Nr. 9.
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Die Gleichheit.
4. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nro . 2660) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.
Mittwoch, den 2. Mai 1894.
Zuschriften an die Redaktion der„ Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner), Stuttgart , RothebühlStraße 147, IV. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Wir wollen den Achtstundentag.
nd schwängen auf die Kanzel sich Allwärts die Priester und Pastoren, Verdammten laut und feierlich Das Ziel, das glühend wir erkoren, Und riefen Blig und Donnerschlag Herab mit Beten und mit Singen Es komme, was da kommen mag, Wir werden den Achtstundentag Dennoch erkämpfen und erringen!
Vom Volk der Arbeit wird das Wort Von den acht Stunden nie vergessen Wie Feuer wird es fort und fort In allen Landen um sich fressen; Und mögt ihr euch zum Widerstand Mit hohen Schwüren auch verbinden Das Volk, das diese Losung fand, Wird mit der harten, braunen Hand Euch den Achtstundentag entwinden!
Maientruk.
Was euch bei uns zu Kopfe stieg, Gewährt ihr murrend unsern Kindern; Verzögern könnt ihr unsern Sieg, Allein ihn nimmermehr verhindern. Mag da und dort der Ruf noch zag Und schüchtern an das Ohr euch klingen Das Volk, das euch zu Füßen lag, Wird einstmals den Achtstundentag Von euch gebieterisch erzwingen. Jhr werdet's widerwillig thun, Denn sauer darf der Apfel heißen, Doch wird das Volk nicht eher ruhn, Bis euch's beliebt hineinzubeißen. Kein Anlaß ist's zu Festgelag
Für euch, auch nicht zu Freudenschüssen, Doch wie der Herr sich sperren mag, Er wird in den Achtstundentag Sich doch am Ende fügen müssen.
Der erste Mai! Lenzeshoffen, Frühlingsdrängen, Sprossen und Werden in der Natur. Und Hoffen, ein Vorwärts und Aufwärts in den Herzen von Millionen proletarischer Männer und Frauen, welche als revolutionäre Vorhut der nach Befreiung dürftenden Arbeiterklasse die Maifeier begehen. Rings um sie schwarzes Elend, die Sorge um des Lebens Nothdurft, das Wimmern der Hungernden, der Nothschrei des darbenden, geknechteten Geistes, das Stöhnen des gemarterten, zertretenen Gemüths. Rings um fie eine Welt in Waffen, proßige Gewalten, die herausfordernd auf den Geldsack pochen oder an des Schwertes Knauf schlagen, die Vertreter des Kapitals, das allmächtig, dem Jehovah Mosis gleich, dem Proletariat seine Gebote und Verbote entgegen herrscht.
In den Augen der Männer und Frauen der Arbeit aber da blitt und flammt am ersten Mai ein kühnes:" Troß alledem und alledem!" Dem„ Du sollst!" und" Du sollst nicht!" des Kapitals tönt es seitens des Proletariats kräftig und vielsprachig entgegen: " Ich will nicht!" und" Ich will!"
"
Du sollst Dein Lebtag mir zinfen und frohnden", erklärt das Kapital.„ Du sollst mir jede Minute Deiner Zeit geben, jedes Fünkchen Deiner Kraft, jeden Tropfen Deines Bluts, jeden Gedanken Deines Hirns, damit ich daraus blinkenden Mehrwerth münze. Du sollst nicht menschlich fühlen, nicht menschlich denken, nicht menschlich leben wollen. Denn als bloße Arbeitsmaschine, als lebendiges Anhängsel des todten Räderwerks förderst Du meine Profite am meisten. Du sollst vor Allem nicht frei werden, nicht aufhören, mein Sklave zu sein, in alle Ewigkeit nicht."
" Ich will nicht leben, um zu arbeiten", antwortet das Proletariat,„ ich will arbeiten, um zu leben, und zwar um menschen
Wohl herrschte früher sich's bequem, Als Alles Demuth war und Schweigen, Doch sind wir nicht wie ehedem Mit Leib und Seele euer eigen. Wohl wird es für den Mehrertrag, Den ihr gewohnt zu kalkuliren, Ein mörderischer Nackenschlag, Doch wird man den Achtstundentag Gerade deshalb euch diktiren.
Wir jammern und wir bitten nicht, Bis euer Mitleid wir gefunden, Wir sehen frei euch ins Gesicht Und fordern ruhig die acht Stunden. Und ob ihr zeternd widersprecht Wir wollen lernen, wollen wissen! Das Wissen ist kein Herrenrecht! Drum wird in ehrlichem Gefecht Euch der Achtstundentag entrissen!
würdig, fulturwürdig zu leben. Ich will nicht hungern, wo ich es bin, der pflügt, säet, erntet, mahlt und backt. Ich will nicht in Lumpen einherschreiten, denn ich bin es, der spinnt und webt, der Kleider und Schuhe fertigt. Ich will nicht in schmutzigen Löchern hausen, wo ich es bin, der stolze Paläste baut, anmuthige Villen, Kirchen, Stasernen und Zuchthäuser. Ich will nicht in geistiger Nacht dahinleben, in groben Sinnestaumel, ein Stlave der Unwissenheit und Rohheit, ein Sklave geistiger Gaukler und Finsterlinge, denn Wissenschaft und Kunst wäre nicht ohne meine Arbeit. Ich will mein Theil von all den Gütern, die ich erzeuge. Ich will mein Theil von der Kultur, deren Grundlage das Wert meiner Hände ist, die sich auf meinem Schaffen aufbaut. Ich will die Sorge um das Brot von meiner Schwelle bannen, ich will meine Lebenskraft mir und den Meinen erhalten. Ich will meinen Geist entfalten, damit er in stolzem Flug sich in das Reich des Wissens erheben und dort heimisch machen kann. Ich will mein Gemüth bilden, damit es sich an allem Schönen zu erquicken vermag. Ich will frei sein! Zertrümmern will ich das Joch der wirthschaftlichen, geistigen und sozialen Knechtschaft, unter das Du meinen Nacken gebeugt hast.
„ Ich fordere als Abschlagszahlung auf Deine Schulo, Kapital, als Bürgschaft meiner fünftigen vollen Befreiung den gesetzlichen Achtstundentag. Der Achtstundentag ist nothwendig. Tausende von Arbeitskräften liegen brotlos, heimathlos auf der Landstraße. Wie gern möchten sie in fleißigem Schaffen die Hände rühren! Sie können es nicht, weil ihnen fein Unternehmer Arbeit giebt. Andere Tausende aber gehen gleichzeitig an übermäßig langer Arbeitszeit zu Grunde oder werden durch sie dem Siechthum, der Verkrüppelung, der Verdummung überantwortet. Sieh' die Schaaren kränklicher, schwächlicher, gedrückter Männer; die Hunderttausende abgerackerter,