutter. Und die Tochter antwortet:„ Sie lassen mich die Ungerechtigkeit fühlen und in jedem Augenblick die Abgeschmacktheit betrachten."
Madame Noland.
Manons Hauptleidenschaft war das Lesen. Sie las ohne Auswahl Alles, was sie im Bücherschrank des Vaters vorfand: Reise beschreibungen, Geschichtsbücher, die Bibel, Gedichte, Romane. Sie ging, wie sie selbst sagt, ganz in der Welt auf, welche die Lektüre vor ihrem geistigen Auge erstehen ließ und identifizirte sich mit den Heldinnen und Helden, deren Geschick sie in Athem hielt. Als sie 9 Jahre alt war, fielen ihr Plutarch's" Lebensbeschreibungen berühmter Männer" in die Hände. Das Buch fesselte ihren Geist derart, daß sie es während der Charwoche statt des Gebetbuches mit in die Messe nahm. Aus seiner Lektüre schöpfte sie ihre erste schwärmerische Begeisterung für die Republik , das Streben, es den Größten und Besten des Alterthums gleichthun zu wollen und eine hohe Auffassung von der Pflicht.
Troß ihrer leidenschaftlichen Vorliebe für geistige Beschäftigungen war die zum jungen Mädchen heranwachsende Manon nichts weniger als ein trockener Bücherwurm oder ein einseitiger, lintischer und weltfremder Blaustrumpf. Sie begeisterte sich an den Schönheiten der Natur, fie freute sich, daß sie unter ihren Bekannten am besten tanzte, daß man ihr auf den sonntägigen Spaziergängen wegen ihrer Haltung und Kleidung Komplimente machte. Nachdem sie sich stundenlang mit ihren Büchern beschäftigt hatte, ging sie im schlichten Leinwandrock auf den Markt, Petersilie und Salat einkaufen, sie legte die Guitarre bei Seite, um in der Küche Gemüse zuzuputzen oder Eierfuchen zu bereiten. Trotzdem blickte wohl schon damals durch, daß sie sich zu anderem berufen fühlte, als einen Haushalt zu regieren.
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In diesen Worten liegt mehr als das verletzte Selbstgefühl eines jungen, hochstrebenden Mädchens. In ihnen gelangt das Gefühl, die Auffassung einer ganzen unterdrückten Klasse zum Ausdruck; das Gefühl und die Auffassung der Bourgeoisie, die im Bewußtsein ihrer wirthschaftlichen Macht, ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung durch ihre unterbürtige soziale Stellung leidet und nach Gleichberechtigung verlangt. Der Haß des dritten Standes" gegen die soziale Ungleichheit nach oben hat in Madame Roland gleichsam seine Verförperung gefunden. Er äußert sich in verschiedenen Stellen ihrer Memoiren, er macht sie zur Heldin der Revolution, sie verleiht ihm eine Stimme in dem berühmten Brief Noland's an Ludwig XIV . In ihm wendet sich nicht der Minister an den König, sondern die siegreich vordringende Bourgeoisie spricht als Klasse, im Bewußtsein ihrer Kraft als Macht zu Macht mit einer anderen Klasse.
So ruhig und eintönig äußerlich Jeanne- Maries Leben in jenen Jahren verfloß, so bewegt und reich war es nach innen. Je weniger die Menschen ihrer Umgebung ihrem Gemüths- und Geistesleben boten,
* Philopoemen, ein berühmter griechischer Feldherr, der sich durch sein Talent, seine Einfachheit und Wahrhaftigkeit auszeichnete und der letzte Grieche" genannt wurde.