in das tiefste Elend versinken, zu Proletariern zweiten Grades werden. Bereits gesunkene Schichten des Proletariats hebt ihr Einflus; allmälig wieder auf ein höheres Niveau empor. So wirken die Gleichheit der Arbeitsbedingungen, der Druck der kapita listischen Uebermacht von oben, der Druck der politischen Macht der Arbeiterklasse von unten darauf hin, das Proletariat zu einer einheitlichen Masse zu gestalten, in der kein Platz ist für„Aristokraten" und„Plebejer". Die Solidarität der Interessen aller Ausgebenteteu allen Ausbeutern gegenüber, die sich um so kräftiger bethätigt, je mehr sich der Klassenkampf zuspitzt, trägt machtvoll das Ihrige dazu bei, die Einheitlichkeit der Proletariermasse zu verstärken und immer gewaltiger in Erscheinung zu rufen. In dem Augenblick, wo das Proletariat der bürgerlichen Gesellschaft den abgelaufenen Schuldschein ihrer Existenz präsentirt, und die Klassenherrschaft der Besitzenden stürzt, treten mithin die Besitzlosen auf den Plan als einheitliche, durch keinerlei Schichtung gespaltene Masse. Unter dem Proletariat steht keine andere soziale Schichte, über welche dieses eine Klassenherrschaft ausüben, welche es der Ausbentuug und Unterdrückung überantworten könnte. Und daß das Proletariat den Spieß der Klassenherrschaft nicht einfach umdreht, die bisher Besitzenden seiner Klassenherrschaft unterwirft, dafür biirgt ein einfacher Grund. Klassenherrschaft wird ausgeübt zum Zwecke der wirthschaftlichen Ausbeutung einer anderen Klasse. Die Klasse der Besitzenden ist aber schon heutigentags so klein und schmilzt durch die Anhäufung des Kapitals in immer weniger Händen zu einer so winzigen zusammen, daß dieser kleinen Minderheit, sogar die härteste Ausbeutung vorausgesetzt, unmöglich die wirthschaftliche Rolle des heutigen Proletariats aufgebürdet werden könnte. Sie wäre schlechterdings nicht im Stande, auch nur annähernd so viel zu leisten, daß auf Kosten ihrer Arbeit die ungeheure Mehrzahl, ja so gut wie die gesammte Gesellschaft als Schmarotzer zu leben vermöchte. Wenn die wirthschaftliche Ausbeutung der bisher Herrschenden somit keinen Sinn hat, so fällt auch jede Ursache zu ihrer sozialen Versklavung, zu einer Klassenherrschaft über sie fort. Außerdem: das Proletariat kann seine Befreiung einzig und allein finden durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, in einer sozialistischen Gesellschaft. Eine sozialistische Gesellschaft kann aber nur existiren als Arbeitergesellschaft, als Gemeinschaft, in der jedes Glied nach Maßgabe seiner Kräfte, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der jeweiligen Produktionsbedingungen gesellschaftlich nothwendige oder nützliche Arbeit verrichtet. Auf Grund dieser Arbeit hat dann jeder Einzelne Anspruch auf alle Güter und Kulturmöglichkeiten, welche die Gesellschaft zu bieten vermag. Sobald die früheren Besitzenden solche gesellschaftlich nothwendige oder nützliche Arbeit verrichten, sich aus nichtsthuenden Nutznießern frenider Arbeit verwandeln in selbstthätige, nutzenschaffende Arbeiter, tauchen sie unter in der werkthätigen Masse und werden jedem anderen thätigen Glied der Arbeitergesellschaft voll und ganz gleichberechtigt. Gewiß, der mit der Besitzergreifung der politischen Macht durch das Proletariat endende Klassenkampf führt zunächst zur Klassenherrschaft des Proletariats. Aber dieses muß seine Klassenherrschaft gebrauchen zum Zwecke seiner Befreiung. Seine Befreiung kann es nur dadurch vollziehen, daß es die Ursache seiner wirthschaftlichen Ausbeutung und Abhängigkeit, die Ursache seiner sozialen Knechtschaft vernichtet: das Privateigenthum an den Produktionsmitteln. Im Klasseninteresse des Proletariats müssen diese aus dem Besitz einiger Weniger in den Besitz der Allgemeinheit übergeführt werden. Und die Allgemeinheit, welche Besitz von ihnen ergreift, welche ihr Erbe antritt, ist nicht ein bloßer Begriff, sie ist nicht ein Sammelsurium der verschiedenartigsten, durch Interessengegensätze von einander getrennten sozialen Schichten, sie ist nicht mehr der Deckmantel für die Sonderinteressen einer einzelnen Klasse. Sie ist vielmehr eine einheitliche, feste Masse, die gebildet wird durch die ungeheure Zahl aller werkthätigen Besitzlosen, eine Masse, in welcher die bisher Besitzenden aufgehen, weil sie Arbeiter werden und werden müssen. So vollzieht sich die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht im Interesse eines Bruchtheils der Gesellschaft, sondern im Interesse all ihrer Glieder, so werden diese gleicherweise zu Mitbesitzern, zu Nutznießern des gesellschaftlichen Reichthums. Zur Unmöglichkeit wird damit die Ausbeutung und Versklavung eines Menschen durch einen anderen Menschen, die Ausbeutung und Versklavung einer Klasse durch eine andere Klasse. Die erste That der Klassenherrschaft des Proletariats ist mithin auch ihre letzte. Indem das Proletariat mit der Aufhebung des Privateigeuthums die Klassenherrschaft der Besitzenden vernichtet, vernichtet es mit der Ursache derselben die Möglichkeit jeder Klassenherrschaft, auch seiner eigenen. Der Sieg des Proletariats bedeutet mithin thatsächlich die Gleichstellung alles dessen, was Menschenantlitz trägt. Der fünfte internationale Vergart'eiter-Kvngrrfz zu Verlin. Während der Pfingstwoche tagte in Berlin der fünfte internationale Bergarbeiterkongreß. Es war dies für die gesammte proletarische Welt ein hochwichtiges Ereigniß. Die Bergarbeiter spielen im modernen Wirthschaftsleben eine besonders bedeutende Rolle, und in Folge dessen ist ihre Stellung und Haltung in der Arbeiterbewegung von besonderer Tragweite für die Arbeiterklasse. Nicht blos die Grubenarbeiterschaft der verschiedenen Länder verfolgte deshalb die Verhandlungen des Berliner Kongresses mit gespannter Aufmerksamkeit, vielmehr das gesammte Proletariat, soweit es zielbewußt für seine Befreiung kämpft. Zum ersten Male war es, daß ein internationaler Arbeitertag auf deutschem Boden zusammentrat. Auch insofern war der Berliner Kongreß von Bedeutung. Bei den politischen Verhältnissen Deutsch lands und den Gepflogenheiten der preußischen Behörden, hatten die ausländischen Delegirten— wie der Engländer Pickard betonte— mit Unbehagen daran gedacht, daß die Vertreter des internationalen Grubenproletariats in Berlin zusammentreten sollten. Der Kongreß konnte jedoch behördlicherseits ungeschoren seine Arbeiten erledigen. Es war dies ein stillschweigendes Zugeständniß an den wachsenden politischen Einfluß der deutschen Arbeiterklasse. Allerdings konnte sich die liebe preußische Polizei nicht ganz ihrer Gewohnheit zu Waden- kneifereien enthalten: Der belgische Delegirte Defuisseaux, welcher durch die Klassenjustiz seines Landes zu 33 Jahren Gefängniß verurtheilt worden ist, wurde verhaftet und als„lästiger Ausländer" ausgewiesen. Der Kongreß wurde am 14. Mai unter starkem Andrang der Berliner Arbeiterbevölkerung in dem großen Konkordiasaal eröffnet, der den Umständen entsprechend mit den Porträts der großen Vorkämpfer des Sozialismus und Kampfessprüchen des internationalen Proletariats verziert war. Dem Kongreß wohnten bei: aus England 38 Delegirte, die K45<)0tl Bergleute vertraten, „ Deutschland 39„„ 132 300„ „ Frankreich 4„„ 100 000„„ „ Belgien 3„„ 70 000 „ Ocstereich 2„„ 100000„„ Zusammen 86 Delegirte, die 1 107 300 Bergleute vertraten. Auffallen mußte unbedingt, daß die Engländer fast ausnahmslos große, kräftige Gestalten waren, der lebende Beweis für die Bedeutung einer starken gewerkschaftlichen Organisation, die im steten zähen Kampfe mit dem Unternehmerthum für ihre Glieder verhällnißmäßig günstigere Arbeitsbedingungen ertrotzt hat. Die Delegirten aus Oester reich , dem Ruhrgebiet und aus Westfalen waren dagegen die leibhaftige Verkörperung dessen, was schamloseste Ausbeutung proletarischer Arbeitskraft an der Menschheit sündigt. Es waren ausgemergelte, abgezehrte Gestalten, in deren Züge Roth , Entbehrung und Ueber- anstrengung unverwischbare Furchen gegraben. Singer begrüßte den internationalen Bergarbeitertag im Namen der deutschen sozialdemokratischen Reichstagsfraktion; Legien im Namen der gewerkschaftlich organisirten Arbeiterschaft Deutschlands , Millarg als Vertreter der Berliner Gewerkschaften. Es antworteten aus der Mitte des Kongresses je ein Delegirter der verschiedenen vertretenen Nationen. Aus sämmtlichen Begrüßungsreden wehte der Geist der internationalen Interessengemeinschaft, der internationalen Brüderlichkeit des Proletariats. Franzosen , Belgier, Deutsche und Oesterreicher erklärten außerdem klipp und klar, daß sie, beziehungsweise ihre Auftraggeber, auf dem Boden der sozialistischen Bewegung ständen und nur von ihr das Heil erwarteten. Die Berichte über die Lage der Bergarbeiter in den verschiedenen Ländern entrollten traurige Bilder von deren Arbeits- und Lebensverhältnissen. Uebermäßig lange und schwere Arbeit unter den ungesundesten, vielfach sogar mörderischen Umständen, niedrige Löhne,
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4 (13.6.1894) 12
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