fallende Vermehrung der kindlichen Arbeiter höchst naiv erklärt mit der Erleichterung der Arbeit durch die Maschinen, der zunehmenden Verwendung der letzteren und dem Bestreben nach möglichst bil­ligen Arbeitskräften." Besonders in Sachsen war der Heißhunger des Moloch Kapitalismus nach Kinderfleisch ins Ungeheure gewachsen. Nahezu fünfzig Prozent aller in Deutschland industriell thätigen Kinder mußten in dem Lande der Gemüthlichkeit" dazu herhalten, daß profit­wüthige Fabrikanten Mehrwerth aus ihrem Schweiß und Blut preßten. Zu Lug und Trug nahm das Unternehmerthum seine Zuflucht, um stets eine ausreichende Zahl von Kindern zur Verfügung zu haben. Die Gewerbeinspektoren wissen zahlreiche Fälle zu berichten, daß vor dem Inkrafttreten der Gewerbegesetz- Novelle Kinder unter zwölf Jahren beschäftigt, daß ihre Arbeitszeit willkürlich verlängert, daß die Arbeitsbücher und ähnliche Dokumente gefälscht wurden, um die so äußerst dürftigen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Kinder­arbeit zu umgehen. Der Zwickauer Gewerbeaufsichtsbeamte stellte fest, daß die kindlichen Arbeiter von den Unternehmern selbst dazu angestiftet und darin unterwiesen wurden, falsche Angaben über ihre Arbeitszeit zu machen. Der nämliche Beamte, welcher diese That­sache feststellt und alle Mißstände bloslegt, welche die Beschäftigung findlicher Arbeitsfräfte zeitigt, protestirt nichtsdestoweniger gegen das Verbot der Kinderarbeit und zwar angeblich deshalb, weil die aus den Fabrikbetrieben ausgeschlossenen Kleinen nun der Hausindustrie. zur Last fallen würden! Der Protest und seine wohlfeile Begründung sind recht bezeichnend für die Höhe der Auffassung und des Ver­ständnisses, zu der sich die Fabrikinspektoren emporschwingen, die doch die Interessen der Arbeiter wahren sollen. Wie naheliegend, sozu­sagen mit den Händen zu greifen, lag doch statt des Protestes die Forderung, welche von der Sozialdemokratie bereits so und so oft erhoben worden ist und wieder und wieder erhoben werden wird: auch die Hausindustrie der Gewerbeinspektion zu unterstellen und die hausindustrielle ebenso gut wie die fabrikmäßige Kinderarbeit zu verbieten.

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Die Gewerbegesetz- Novelle vom Jahre 1891 verbot u. a. die Beschäftigung von schulpflichtigen Kindern in Fabriken. Dieses Ver­bot hatte wie wir den Amtlichen Mittheilungen aus den Jahres­berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten" entnehmen- eine Verminderung in der Zahl der beschäftigten Kinder um sechzig Prozent zur Folge. Von einer durchgreifenden Wirkung des Gesetzes kann also noch immer nicht die Rede sein. 11212 Kinder unter 14 Jahren sind noch immer

Hofball. Endlich erhielt er Befehl anzuhalten, und es war auch hohe Zeit. Die Straße wurde enger und enger, und es sah aus, als sollten die dicken Pferde und der feine Wagen im nächsten Augenblick stecken bleiben, wie der Kork in einem Flaschenhals.

In der Thür stand ein halberwachsenes Mädchen; die Dame fragte: Wohnen viele arme Leute hier im Hause?"

Das Mädchen lachte und antwortete etwas, während es sich dicht an ihr vorbei durch die enge Thür drängte. Frau Warden verstand das Gesagte nicht, aber sie hatte die Empfindung, als hätte das Mädchen etwas Häßliches gesagt. Sie trat in das erste beste Zimmer. Es war für Frau Warden nichts Neues, daß arme Leute ihre Räume nicht gehörig lüften. Aber sie wurde doch so benommen von der Atmosphäre, die sie einathmete, daß sie froh war, sich auf die Ofenbank sezen zu können.

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Tag für Tag an die Maschine gefesselt, denn die Schulbehörden be­fizzen das Recht, Kinder in besonderen Fällen vor dem vollendeten 14. Lebensjahre vom Schulunterricht zu dispensiren. Im Jahre 1891 wurden in Berlin allein 1309 Kinder auf das Gesuch ihrer armen Eltern hin vom Unterricht entbunden, ein charakteristisches Zeichen für die Massenarmuth unserer Zeit, da diese Dispensationen nur nach genauester Prüfung der Verhältnisse und nur in Fällen dringendster Noth bewilligt werden.

Der Appetit nach dem durch Kinderhände erarbeiteten Mehr­werth ist heute bei den Herren Kapitalisten reger denn je. Sie wünschen nichts sehnlicher, als die Aufhebung der ihnen hindernd im Wege stehenden Schutzgesetze für Kinder und jugendliche Arbeiter. In den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten für die Pfalz 1893 heißt es: Mehrfach wurde der Wunsch ausgesprochen, daß auch die Kinder nach der Entlassung aus der Volksschule in der gleichen Zeit wie die jungen Leute von 14-16 Jahren beschäftigt werden, da dieselben sich sonst beschäftigungs- und aufsichtslos herumtreiben." In einer pfälzischen Ziegelei stellte der Aufsichts­beamte fest, daß wiederholt in den Arbeitsbüchern der Kinder das Alter um ein Jahr nach aufwärts abgeändert worden war, damit sie als jugendliche Arbeiter, d. H. länger beschäftigt werden konnten. In anderen Ziegelsteinhöllen wurden öfters schulpflichtige Kinder in ihren schulfreien Stunden mit Hilfsleistungen, wie Ab- und Zutragen, Ansetzen 2c. der Ziegel beschäftigt. Das Einschreiten dagegen wurde als sehr empfindlich betrachtet für die Eltern. über diese edelmüthigen Unternehmer, die freudigen Herzens Gesetzesverletzungen begehen, nicht etwa um fettere Profite zu erschnappen, sondern nur, um die Einnahmen der von ihnen bis auf die Knochen ausgebeuteten Männer und Frauen durch den kärg­lichen Verdienst ihrer Kinder zu erhöhen! Nicht nur in den Ziegel­steinhöllen, sondern auch in zahlreichen anderen industriellen Höllen stimmen die Kapitalisten ihre Lockrufe an: Lasset die Kindlein zu mir kommen! Proletarische Eltern wissen das meist aus eigener Erfahrung.

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Wie entsetzlich die armen Kleinen der Heimarbeiter unter dem Zwang der bittersten Noth ausgebeutet werden, das haben wir wieder­holt in den Spalten dieser Zeitschrift dargelegt. Wir erinnern hier nur an die Thatsache, daß im sächsischen Erzgebirge und im schlesischen Eulengebirge Kinder vom dritten Jahre an beim Spulen, Klöppeln, Flechten 2c. helfen müssen. Könnte man die Hekatomben unschuldiger Kinder aufeinanderthürmen, die hier unter dem zermalmenden Druck

Sie müssen dem Kind etwas Stärkendes geben", sagte sie; es schwebte ihr etwas wie Kindermehl und Apfelsinengelee vor. Bei den Worten etwas Stärkendes" erhob sich ein zer­strubelter Kopf aus dem Bettstroh; es war ein bleicher, hohläugiger Mann mit einem großen wollenen Tuch um den Kopf.

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Frau Warden erschraf. Ihr Mann?" fragte sie. Die arme Frau antwortete ja, das sei ihr Mann. Er sei heute nicht zur Arbeit gegangen, weil er solche Zahnschmerzen habe. Frau Warden hatte selbst Zahnschmerzen gehabt und wußte, wie weh das thut. Sie sagte einige Worte aufrichtigen Mit­gefühles. Der Mann murmelte etwas und legte sich nieder, und gleichzeitig entdeckte Frau Warden eine Person, die sie vorher nicht bemerkt hatte.

Es war ein ganz junges Mädchen, das im Winkel an der anderen Seite des Ofens saß. Es starrte einen Augenblick auf die feine Dame, zog sich aber gleichzeitig wieder in sich zusammen und lehnte sich vornüber, der Fremden fast den Rücken zukehrend. Frau Warden dachte, das junge Mädchen habe eine Handarbeit im Schooß, die sie verbergen wolle; vielleicht irgend ein altes Kleidungsstück, das sie flickte.

In der Handbewegung, mit der die Frau in der Stube die Kleider von der Bank auf die Diele strich, und in dem Lächeln, mit dem sie die feine Dame bat Platz zu nehmen, lag etwas, das Frau Warden auffiel. Es machte den Eindruck, als hätte das Weib bessere Tage gekannt; obgleich ihre Bewegungen mehr hastig als fein und ihr Lächeln nichts weniger als angenehm war. Die lange Schleppe von Frau Warden's zartgrauem Visitenkleide lag auf der schwarzen Diele, und während sie sich niederbeugte die Dame. und sie an sich zog, mußte sie selbst an Heine's Worte denken: " Sie sah aus wie ein Bonbon, das in den Schmuß gefallen war."

Die Unterhaltung begann und wurde geführt, wie solche Unterhaltungen geführt zu werden pflegen. Frau Warden kannte das elende Dasein der armen Frau bald in den Umrissen. Sie hatte zwei Kinder, einen Knaben von vier, fünf Jahren, der auf der Diele lag, und ein kleines Kind an der Brust. Frau Warden betrachtete das kleine graue Wesen und konnte nicht begreifen, daß es schon dreizehn Monate alt sei. Sie selbst hatte daheim in der Wiege einen kleinen Koloß von sieben Monaten, der mindestens um die Hälfte größer war.

Aber weshalb liegt der große Junge auf der Diele?" fragte

Er ist lahm", antwortete die Mutter. Und nun folgte eine umständliche Beschreibung und viel Lamentiren über den armen Jungen, der vom Scharlach eine Lähmung in den Hüften nach­behalten hatte.

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,, Kaufen Sie ihm doch", begann Frau Warden, einen Noll­stuht" hatte sie sagen wollen. Aber es fiel ihr ein, es sei besser, wenn sie ihn selbst kaufte; es thut nicht gut, meinte sie, den Armen zu viel Geld in die Hände zu geben; aber etwas wollte sie der Frau doch gleich geben. Denn hier wollte sie helfen, hier war wirkliche Noth; sie fuhr in die Tasche nach ihrem Portemonnaie. ( Schluß folgt.)