Nr. 2 der ,, Gleichheit" gelangt am 24. Januar 1894 zur Ausgabe.
welche als Privatsekretärin der frauenrechtlerischen Lady Dilfe nach London kam und sich in dieser ihrer Eigenschaft mit den Verhältnissen der Londoner Arbeiterinnen vertraut machte. In die Deffentlichkeit trat sie gelegentlich einer großen Versammlung der Lon doner Wäscherinnen im Hyde Park, wo sie diese aufforderte, ihre Unterstellung unter die Fabrifgesetzgebung zu fordern und beim Ministerium die nöthigen Schritte hierfür zu thun. Ihre Worte wirkten so überzeugend, daß schon am nächsten Tage eine Abordnung der Wäscherinnen im Parlamente erschien und gesetzlichen Schuß gegen die Ausbeutung verlangte. Fräulein Irwin hat sich besonders mit den Verhältnissen der schottischen Arbeiterinnen beschäftigt. Sie war auf dem internationalen sozialistischen Arbeiterkongreß zu Zürich als Delegirte anwesend und forderte auf Grund reichen thatsächlichen Materials einen gesetzlichen Arbeiterinnenschutz, für den sich übrigens auch Fräulein Abraham erklärt hat. Letztere ist besonders in London thätig, wo sie in der kurzen Zeit ihrer Amtsführung den Gesetzesübertretungen der Unternehmer schon ganz energisch zu Leibe gegangen ist. Die meisten Strafanzeigen mußte sie erstatten, weil die Unternehmer ihre Arbeiterinnen über die gesetzlich festgelegte Zeit hinaus schaffen ließen. Die beiden englischen Fabrikinspektorinnen Abraham und Jrwin haben zusammen mit Fräulein Orme und Fräulein Collet, welche beide in der englischen Arbeiterbewegung bekannt sind, kürzlich einen Bericht veröffentlicht über die Beschäftigung der Frauen". In demselben sind die Ergebnisse der Enquête niedergelegt, welche die genannten vier Frauen im Auftrage der Regierung und des Parlaments über die Arbeitsverhältnisse der großbritannischen Arbeiterinnen führten. Der Bericht beweist nach dem Urtheil Unparteiischer,„ daß die Frauen geeignetere Forscherinnen über die Verhältnisse der Arbeiterinnen sind, als die Männer." Der Minister des Innern ist mit der Amtsthätigkeit der beiden Fabrikinspektorinnen so zufrieden, daß er beschlossen hat, noch mehr Frauen als solche anzustellen und sie zum Theil aus den Reihen der Arbeiterinnen zu wählen. Kurz, überall wo Frauen als Fabrifinspektorinnen angestellt worden sind, haben sie die Probe auf ihre Fähigkeit und Tüchtigkeit glänzend bestanden, überall sind sie den Aufgaben ihres Amts in vollem Maße gerecht worden.
Sollte man in nicht zu ferner Zukunft in Deutschland den alten, geliebten Zopf soweit abschneiden, daß man sich zur Anstellung von Fabrifinspektorinnen entschlösse, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß keine von ihnen aus den Reihen der Arbeiterinnen gewählt würde. Noch weniger würde man sich dazu verstehen, wie in Amerika , Frankreich und England, bekannte Sozialistinnen zur Fabritinspektion hinzuzuziehen. Die deutschen Regierungsbehörden haben eben eine so gute Meinung von der Dauerhaftigkeit des Deutschen Reichs, daß sie überzeugt sind, eine solche Ungeheuerlichkeit müßte auf dieses die gleiche Wirkung haben, wie weiland das Posaunenblasen vor den Mauern von Jericho . Derartige Vorurtheilslosigkeit ist nur in ,, wilden Ländern" möglich.
Seitens der deutschen Arbeiterinnen wird schon seit Jahren immer dringender die Forderung erhoben auf Anstellung weiblicher Fabrifinspektoren. Den sozialdemokratischen Parteitagen zu Berlin und Köln lagen darauf abzweckende Anträge vor, welche zum Theil von proletarischen Frauenorganisationen ausgingen. Der internationale sozialistische Arbeiterfongreß zu Zürich forderte die Anstellung von Fabrikinspektorinnen als die nöthige Ergänzung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes. Die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten haben wiederholt bei der Diskussion des Etats zum Titel Gewerbeinspektion darauf hingewiesen, daß die ausgedehnte Thätigkeit der Frau auf industriellem Gebiete die Anstellung von staatlichen Fabrikinspektorinnen zur unabweisbaren Nothwendigkeit macht. Bis jetzt ohne jeden Erfolg. Ein direkter, auf Verwirklichung der Forderung abzweckender Antrag konnte im Reichstag nicht gestellt werden, da es die einzelnen Bundesstaaten sind, welche die Fabrikinspektoren ernennen. Laut Beschluß des Kölner Parteitags wird nun die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die einheitliche Regelung und den Ausbau der Fabrikinspektion durch das Reich fordern, gleichzeitig die Vermehrung der Fabrikinspektoren und die Anstellung von Fabrikinspektorinnen.
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Der jetzige Reichstag besteht seiner Mehrzahl nach aus Vertretern der besitzenden Klassen, welche sich den Teufel um die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen fümmern. Dazu kommt, daß gerade unter den deutschen Wohlgesinnten" und Gebildeten" die ödeste philisterhafte Auffassung über den ,, Beruf der Frau", über weiblich und unweiblich in Blüthe steht. Es ist deshalb kaum nehmen, daß der jetzige Reichstag der so bescheidenen Forderung Rechnung tragen wird. Nun, die Arbeiterinnen und Arbeiter werden sie so lange aufs Neue und immer lauter, immer dringlicher erheben, bis der Druck von unten ertroßt, was die Einsicht von oben verweigert.
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Kleine Nachrichten.
Die 14 sozialdemokratischen Abgeordneten, welche im sächsischen Landtag sitzen, haben dem Beschluß des Kölner Parteitags entsprechend einen Antrag eingebracht auf Einführung des allge= meinen, gleichen und direkten Wahlrechts zu dem Landtag für alle sächsische Staatsangehörige ohne Unterschied des Geschlechts, welche das 20. Lebensjahr vollendet haben. Auf eine Annahme des Antrags ist natürlich nicht zu rechnen.
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Erst ausgebeutet, dann vor die Thür gesetzt. In der Fabrik von Kühn und Bücking in Dresden verdiente eine Arbeiterin in der ersten und zweiten Woche nach ihrer Einstellung- 6 Mark, also 3 Mark pro Woche. In der dritten Woche schaffte sie im Akkord und nahm Arbeit mit nach Hause, so daß sie aller Berechnung nach über 6 Mark verdient haben mußte. Aber die Arbeiterin denkt, und der Herr Werkführer lenkt. Als es zur Lohnauszahlung fam, erhielt sie auch diese Woche nur 3 Mark. Auf ihre Anfrage, wie sich dieser Lohn erkläre, erhielt sie Feierabend. Sich ausbeuten lassen und das Maul halten, das sind die Rechte, welche die Kapitalistensippe den Arbeiterinnen und Arbeitern zugesteht.
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Das steigende Elend der breiten Masse erhellt recht deutlich aus dem abnehmenden Fleischkonsum in den großen Städten. In Berlin ging der Fleischkonsum pro Kopf zurück von 180 Pfund im Jahre 1880 auf nur noch 140,6 Pfund im Jahre 1891. Der Münchener verzehrte 1889 durchschnittlich 180 Pfund Fleisch, 1891 dagegen nur noch 158,44 Pfd. In Leipzig belief sich der durchschnittliche Jahreskonsum an Fleisch 1890 auf 108,14 Pfd., 1892 aber nur noch auf 95,82 Pfd. In Nürnberg ward 1890 durchschnittlich pro Kopf der Bevölkerung 132,1 Pfd. Fleisch konsumirt, 1892 dagegen nur 120,3 Pfund. In all den genannten Städten hat der Verbrauch von Pferdefleisch zugenommen. Der abnehmende Konsum an Rind, Schweine-, Kalbfleisch, der steigende Verbrauch von Pferdefleisch fommt natürlich ausschließlich auf Rechnung des arbeitenden Volks. Um den Fleischkonsum der oberen Zehntausend ist es nicht so übel bestellt: der aus dem Spielerprozeß in Hannover bekannte Herr von Meyerinck hat z. B. nachgewiesenermaßen in einem einzigen Jahre für 5000 Mark Fleisch- und Wurstwaaren verbraucht. Die Standesund Erwerbsgenossen des Herrn v. Meyerinck, dazu die heilige Sippe der Schlotjunker, Börsenmoggler 2c. darben bei Lendenbeefsteak, feinem Geflügel und theuren Fischen, das werkthätige Volk aber, die ,, Kanaille", kann bei Häring und Hottehü schlampampen.
Frauenstimmrecht. In Neuseeland hat kürzlich die erste Parlamentswahl stattgefunden, bei welcher die Frauen das ihnen zuerkannte Stimmrecht ausübten. Ihre Betheiligung an den Wahlen war eine außerordentlich starke. Meist stimmten ste für Kandidaten, welche religiös gesinnt sind und für die Temperenzbewegung eintreten. Die Thatsache ist erklärlich genug. Sie ist die Frucht des Köhlerglaubens, daß sich die Frau nicht um Politik zu fümmern habe. Die bürgerlichen politischen Parteien betrachteten die Frauen als„ quantité négligeable", als Gtwas, was nicht zählt. Sie ließen sich nicht im Geringsten angelegen sein, die Frauenwelt über das politische Leben, über die Zeit- und Streitfragen aufzuklären, sie zur Parteinahme heranzuziehen. Anders die Geistlichkeit. Diese begriff zu allen Zeiten den Werth einer Bundesgenossenschaft der Frauen, und so gab sie sich alle Mühe, sich in diesen Kämpferinnen zu erziehen für den himmlischen Zukunftsstaat der Schwarzen. Auch die Temperenzler erkannten, wie wichtig, ja unbedingt nöthig es sei, daß ihre Bewegung die Unterstützung der Frau fände, welche in so und so vielen Fällen einen entscheidenden Einfluß auf den Mann ausübt. So entfalteten sie eine rege Agitation unter den Frauen, die auf guten Boden fallen mußte, denn die Frauen sind es ja gerade, die unsäglich unter der Trunksucht der Männer leiden. Die Haltung der neuseeländischen Frauen beweist absolut nichts gegen die Betheiligung der Frauen am politischen Leben, sie legt nur Zeugniß ab für die dringende Nothwendigkeit, die Frauenwelt politisch aufzuklären und zu schulen, damit sie den richtigen Gebrauch vom Wahlrecht macht. Ueberall, wo es eine starke und zielbewußte sozialistische Arbeiterbewegung giebt, da läßt diese sich angelegen sein, den Frauen diese politische Aufklärung und Schulung zu übermitteln. Und dies im wohl= verstandenen eigenen Interesse.
Nur in ,, wilden Ländern" möglich. In Colorado ( Vereinigte Staaten ) erhielten die Frauen das Stimmrecht für alle Wahlen, so daß sie nun den Männern an sozialpolitischen Rechten völlig gleich gestellt sind. Und Colorado steht noch, und im Lande ist noch nicht Alles drüber und drunter gegangen.
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