um so mehr flüchtete sie sich in ihre Bücher. Die Lektüre ernster Werke übte einen nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung ihres gesammten Wesens aus. Sie vertiefte sich in das Studium der besten Autoren des Alterthums und las mit Begeisterung die französischen Schriftsteller, welche durch ihre Werke auf dem Gebiete der Philo­sophie, Geschichte und Politik die Geister auf die große französische Revolution vorbereiteten. Den tiefsten und dauerndsten Einfluß übte Rousseau auf das junge Mädchen aus. Verhältnißmäßig spät, in ihrem 20. Jahre, ward Manon mit seinen Schöpfungen bekannt, aber dafür nahm er sie sofort gefangen und beherrschte von da ab ihr Denken und Empfinden. In ihrem Leben und Schriften ist sein Ein­fluß unverkennbar, sie erweist sich als die ureigenste Tochter seines Geistes.

Die bei der Geistes- und Charakterrichtung des jungen Mädchens unvermeidlich gewordene Krise blieb nicht aus. Manon mußte den Konflikt durchkämpfen zwischen Glauben und Wissen, zwischen Jdeal und Wirklichkeit. An Anschauungen und Charakter gefestigt ging sie aus ihm hervor. Sie streifte die letzten Reste des Kirchenglaubens ab und stellte sich entschieden

auf

den materialisti­schen Standpunkt der Enzyklopä disten. An Stelle des Gehorsams gegen göttliche Vorschriften tra­ten ihre ungemein hohen und stren gen Begriffe von Tugend und Pflicht. In den schwierigsten La­gen des Lebens, in den schmerz lichsten Kämpfen des Herzens, im Angesicht des To­des fand sie in ihren Ueberzeu gungen einen Halt, den Tau­senden die Reli­

gion nicht ge­währt.

Mit den all­gemeinen An= schauungen über Welt und Leben entwickelten und festigten sich auch Manons politi­

sche Ueberzeu­

5

vor ihr fand. Eine Zeit lang feimte eine Neigung zu einem gleich­alterigen, schriftstellernden, übrigens höchst alltäglichen Philosophen in ihrem Herzen. Als sie demselben jedoch eines Tags auf dem Spaziergang mit einem Federbusch auf dem Hute begegnete, war es mit ihrem Gefühl aus und vorbei; ein Federbusch auf dem Hute er­schien ihr als eines Philosophen durchaus unwürdig.

Gegen alles Erwarten nahm Jeanne- Marie die Werbung eines Mannes an, welcher zwanzig Jahre älter war als sie selbst. Roland de la Platiere, dies war sein Name, hatte weder in seinem Aeußeren noch in seinem Wesen, was die Leidenschaft eines jungen Mädchens erwecken konnte. Er war lang, mager, ziemlich kahlköpfig, kalt, steif und geschraubt. Aber er war ein sehr gebildeter Mann, welcher gleichfalls für das Alterthum schwärmte, in seinen Republiken das höchste Jdeal der Zukunft erblickte, die republikanischen Bürgertugen­den in seinem eigenen Leben zu verwirklichen strebte, sehr viel philo­sophirte und sich einer puritanischen Einfachheit und Strenge der Sitten befleißigte. So gab es zwischen ihm und Manon eine Menge Berührungspunkte, es entwickelte sich zwischen Beiden ein reger

Madame Roland verläßt das Gefängniß.

gungen. Sie wendete den politischen Verhältnissen eine immer leb­haftere und eingehendere Aufmerksamkeit zu, die Ereignisse und Leute ihrer Zeit mit dem Maßstab der republikanischen Ideale messend, denen sie nicht mehr aus schwärmerischer Gefühlsseligkeit anhing, sondern aus bewußter Ueberzeugung.

Der Tod der Mutter, welcher in jene Zeit fällt, gestaltete die Verhältnisse im väterlichen Hause zu höchst unerquicklichen und un­haltbaren. Der Vater ergab sich nun ganz einem tollen, zügellosen Genußleben und verjubelte sein Vermögen mit Mätressen und im Spiel. Das Zusammenleben mit ihm ward für Manon zur Unmög­lichkeit, und so zog sie sich in das nämliche Kloster zurück, in welchem sie sich auf die Kommunion vorbereitet hatte. Sie sorgte für ihre Be­föstigung selbst und lebte theils weil ihre Mittel bescheidene waren,

1

-

theils aus Neigung in der strengen Einfachheit der alten Spar­taner. So viel es ging, nahm sie sich von ihrer Klause aus des väterlichen Haushalts an, den größten Theil ihrer Zeit verwendete sie jedoch auf die Erweiterung ihrer Kenntnisse.

Es wäre dem jungen Mädchen ein Leichtes gewesen, den häus­lichen Unannehmlichkeiten durch eine Ehe zu entgehen. Manon hatte sich nicht nur geistig, sie hatte sich auch förperlich sehr gut entwickelt und war zu großer Schönheit herangeblüht. Ihre Biographen rühmen ausnahmslos ihre fesselnde, sympathische äußere Erscheinung. Es fehlte ihr nicht an Bewerbern, und der Vater hätte ihre Verheirathung gern gesehen. Allein Manon stellte an den Geist und Charakter eines Lebensgefährten so hohe Ansprüche, das keiner der Freier Gnade

geistiger Verkehr, dann eine tiefe Freundschaft. Nach fünfjähri­ger Bekanntschaft erklärte sich Ro­land und erhielt die Zusage des

jungen Mäd­chens. Der Vater wollte jedoch von diesem Schwie­gersohne nichts wissen, denn sei­ne Sittenſtrenge schien ihm ein beständiger Vor­wurf gegen die eigenen Aus­schweisungen. Da aber Manon an ihrem Wort fest­hielt, gab er schließlich seine Einwilligung zu

der Verheira thung, die 1780 stattfand. Manon

brachte ihrem Gatten keine lei­

denschaftliche Liebe entgegen, sondern eine ru= hige, auf die höchste Achtung

gegründete Freundschaft. Ihre Ehe war nicht das geträumte Ideal, aber sie bedeutete einen neuen, bestimmten, erweiterten Wirkungs­kreis, die Möglichkeit des Verkehrs mit gleichdenkenden, gleichstrebenden Menschen, die Möglichkeit durch Reisen den Geist zu bilden. Roland bekleidete nämlich als Manufaktur- Inspektor einen Posten in der Finanzverwaltung und mußte dann und wann längere Reisen ins Ausland unternehmen. Manon trat mit dem festen Vorsatz in die Ehe, Roland eine treue, hingebende Gefährtin und Mitarbeiterin zu sein und diesen Vorsatz hat sie ihrem strengen Pflichtgefühl entsprechend redlich gehalten. ( Schluß folgt.)

Arbeiterinnen- Bewegung.

In der Zeit vom 3. bis 31. Dezember fanden öffentliche Ver­sammlungen statt in: Berlin , öffentliche Versammlung der Tabak­arbeiter und Arbeiterinnen: Die Beschlüsse des Tabakarbeiter­kongresses"( Genosse Butry); öffentliche Versammlung der im graphi­schen Gewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Ge­werkschaftsorganisation im Emanzipationskampfe der Gewerkschaften" ( Reichstagsabgeordneter Legien); öffentliche Versammlung der Textil­arbeiter und Arbeiterinnen: Andere Länder, andere Sitten"( Genossin Wabnitz); zwei öffentliche Versammlungen aller in der mechanischen Schuhfabrikation beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: 1) Si­tuationsbericht über den Streik"( Genosse König); 2) Situations­