Nr. 22 der ,, Gleichheit" gelangt am 31. Oktober 1894 zur Ausgabe.
wird gethan werden, dafür bürgt der Charakter unserer Bewegung. Aus dem Bericht, den die österreichische Parteivertretung anläßlich des letzten sozialdemokratischen Parteitags erstattete, geht hervor, daß in Wien allein in den verschiedenen Organisationen 2800 Frauen Mitglieder sind, und daß außerdem den tschechischen Organisationen 268 Frauen angehören. Die tschechischen Genossinnen haben ihr eigenes Organ, das sich einer nicht unbeträchtlichen Verbreitung erfreut. Die Arbeiterinnenbewegung hat von Wien aus auch in die Provinz übergegriffen und entwickelt sich hier recht erfreulich. So wurden jüngst in Linz und in Graz Arbeiterinnen- Bildungsvereine gegründet, welche schon eine verhältnißmäßig ansehnliche Mitgliederzahl aufweisen. Was der Arbeiterinnenbewegung in Desterreich, man möchte sagen, ein fast offizielles Ansehen giebt, ist der Umstand, daß sich die bürgerliche Presse wie die Behörden auf das Eingehendste mit ihr und besonders mit den weiblichen agitatorischen Kräften beschäftigen. Desgleichen natürlich das Fabrikantenthum, das die„ aufreizenden Weiber" dorthin wünscht, wo der Pfeffer wächst. Es giebt sogar Gegner der Sozialdemokratie, welche die Agitation der Männer derjenigen der Frauen vorziehen, weil lettere weit aggressiver sind, schärfer und leidenschaftlicher vorgehen. Wie ernst die Behörden die Frauen und ihre Thätigkeit auffassen, geht schon aus der Thatsache hervor die zu unserem Vereinsgesetz in einem merkwürdigen Gegensatz steht, daß die Frauen ebenso politisch verantwortlich gemacht werden, wie die Männer, ebenso unter den politischen Verfolgungen zu leiden haben, wie sie. Dieselben Frauen, die auf Grund des famosen§ 30 unseres Vereinsgesetzes nicht einmal Mitglieder einer politischen Organisation sein dürfen! Reif sind sie, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu untergraben, reif politische Verbrechen zu begehen, reif genug, der heutigen gesellschaft lichen Ordnung gefährlich und den Behörden unbequem zu werden, aber unreif nach dem Gesetze politisch thätig zu sein. Naive Staatsanwälte meinen, daß dadurch, daß man eine Genossin nach der anderen ins„ graue Haus" vorladet, sie einsperrt, oder einschüchtert durch die Aussicht auf Abschiebung in die Heimathsgemeinde, die Bewegung eingedämmt, die Agitation gelähmt werden kann. Nun, bis jetzt hat unsere Arbeiterinnenbewegung nur an Umfang, Tiefe und Klarheit gewonnen, trotz aller behördlichen Machenschaften. Daß man Versammlungen, in welchen Frauen referiren, auflöst, verbietet, unmöglich zu machen sucht, das sind alltägliche Vorkommnisse. Eine schöne Gleichberechtigung des Geschlechts beobachten die Behörden auch in puncto ihrer Chikanen gegen die Presse. Wie irgend ein sozialistisches Blatt wird auch die Arbeiterinnen- Zeitung" so oft als möglich und bei den österreichischen Staatsanwälten ist bald etwas möglich, konfiszirt.
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Die bürgerliche Presse begeifert und beschimpft natürlich in nichts weniger als wählerischer Weise die Genossinnen. Besonders als diese auch der Dienstbotenfrage ihre Aufmerksamkeit in einer für die„ deutsche Hausfrau" unangenehmen Weise widmeten, trieften die bürgerlichen Blätter von Gemeinheit, Lügenhaftigkeit und persönlichen Angriffen gegen die Referentinnen der Dienstbotenversamm lungen, deren man in kurzer Zeit vier abhielt, wovon eine aufgelöst ward. Mit breitem Behagen veröffentlichten sie die„ Berichtigungen", durch welche sich die deutschen Hausfrauen" gegen die sozialistischer seits erhobenen Angriffe und Anschuldigungen„ energisch verwahrten", d. h. zusammenerlogene Versuche, die Thatsachen auf den Kopf zu stellen, die Dienstbotenverhältnisse als paradiesisch zu zeigen. Freilich konnten damit nicht Gerichtsverhandlungen weggelogen werden, die den Nachweis erbrachten, daß Damen der besten Gesellschaft ihre Dienstmädchen mit Eisenstangen schlagen, Fabrikantengattinnen ihre Dienstmädchen mit Ohrfeigen traktiren und doch freigesprochen werden, weil in Desterreich die Dienstboten Ordnung von 1810 den Herrschaften das Züchtigungsrecht verleiht.
Die Entrüstung und Wuth, mit welcher die besitzende Klasse und ihre Zuhälter über die sozialistische Propaganda der Frauen herfallen, spricht nur dafür, wie sehr diese Elemente das Erwachen der proletarischen Frau und ihren Eintritt in den Kampf fürchten, spricht dafür, welche Bedeutung sie unfreiwillig der Arbeiterinnenbewegung beilegen. Uebrigens ist dieser auch die Ehre widerfahren, von den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen als ein Muster der Disziplin, Solidarität und Energie hingestellt und zur Nachahmung empfohlen zu werden. Gewiß, in Desterreich ist die Arbeiterinnenbewegung bereits ein Faftor geworden, mit dem man in dem proletarischen Befreiungstampfe rechnen kann und rechnen muß. Die österreichischen klassenbewußten Arbeiterinnen wissen das und kommen den ihnen obliegenden Pflichten mit Begeisterung nach.
In Desterreich existirt nur formell eine besondere Arbeiterinnenbewegung, ihrem Wesen nach ist dieselbe identisch mit der sozialdemokratischen Bewegung. Es spielt sich nur ein Kampf ab, der für
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Arbeiterinnen wie Arbeiter die gleiche Bedeutung hat, von beiden mit gleicher Energie geführt werden muß. Wo besondere Interessen des einen Theils sich geltend machen, kann er der Unterstützung des anderen Theils versichert sein und umgekehrt. So haben Proletarier und Proletarierinnen gemeinsame Arbeit, gemeinsamen Kampf, gemeinsame Wege, gemeinsame Ziele.
Das Verhältniß, welches zwischen der allgemeinen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und der Arbeiterinnenbewegung besteht und die Erfolge, welche lettere errungen hat, werden trefflich durch die folgende Stelle des Parteiberichts charakterisirt.
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,, Ein wichtiger Charakterzug der österreichischen Arbeiter- Bebewegung", so heißt es da, der sich in den letzten Jahren immer mehr ausbildete, ist die Organisation der weiblichen Arbeiter. Wir dürfen mit Stolz sagen, daß sich vielleicht in gar keinem anderen Lande die Heranziehung und Einreihung der Proletarierinnen mit gleich großem Erfolge und ohne die dabei sonst vorkommenden Störungen und Unzukömmlichkeiten vollzog. In allen Orten, wo es überhaupt eine sozialdemokratische Bewegung giebt, hat sich auch bereits ein fester Kern für die Frauenorganisation gebildet, der überall ohne separatistische Gelüste durchaus in Reih und Glied der allgemeinen Organisation steht. Ihr entsprang eine Anzahl von agitatorischen Kräften, welche die volle Anerkennung nicht nur von Seite der Parteigenossen verdienen, sondern deren Thätigkeit auch die Behörden durch wiederholte und schwere Verfolgungen konstatirten."
Das Lob, das aus diesen Worten spricht, und das auch insbe sondere die deutschen Genossen Singer und Bebel auf dem Wiener Parteitage der österreichischen Arbeiterinnenbewegung ausgesprochen haben, veranlaßt unsere Genossinnen, nicht in müßiger Selbstbefriedigung auf das Geleistete zurückzuschauen. Die Anerkennung wirkt vielmehr als Ansporn für das fünftig zu Schaffende. Die Stellung, die sich die österreichische Arbeiterinnenbewegung errungen hat, sie muß und wird durch den Muth und den Eifer, die Opferfreudigkeit und Begeisterung der Genossinnen und durch die kräftige Unterstützung der Partei erhalten bleiben, sie wird der Ausgangspunkt sein für weitere Fortschritte, für weitere Erfolge.
Literarisches.
Charlotte Glas.
Agnes Wabuit. Von B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie. Unter obigem Titel ist in den letzten Wochen eine Broschüre erschienen und auch in der Arbeiterpresse vielfach annoncirt worden. Wir möchten unsere Genossinnen nachdrücklich davor warnen, mit ihren sauer ersparten Groschen auf das ganz werthlose Machwerk hineinzufallen. Für 50 Pfennig bietet das Schriftchen auf 35 Seiten nichts als sentimental- überschwengliche, hohle, zum Theil geradezu sinnlose Deklamationen. In ihrem Rahmen erscheint unsere hochherzige, tapfere Genossin ( Wabnitz zur süßlich-rührseligen Romanfigur verzerrt, wie sie etwa die Phantasie eines sehr jungen und sehr geschmacklosen Backfisches ergötzen fann. Die Ideen, welche die Verstorbene so unentwegt bis zu ihrem letzten Athemzuge verfochten hat, sind zu einer platten, farblosen, einseitigen Moralmeierei verballhornisirt, die es Genossin Wabnitz erlaubt hätte, Arm in Arm mit einem der ersten besten mucerischen Sittlichkeitsvereine zu marschiren. Daneben wird diese auch noch zur Vorkämpferin der ausschweifendsten Verhimmelung des Judenthums umgedichtet, eine VerhimmeTung, die der Sozialistin Wabnitz ebenso fern gelegen hat, wie der blöde Antisemitismus. Wäre Agnes Wabnitz die verschrobene Persönlichkeit gewesen, zu der sie die Verfasserin stempelt, hätte sie nur so gemeinplätzliche oder einseitig auf die Spige getriebene Ideen vertreten, wie sie zur Charakterifirung ihres Standpunkts B. Glogau mit bemerkenswerthem Ungeschick ,, in seliger Erkenntniß" aus den Reden der Verblichenen herausgreift, so wäre ihr Wirken und ihr Erfolg innerhalb der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, so hätte sie sich nicht die Liebe und Anerkennung des deutschen Proletariats bis über das Grab hinaus gesichert. Wir glauben nur im Sinne der geschiedenen, so bescheidenen, schlichten Agnes Wabnitz zu handeln, wenn wir den Genossinnen rathen, ihre paar Pfennige statt für die fragliche Broschüre für irgend eine andere Schrift auszugeben, die ihnen in Gestalt von Wissen Waffen im Kampfe für ihre Befreiung liefert. In der deutschen sozialistischen Literatur ist wahrlich kein Mangel an solchen Schriften.
Quittung.