Nr. 14 der ,, Gleichheit" gelangt am 11. Juli 1894 zur Ausgabe.
Es kam des geadelten Wechslers Frau Mit einem Junker nieder,
Sie suchte die Amme mit reichem Gespinn, Mit sorglichem Blick, mit Huld im Sinn Und auf den Lippen die Lieder.
Nun, Anna Marie war jung und mild, An Liedern wird's nicht fehlen:
Sie hat ja geliebt, drum kennt sie den Traum Vom Feenpalast, vom singenden Baum Und von den bezauberten Seelen.
Sie giebt ihr sprudelnd gesundes Blut
Dem kleinen durstigen Prasser;
Die Frucht von ihrem eigenen Leib Erzicht ein ärmliches Bauernweib
Mit Schlägen und mit Wasser.
Der Junker gedeiht, die Mutter jauchzt,
In Thränen lächelt die Amme;
Sie kauft mit ihrem geringen Lohn
Das Hemd und das Kleid dem fernen Sohn, Dem hingeopferten Lamme .
Und darf sie des Sonntags zum Kind heraus, Den Säugling an den Brüsten; Und sieht das bleiche verfümmerte Bild; Dann ist's ihr, ob alle Guten wild Und ewig sie strafen müßten!
Sie streichelt und küsset mit zitternder Gier Und wecket auf den Kleinen
Der kennt und will die Mutter nicht-
Ach, und an ihre traurige Pflicht
Mahnt sie des Junkers Weinen.
Die Wochen gehn, das Jahr ist um
Und um ist ihre Pflege.
Man schreibt ihr ins Zeugniß: ehrlich und gut, Man schenkt ihr einen verwitterten Hut- Kann gehen ihrer Wege.
Ihr Kind ist todt. Nie will sie mehr
In Kränze die Röselein flechten.
Da kommt ein altes Weib daher:
„ Mein Töchterlein, dienen ist gar so schwer- Was willst Du bei den Schlechten?
Ich hab' ein niedliches Kämmerlein,
Hab' Perlen für die Haare.
An Essen und Trinken fehlt es nie,
Die Lust ist groß!" O, Anna Marie, Das ist der Weg zur Bahre.
Kleine Nachrichten.
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Die Paschawirthschaft, wie sie manchem Unternehmer in seinem Betrieb beliebt, wurde kürzlich in Berlin in einer öffentlichen Versammlung aller im Kürschnergewerbe thätigen Arbeiter und Arbeiterinnen gebührend an den Pranger gestellt. Der Versammlung lag seitens einer Arbeiterin folgender Brief oder richtiger folgende Anflage vor:„ Als ich von Herrn Emil Becker hier, Gollnowstraße, engagirt worden war, machten mich meine dort arbeitenden Kolleginnen auf das widerwärtige Betragen Herrn Becker's aufmerksam. Kurze Zeit nach Beginn meiner dortigen Thätigkeit ersuchte mich Herr Becker, nach Feierabend dazubleiben, um die Wertstelle aufzuräumen; ich sagte zu und erzählte dieses einer Kollegin, mit der ich pflegte des Abends gemeinsam nach Hause zu gehen; diese sprach die Vermuthung aus, daß Herr Becker jedenfalls etwas mit mir im Schilde führe, was nicht in den Rahmen sittlicher Moral hinein gehöre. Mir wurde nun das sonderbare Anerbieten seitens des Herrn Becker betreffs Werkstelleaufräumens flar, und da ich mich ängstigte, bat ich die Kollegin, auf mich zu warten. Sie that dies auch, allein nach einiger Zeit bemerkte Herr Becker zu ihr:, meine Leute sollen pünktlich Feierabend haben', worauf die Kollegin sich entfernte, doch ihrem Versprechen gemäß draußen wartete. Herr Becker half mir nun die Lumpen in den Lumpensack hineinthun, doch da er fürchtete, vielleicht beobachtet zu werden, ging er wieder nach seinem Komptoir. Als ich mich zum Nachhausegehen ankleidete, kam er wieder nach der Werkstelle und stellte unsittliche Anträge an mich; ich war darüber sehr entrüstet und fertigte ihn derb ab. Herr Becker ließ von seinem Antrage nicht ab und bot mir Geld an. Nun merkte ich, daß meine Situation doch gefährlich werden konnte, da ich Herrn Becker ganz machtlos gegenüberstand, und suchte in die Nähe des Fensters zu ge
langen, um eventuell um Hilfe zu rufen oder hinauszuspringen. Herr Becker ließ nicht ab und warf mir einen größeren Geldbetrag hin, welchen ich ebenfalls in gebührender Weise zurückwies; da er sah, daß alles dieses nichts nutzte, wollte er die brennende Lampe auslöschen, ich verbat mir das und drohte, um Hilfe zu rufen, falls er mich nicht endlich in Ruhe zu Haus gehen ließe. Nun mußte er wohl einsehen, daß er sich geirrt hatte und ließ mich gehen. Allein Erneuerungen solcher Anträge an dem folgenden Tage blieben nicht aus, und Herr Becker erklärte, er mache es immer mit seinen Mädchen so. Da er nun einsah, daß er es mit mir doch nicht so machen konnte, stellte er an mich die Bitte:, Um Gotteswillen treten Sie damit nicht vor die Deffentlichkeit. Dieses der Wahrheit gemäß bescheinigt Minna K."
Da der vor die Versammlung geladene und erschienene Herr Becker das Verlesen des Briefes mit dem Zwischenruf„ Lüge" unterbrochen hatte, so wiederholte ihm die betreffende, gleichfalls anwesende Arbeiterin die Anklagen ins Gesicht. Der Angeschuldigte ließ zwar verschiedene Einwände und Ausflüchte aufmarschiren, konnte aber den eigentlichen Thatbestand so wenig in Abrede stellen, daß er wörtlich erklärte:„ Ich leugne nichts und bestreite nichts, was ich eingebrockt, werde ich auch ausessen." Mit dem Hinweis darauf, ,, daß er ja ein unverheiratheter Mann sei", meinte er seine schmachvolle Handlungsweise genügend gerechtfertigt zu haben. Der kapita listischen Auffassung nach ist eben Ehre und Jugend der Proletarierin eine Waare, welche wie die Arbeitskraft und oft zusammen mit ihr gekauft werden kann. Der Becker wurde gerichtet, seine Arbeiterinnen sind in Zukunft hoffentlich gegen seine Paschagelüfte sicher gestellt. Aber so lange die kapitalistische Wirthschaftsweise besteht, werden die Becker bleiben, welche vermeinen, über ihre Arbeiterinnen" als Fabritsklavinnen und Lustsklavinnen zugleich verfügen zu können.
Ein neuer Vers zum alten Lied von Hungerlöhnen. Nach dem Bericht des Altenburger Fabrikinspektors für 1892 schwankt der Wochenverdienst der Arbeiterinnen der Zigarrenfabriken zwischen 2 Mt. 50 Pf. und 17 Mk. Wir wollen zugeben, daß vielleicht und nur vielleicht die Arbeiterinnen, welche mit ihrem Verdienst wöchentlich nicht über 2 Mt. 50 Pf. hinauskommen, besonders ungeschickt und langsam seien. Nichtsdestoweniger bleibt die Thatsache bestehen, daß die ungeschickteste Arbeiterin mit 2 Mt. 50 Pf. wöchentlich nicht leben kann. Und wenn sie an einer Familie feinen Rückhalt.hat was so und so oft der Fall ist was dann?„ Hunger oder Prostitution!" antwortet die kapitalistische Gesellschaft.
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Das Apothekergewerbe ist den Frauen in Holland zugäng lich gemacht. Frauen dürfen zwar nicht selbständig eine Apotheke errichten oder leiten, wohl aber können sie in einer solchen als Gehilfinnen( Provisorinnen) beschäftigt werden. Anstellung dürfen sie nur finden, wenn sie ein Staatsexamen bestanden haben, das sich an ein zweijähriges theoretisches und praktisches Studium anschließt. Die Apothekergehilfinnen beziehen ein Gehalt von 500-600 fl.( 1 fl. 1 Mt. 70 Pf.) jährlich ohne Kost und Logis oder freie Station mit einem Jahressalär von 100 fl. Aus diesen Zahlen erhellt, daß das Unternehmerthum auf einem neuen Gebiete des Erwerbslebens die Frau als Schmutzkonkurrentin des Mannes ausspielt.
Ausbau der Fabrikgesetzgebung- natürlich nicht in Deutsch land . Der englische Minister des Innern brachte im Parlament einen Gesetzentwurf ein, welcher die bestehende Fabrikgesetzgebung erweitern soll. Die Bill verbessert die sanitären Bedingungen der Fabritbetriebe, sie erhöht die persönliche Sicherheit der Arbeitskräfte, sie giebt den Gerichten die Befugniß, in Anlagen, die in baulicher Hinsicht ungeeignet als Betriebsstätten sind, die nothwendigen Verbesserungen zwangsweise vornehmen zu lassen; sie verbietet das Reinigen der im Betrieb befindlichen Maschinen durch Frauen und junge Personen. Ueberstunden sollen statt an fünf, nur noch an drei Wochentagen erlaubt sein. Frauen, jugendliche Personen und Kinder, welche während des Tags in einer Fabrik be= schäftigt sind, dürfen keine Arbeit mit nach Hause nehmen. Wäschereien sollen dem Fabrikgeset unterstellt werden. Dampfwäschereien werden als„ Fabriken" betrachtet, andere Wäschereien als„ Werkstätten". Docks, Werften und Orte, wo provisorische Baulichkeiten aufgeführt sind, unterstehen der Fabrikinspektion. Im Falle gefährlicher und ungesunder Beschäftigung soll der Minister das Recht besitzen, die Arbeitszeit einzuschränken und die Beschäftigung von Frauen, jugendlichen Personen und Kindern zu verbieten. In England erweitert und festigt man den gesetzlichen Arbeiterschutz, in Deutschland durchlöchert und lockert man ihn. Das ist die Bilanz der englischen und der deutschen Sozialreform.