Erst die Knebelung, dann die Plünderung.

Als zins und tributpflichtige Herde haben die Reichen die Armen von jeher betrachtet, als zins und tributpflichtige Herde, durch gött­liche", sittliche" oder natürliche" Ordnung dazu bestimmt, als werth­schaffende Kräfte ihre Muskeln und Nerven für die Besitzenden in Gold umzumünzen und als Steuerzahler von ihrer Dürftigkeit für den Löwenantheil der gesellschaftlichen Lasten aufzukommen. Dem entsprechend verfolgte auch die politische Knebelung des deutschen  Proletariats durch das Sozialistengesetz einen doppelten wirthschaft­lichen Zweck. Sie sollte das werkthätige Volt in der vollkommenſten Lohnknechtschaft erhalten, und sie sollte die Wege für eine neue Handels- und Wirthschaftspolitik ebnen, welche durch indirekte Steuern und Zölle auf Kosten des armen Michels die Taschen des Fiskus füllte und den Reichthum der Reichen mehrte.

Der Milliardensegen, den der Ausgang des Krieges von 1870/71 Deutschland   gebracht hatte, war verflogen. Er war im buchstäblichsten Sinne des Wortes verpulvert, für Militärzwecke verausgabt worden. Der Riesenappetit des Ungeheuers Militarismus aber war noch nicht befriedigt, und in den Kassen des Reichs herrschte gähnende Leere. Da sollte und mußte geholfen werden, denn die kapitalistische Klasse bedarf des herrlichen Kriegsheeres zum Schutz ihrer Geldsacksinteressen im Auslande und vor allem zur Niederhaltung und eventuell Nieder­kartätschung des inneren Feindes". Und es sollte und mußte ge= holfen werden auf Rechnung des süßen Pöbels", des kleinen Mannes, der zum Steuerzahlen und Maulhalten noch immer gut genug be­funden worden ist. Festeres Anziehen der indirekten Steuerschraube war also Ende der siebenziger Jahre die Losung, denn die künstliche Vertheuerung der nothwendigsten Lebensbedürfnisse hat sich noch immer als das ausgiebigste Mittel erwiesen, dem Fiskus zu vollen Kassen zu verhelfen, ohne daß die Reichen in den wohlgespickten Säckel zu greifen brauchen.

Aber auch nach einer neuen Zollpolitik machte sich zu Nutz und Frommen des Prozenthums das dringende Bedürfniß" geltend. Die 1873 ausgebrochene Krise lastete schwer auf der deutschen Industrie und wollte keinem Aufschwung der Geschäfte weichen. In ihrer kapitalistischen Befangenheit erblickte die Bourgeoisie die Ursache der­selben einzig und allein in der Konkurrenz des Auslands. Immer lauter verlangten die Industriegewaltigen unter der heuchlerischen Deckmarke Schutz der nationalen Industrie" hohe Zölle auf Erzeug­nisse der ausländischen Industrie. Schutz der nationalen Industrie, das hieß nichts anderes als Ellbogenfreiheit für die Schlotjunker, die Preise ihrer Waaren auf dem inländischen Markte in die Höhe treiben und in der Folge auf Kosten der Masse der theuren vaterländischen Konsumenten fette Profite einsäckeln zu können. Zu den zu plündernden Konsumenten gehörten auch die Herren Agrarier, und deshalb wandelte Ende der siebziger Jahre das ab- und schloßgesessene Junkerthum in trauter Gemeinschaft mit den manchesterlichen Heißspornen des Frei­handels auf dem Kriegspfad gegen die Schutzölle. Regierung und Industriefürsten kannten jedoch ihre Pappenheimer. Sie wußten, daß die Jhenplitz und Rökerit ihr schutzöllnerisches Herz entdecken würden, sobald man nur den entsprechenden Preis für diese Entdeckung zahlte. Er war nicht schwer zu finden, er hieß landwirthschaftliche Schutzzölle für industrielle Schutzölle. Schutzölle auf die Erzeugnisse der aus­ländischen Landwirthschaft schrauben die Preise für die inländischen landwirthschaftlichen Produkte in die Höhe, erlaubten also den Agrar­gewaltigen, den lieblichen Gepflogenheiten ihrer erlauchten raubritter­lichen Ahnen und dem Beispiel der Bourgeoisie getreu, den Beutel durch Brandschaßung der Menge zu füllen.

Die Masse des deutschen Volks verspürte begreiflich genug keine Neigung, sich durch Zustandekommen des Schachers und durch schärfere indirekte Besteuerung das Fell über die Ohren ziehen zu lassen. Sollte für Ochsengrafen und Fabrikbarone der Rebbach flüssig werden, so galt es deshalb vorher den kleinen Mann einzuschüchtern, beziehungs­weise seine Aufmerksamkeit von der geplanten Räuberei abzulenken, so galt es vor Allem, vorher den energischsten und klarsten Theil des arbeitenden Volts, die Arbeiterschaft, mundtodt zu machen, seine politische Aktion lahmzulegen. Diese Aufgabe erfüllte das Ausnahme­gesetz. Es schwenkte vor den Augen der Kleinbauern und Kleinbürger so lange den rothen Lappen, bis diese aus heller Furcht vor dem umstürzlerischen Wauwau die Faust nicht erblickten, die raffgierig in ihren Beutel zu fassen sich anschickte, daß sie vor schlotternder Angst, den Reichsfeinden beigezählt zu werden, nicht zu mucksen wagten, als diese Faust wirklich derb zugriff. Die vergewaltigte Arbeiterklasse aber konnte ihre Stimme nicht zum Protest erheben, sie konnte nicht handeln.

Kaum, daß das Sozialistengesetz in Kraft getreten war, begann unter der verständnißinnigen Führung Bismarck's   die sogenannte

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,, Reform" der deutschen   Handels- und Wirthschaftspolitik, d. h. ein ohnegleichen unverschämter, teuflisch- raffinirter Beutezug gegen den Beutel des kleinen Mannes. Schutzzoll folgte auf Schutzzoll, indirekte Steuer auf indirekte Steuer, und die bereits eristirenden Zölle und Steuern wurden höher, immer höher geschraubt. Bismarck   hatte bereits 1875 mit dem ihm eigenen Zynismus erklärt, daß er die Zeit kaum erwarten könne, wo Tabak, Bier, Branntwein, Zucker, Petroleum, furz, alle großen Verzehrungsgegenstände, gewissermaßen die Luxusgegenstände der großen Masse, mehr steuerten." Sein Ideal fand nun seine Verwirklichung. Das Jahr 1879 brachte die Getreidezölle, die 1885 und 1887 erhöht wurden, sich seit letzterem Jahre bis zu den Handelsverträgen mit Desterreich, beziehungsweise Rußland   per Doppelzentner Roggen auf 5 Mt. stellten. Holz und Petroleum ward steuerpflichtig, der Zoll, der auf dem ausländischen Tabak, die Steuer, die auf dem inländischen lastete, erfuhren eine Erhöhung. Neue Reichsstempelsteuern traten in Kraft. Eine große Anzahl der wichtigsten Nahrungs- und Genußmittel, wie Reis, Kaffee, Käse, Schmalz, Butter, Eier, Heringe 2c. wurden, soweit sie aus dem Auslande kamen, mit hohen Zöllen belegt, Branntwein und Zucker mußten mehr steuern 2c. 2c. Riesensummen flossen in die Kassen des deutschen Reichs, um dem nimmersatten Militarismus geopfert zu werden. 1874/75 hatte das Reich aus Zöllen und Verbrauchsabgaben ( Zucker, Salz, Kaffee, Branntwein 2c. 2c.) eine Netto- Einnahme von 248,4 Millionen Mart, 1892/93 belief sich dieselbe auf 756 Millionen. Den Netto- Einnahmen des Reiches müssen noch 54 Millionen Mark für Erhebungskosten zugerechnet werden, welche die Einzelstaaten jährlich von dem Zoll- und Steuerertrage in Abzug bringen, so daß also dem deutschen   Volk in dem Etatsjahr 1891/93 rund 810 Millionen abgeknöpft worden sind. Rechnet man für Deutschland   eine Durch­schnittsbevölkerung von 46 Millionen, so hat die 5 köpfige Familie zu dieser Summe durchschnittlich fast 90 Mark beitragen müssen. 90 Mark, das ist ein ganzes Kapital für die Familien, die weniger als 900 Mark Jahreseinkommen besitzen, also für die große Mehrzahl der prole­tarischen Haushaltungen. Nach der Einkommenseinschätzung haben 3. B. in Preußen 21 Millionen Personen oder 70 Prozent der Be­völkerung ein Einkommen unter 900 Mark, und in Sachsen   stellte sich 1890 das jährliche Einkommen von 5,4 Prozent der Steuerpflichtigen unter 300 Mark und das von 62 Prozent derselben auf 300 bis 800 Mark! Mit diesem Tribut, den die Habenichtse von ihrem Hunger, ihrem Elend aufbringen müssen, damit die Reichen ihren Ueberfluß nicht anzutasten brauchen, sind die Segnungen der deutschen   Handels­und Wirthschaftspolitik noch nicht erschöpft.

Zölle auf ausländische Erzeugnisse der Industrie und Landwirth­schaft erlauben den inländischen Produzenten der nämlichen Waaren ,, auf Preise zu halten." Sie verhindern eine Verbilligung der be­treffenden Artikel durch die ausländische Konkurrenz oder führen direkt zu ihrer Vertheuerung. Unter gewissen Voraussetzungen treiben sie sogar den Preis derselben um den ganzen Betrag des Zolls in die Höhe, der auf den ausländischen Produkten zum Schutze" liegt. Dies gilt für Getreide, Mehl, Brot, Schmalz, Butter, Fleisch 2c., kurz eine ganze Reihe der nothwendigsten Gebrauchsartikel. So lange z. B. der Doppelzentner des ausländischen Roggens durch den Zoll um 5 Mark vertheuert wurde, mußte auch der ärmste Mann das Pfund Brot um zwei Pfennig theurer bezahlen, als es ohne den Zoll der Fall gewesen wäre. So hat das deutsche   Volk im Jahre 1891 nicht blos an den Staat an Zoll für ausländische Brotfrucht 110 Millionen abladen müssen, es hat auch für vertheuertes in­ländisches Brotgetreide beziehungsweise Brot eine Mehrausgabe von 460 Millionen Mark gehabt. Der Getreidezoll hat also im Laufe der Jahre der deutschen Nation Tausende von Millionen Mark aus der Tasche genommen, Tausende von Millionen Mark, die zum größten Theil von den Armen und Aermsten aufgebracht werden mußten, denn diese verzehren bekanntlich das meiste Brot, für sie ist Brot der Stab des Lebens", das Hauptnahrungsmittel! Tausende von Millionen Mark, die zum weitaus größten Theil den Reichen und Reichsten zugeflossen sind, denn bekanntlich und eingestandener­maßen kommen Getreidezölle und hohe Getreidepreise nicht den kleinen Landwirthen zugute, vielmehr nur den Agrargewaltigen! Die werk­thätige Masse wurde von der Fürsorge des Reiches" dem Hunger überantwortet, damit eine Handvoll proziger Krautjunker, standes­gemäß" zechen, schlemmen, dem Sport und Maitressen huldigen und mit irgend einem ollen ehrlichen Seemann" ihr Spielchen machen konnten. Mit dem Agrarierthum in holdem Verein wucherten die großen Fabrikanten in Folge der Reform" der Handels- und Wirth­schaftspolitik in schmachvollster Weise das Volk aus. Denn auch die meisten ihrer Waaren konnten sie ja Dank der Wirkung der gebene­deieten Schutzzölle mehr oder weniger theurer verkaufen. Die Herren haben die Möglichkeit ausgenutzt, daß der Masse die Augen über­