sich nicht entziehen konnte, war ihr entsetzlich, und da sie die Sym­pathie der Frau des Portiers gewonnen hatte, so erhielt sie ein ab­gelegenes Zimmerchen, mit Blumen und einem Klavier. Die Ver­günstigung dauerte jedoch nicht lange, sie ward entdeckt und Madame Roland mußte wieder eine gewöhnliche Zelle beziehen. Die Frau des Portiers wollte ihr zur Flucht verhelfen, sie aber wies das An­erbieten zurück. Sie glaubte, daß ihre Haft die Verfolgung ihres Mannes abwendete und wollte ,, nie eine Freiheit genießen, die Andere kompromittirte".

Am 1. November wurde sie in die Conciergerie übergeführt, wo das Revolutionstribunal seinen Sitz hatte, vor dem sie verhört werden sollte. Auch hier befanden sich unter ihren Mitgefangenen viele rohe und verwilderte Elemente. Durch die Macht und den Zauber ihrer Persönlichkeit übte sie bald auf diese einen günstigen Einfluß aus. Ein mit ihr zusammen verhafteter Monarchist erzählt darüber: ,, Madame Roland's Zimmer war das einzige Asyl des Friedens in­mitten dieser Hölle. Wenn wir in den Hof herniederstiegen, so stellte ihr bloßer Anblick die gute Ordnung wieder her, und diese Unglücklichen, über welche keine Macht der Erde etwas vermochte, ließen sich durch die Furcht zurückhalten, ihr zu mißfallen. Sie spendete Geldunterstützungen an die Bedürftigen, Rath, Trost und Hoffnung an Alle. Von Frauen umgeben, die sich um sie drängten, wie um eine schützende Gottheit, ging sie einher."

Nachdem sie mehrmals verhört worden, mußte sie am 8. No­vember vor dem Gerichtshofe erscheinen. Sie wußte, daß dieses Er­scheinen gleichbedeutend war mit dem Todesurtheil. Trotzdem bewahrte sie ihre volle Fassung. Nach dem Bericht eines Augenzeugen hatte sie sich mit ausgesuchter Eleganz gekleidet. Sie trug ein weißes Mousselinkleid, mit Blonden besetzt und von einem schwarzen Sammt­gürtel zusammengehalten. Ihr reiches Haar wallte in Locken auf ihre Schultern herab. Ihre Züge waren rosig angehaucht und zeigten keine Spur von Erregung, ein Lächeln schwebte auf ihren Lippen. Mit der einen Hand hielt sie die Schleppe ihres Kleides, die andere überließ sie den Frauen, welche sich schluchzend herzudrängten, um sie zu küssen. Sie antwortete allen mit herzgewinnender Güte, sie sprach nichts vom Wiederkommen, aber sie sagte auch nicht, daß sie in den Tod ginge. Sie forderte ihre Mitgefangenen auf zu Fried­fertigkeit, Muth, Hoffnung und Uebung der Tugend.

Ich kam soweit, daß ich mich fast fürchtete, eine Zeitung in die Hand zu nehmen; ungefähr wie Jemand, der eine wollene Decke, die er nothwendig braucht, aufheben möchte, aber eine Slapper­schlange darunter vermuthet. Eines Tages las ich Folgendes:

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" Der Lügner ist entlarvt! Durch die beschworenen Aus­sagen der Herren Michael O'Flanagan, Sub Rafterty und Catti Mulligan aus Five Points und Water Street wurde festgestellt, daß Herrn Mark Twain's schändliche Behauptung, als wäre der verstorbene Großvater unseres edlen Bannerträgers Blank J. Blank wegen Straßenraubs gehängt worden, eine gemeine, aus der Luft gegriffene Lüge ist. Für tugendhafte Männer ist es eine nieder­schmetternde Erfahrung, daß man zu solchen unehrenhaften Mitteln greifen kann, um einen politischen Erfolg zu erringen, daß man sich nicht scheut, die Todten noch im Grabe zu beschimpfen und auf ihren geachteten Namen Verleumdungen zu häufen. Wenn wir an den Schmerz denken, den diese elende Lüge den unschuldigen Ver­wandten und Freunden des Verewigten bereitet haben muß, sind wir fast versucht, das betrogene und beleidigte Publikunt zu schneller, wenn auch ungefeßmäßiger Rache gegen den Verleumder aufzu­stacheln. Aber nein Aber nein überlassen wir ihn den Qualen eines gepeinigten Gewissens! Sollte jedoch der Fall eintreten, daß das Sollte jedoch der Fall eintreten, daß das Publikum von Leidenschaft übermannt, in wilder Wuth dem Ver­leumder körperliche Mißhandlungen zufügte, so liegt es auf der Hand, daß kein Schwurgericht die Thäter für schuldig erklären, fein Richter sie strafen könnte."

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"

Der geschickt abgefaßte Schlußsak bewirkte, daß ich noch in derselben Nacht in größter Eile aus dem Bette und zur Hinterthür hinausflüchten mußte, während das betrogene und beleidigte" Publikum vor dem Hause wüthete und tobte wie brandende Meeres­wogen, in seiner gerechten Entrüstung beim Kommen Möbel und Fenster zerschlug und beim Gehen so viel von meinem Eigenthum mitnahm, als es tragen fonnte. Und doch kann ich meine Hand auf die Bibel legen und versichern, daß ich Herrn Blank's Groß­vater niemals verleumdet habe. Ja, noch mehr ich hatte bis zu dieser Stunde seinen Namen nicht einmal nennen hören.

21

Wie die verhafteten Parteifreunde, welche zum Theil durch eigene Hand, zum Theil durch die Guillotine geendet hatten, wurde sie für schuldig befunden der Theilnahme an einer Verschwörung gegen die Einheit und Untheilbarkeit der Republik und die Freiheit und Sicherheit der französischen Nation." Der Gerichtshof entzog ihr das Wort zu ihrer Vertheidigung und verurtheilte sie zum Tode. Sie nahm das Urtheil mit den stolzen Worten auf:" Ihr erachtet mich für würdig, das Schicksal der großen Männer zu theilen, die Ihr ermordet habt, und ich werde mich bemühen, auf das Schaffot den nämlichen Muth mitzubringen, den sie gezeigt haben."

Vom Gerichtssaal aus trat sie den Weg zur Richtstatt an. Auf ihrem Gesicht lagerte ernste Heiterkeit, ihre Augen blitzten, ihre Erscheinung verrieth weder Schwäche noch Effekthascherei. Ruhig und fest stand sie auf dem Karren, auf welchem sich außer ihr noch ein gewisser Lamarche befand, der sich vor Entsetzen kaum aufrecht halten konnte. Sie sprach ihm Muth und Trost zu, und am Fuße des Schaffots angekommen, ließ sie ihn voraus gehen, damit er nicht Zeuge ihres Todes würde. Der Henker wollte ihren Vorschlag nicht gelten lassen, fügte sich aber, als sie sagte: Können Sie einer Frau den letzten Wunsch abschlagen?" Ohne jede Unterstützung stieg sie die Stufen zum Schaffot empor, und als ihr Blick auf die Kolossal­statue der Freiheit fiel, rief sie aus: ,, Freiheit, welche Verbrechen begeht man in Deinem Namen!" Einen Augenblick darauf hatte sie durch das Fallbeil geendet..

Als Roland, der in Rouen verborgen war, die Nachricht ihrer Hinrichtung erhielt, verließ er seinen Zufluchtsort und durchbohrte sich auf der Landstraße mit einem Stockdegen.

Es ist der Bergpartei oft zum besonderen Vorwurf gemacht worden, daß sie mit anderen Häuptern der Gironde auch Madame Roland , eine Frau, auf das Schaffot schickte. Die diesen Vorwurf erheben, vergessen, daß Madame Roland die eigentlich treibende Energie der Partei war, daß sie, solange sie lebte, nicht müde geworden war, die Parteifämpfe zu entfesseln und zu schüren. Im Krieg gilt Kriegsgebrauch. Madame Roland hatte als Gleiche unter Gleichen gekämpft, sie fiel als Gleiche unter Gleichen auf dem Schlachtfelde. Sie selbst wäre die Erste gewesen, die als Beleidigung zurückgewiesen hätte, daß ihrem Geschlechte eine Schonung zu Theil geworden wäre, die sie als Parteigängerin nicht beanspruchen konnte.

Gelegentlich will ich nur erwähnen, daß das Journal, welchem obiger Artikel entstammt, mich von nun an immer als Twain , der Leichenschänder" bezeichnete. ( Schluß folgt.)

Moderne Fabeln.

Von August Strindberg .

( Autorisirte Uebersetzung von Gustav Lichtenstein.)

Sittsamkeit und Kälte.

O pfui, Mama!" rief das Schneehühnchen, als es aus dem Thale wieder auf den Felsen kam ,,, da unten sind Vögel, die ihre Beine zeigen." Schlechte Gesellschaft für junge Mädchen", sagte die Mutter und fuhr mit dem Schnabel über ihre weißen Hosen, die bis an die Krallen reichten. Krallen reichten. Aber wer sind die frechen Geschöpfe?" fragte sie. Das weiß ich wirklich nicht", antwortete die Junge.

"

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"

Die Mutter begab sich hinab, um der Sache auf den Grund zu kommen. Sie kroch durch Heidekraut und Felsensträuche, und kam endlich zu einem Birkenhain. kam endlich zu einem Birkenhain. Hier saß eine Schaar von Rebhühnern niedergekauert, die sich aus den abgemähten Feldern der Ebene hierher verirrt hatte. Und alle hatten die Fußgelenke nackt, wie sie von Schöpfer gemacht worden waren.

"

Woher kommen Sie, verderbte Geschöpfe?" Schneehuhn- Mama.

-

rief die

" Wir kommen aus dem Süden, wo es zu warm ist, um in Beinkleidern zu gehen", antwortete ein Nebhuhn.

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Dann machen Sie nur, daß Sie wieder nach dem Süden kommen, und zwar schleunigst! Wir wollen von Ihren südländischen Sitten in unserem keuschen Lande nichts wissen."

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Schön keusch sind Sie in Ihren Hosen", fiel das Rebhuhn ein. " Jawohl, meine Dame, wir haben das natürliche Sittsamkeits­

gefühl noch nicht verloren."

" Quatsch", erwiderte das Rebhuhn,

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nicht aus Sitt

samkeit haben Sie Hosen angezogen, sondern nur der Kälte wegen." Und sämmtliche Rebhühner stimmten im Chorus ein: Nicht aus Sittsamkeit, sondern nur der Kälte wegen."

( ,, Magaz. f. Lit.")