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,, Arzt und Priester, wer bezahlt sie?

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Hilfe bringt man nur ums Geld.

Also wollen die Gesetze

Der zivilisirten Welt",

wurde dem guten Mann die Sache zu gefährlich. Er erklärte die Gesellschaft" für aufgelöst und befahl, daß binnen zehn Minuten der Saal geräumt werde. Von dem Bewußtsein durchdrungen, einem zwanglosen Vergnügen und feiner Versammlung beizuwohnen, wei­gerten sich die Anwesenden, den Saal zu verlassen, und ein Arbeiter äußerte über den diesbezüglichen Befehl: Das ist eine Unvernünftig feit, das ist eine Gesetzesverletzung." Der Assessor requirirte in München Hilfe behufs Ausführung seines Befehls, ließ aber, als dieselbe ein­traf, die Theilnehmer des Ausflugs unbeanstandet bis zum Abgang des Zuges im Saale. Obwohl Niemand seiner Aufforderung nach­gekommen war, wurde doch nur gegen fünf Personen Anklage er­hoben. Das Gericht München verurtheilte sie zu je 10 Mark Strafe, weil sie der behördlichen Aufforderung, den Saal zu räumen, nicht entsprochen hätten. Der Mann, der von der Unvernünftigkeit" der beliebten Maßregel gesprochen, wurde außerdem wegen ,, Beleidigung" des Assessors zu 40 Mark Buße verdonnert. Die Urtheilsbegründung geht von der ganz wunderbaren Auffassung aus, der Begriff Ver­sammlung sei dann gegeben, wenn eine bestimmte Anzahl Personen zu bestimmten Zwecken vereinigt sei." Im ge­gebenen Falle sei die Versammlung nicht blos auf Genossen beschränkt gewesen, Freunde und Frauen hätten ihr beigewohnt zum Zwecke, eine politische Partei zu fördern. Die von dem Assessor ausgesprochene Auflösung unterliege nicht der Entscheidung des Gerichts, nachdem sie aber verhängt worden war, habe sie befolgt werden müssen. Eine solche Auslegung des Gesetzestextes macht jedes Ausnahmegesetz über­flüssig, ermöglicht es, nach Belieben jede Festlichkeit, jedes Beisammen­sein im Freundes- oder Familienkreise als vereinsgefeßlich unstatthafte um fein anderes " Versammlung" aufzufassen. Die eigenthümlichste Wort zu gebrauchen- Handhabung des Vereins- und Versamm­lungsrechts ist offenbar eine der vornehmsten Kulturaufgaben", deren Erfüllung das bayerische Gemeinwesen" seine Kräfte widmet.

Sächsisches Recht". In Leipzig - Sellerhausen wurde eine Metallarbeiterversammlung aufgelöst, in welcher Genossin Rohrlack über Die Nothwendigkeit der Anstellung weiblicher Fabrik­inspektoren" sprach. Die Auflösung erfolgte anläßlich der Kritik, welche die Referentin der Thätigkeit des Gewerberaths Siebdraht in Dresden angedeihen ließ. Schon vorher war mehreren Rednern das Wort entzogen worden. Während der Agitationstour, die Genossin Ihrer durch das Voigtland unternahm, wurden nicht weniger als vier der geplanten Versammlungen verboten mit der Begründung, daß die Frau Referentin hinlänglich bekannt, sowie daß sie wegen Beamtenbeleidigung vorbestraft sei, und daß man annehmen könne, die betreffenden Versammlungen würden gesetzwidrigen Zwecken dienen." Das Recht", wie man's in Sachsen fennt!

- Jn Magdeburg drohte dem preußischen Staat große Gefahr. Waren da gegen sechzig Frauen und Mädchen zwanglos zusammen­gekommen, um etwas vorlesen zu hören. Offenbar befürchteten die allzeit wachsamen Behörden, daß die betreffende Lektüre auf das Junkerparadies Preußen die Wirkung der Posaunen von Jericho aus­üben tönne. Die Lesestunde ward polizeilich aufgelöst, sämmtliche Anwesende wurden notirt, und der Staat war gerettet.

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Haynau in Schlesien . Am 10. November feierte der hiesige Bildungsverein für Frauen und Mädchen sein erstes Stiftungs­fest. Der Festsaal konnte die Besucher und Besucherinnen kaum fassen, die nicht blos aus der Stadt selbst, sondern auch aus der Umgegend herbeiströmten. Unter Anderen bekundeten auch Genossinnen und Genossen aus Liegnitz durch ihre Anwesenheit die enge Ideen und Kampfgemeinschaft, welche die Ausgebeuteten allerorts miteinander verbindet. Das Fest wurde durch einen Prolog eingeleitet, den die Vereinsvorsitzende sprach. Darauf wechselten Gesangsvorträge und Deklamationen ernsten und heiteren Inhalts miteinander ab. Die gelungene Aufführung des Dramas An die Scholle gefesselt" bildete den Glanzpunkt des Festes und hat in mehr als einem Hirn und Herzen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Erst spät, befriedigt und in bester Stimmung, gingen die Festtheilnehmer auseinander. Die Feier zeigte, daß der hiesige Bildungsverein für Frauen und Mädchen sich die Sympathie der arbeitenden Bevölkerung erworben hat, und sie wird sicherlich dazu beitragen, das leider hier und da noch mangelnde Interesse für die ernsten Zwecke der Organisation zu wecken und zu beleben. Wie in der Vergangenheit, so wird auch künftighin der Verein sein Bestes thun, Aufklärung und Schulung in die Reihen des weiblichen Proletariats zu tragen, dem Befreiungskampfe der M. St. Arbeiterklasse neue Streiter und Streiterinnen zu werben.

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Frauen als Fabrikinspektorinnen."

Der Frankfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie hat beschlossen, die Reichstagsfraktion aufzufordern, dem Reichstag eine Interpellation oder einen Initiativantrag zu unterbreiten, welcher die reichsgesetzliche Regelung des Fabrikinspektorats zum Gegenstand hat. Die Fassung der Interpellation oder des Initiativantrags soll der Fraktion überlassen bleiben, ebenso soll die Fraktion selbst darüber entscheiden, ob damit gleichzeitig eine Erweiterung des Fabrikinspek torats, sowie die Anstellung weiblicher Gewerbe- Aufsichts­beamten zu fordern ist.

Ferner forderte der Parteitag zur lebhaften Agitation für Ver­besserung der Gewerbe- Inspektion auf und ersuchte zu diesem Zwecke die Fraktion, eine reichsgesetzliche Regelung oder wenigstens eine Zentralstelle für Gewerbe- Inspektion, deren Ausdehnung auf Haus­industrie und Handwerk, sowie Anstellung weiblicher Gewerbe­Inspektoren zu beantragen.

Was hier in Bezug auf die Verwendung der Frauen zur Ge­werbe Inspektion gefordert wird, ist in anderen Staaten schon zur Durchführung gekommen.

Die Fabrikinspektoren der nordamerikanischen Union hatten kürzlich eine Konferenz in Philadelphia ; auf dieser war die Sozialistin Frau Florence Kelley , Chef- Fabrikinspektorin von Illinois , in hervorragender Weise thätig. Ihr Vortrag über Die Nothwendig­feit einer einheitlichen Arbeitergesetzgebung" wurde mit großem Beifall aufgenommen. Das Fabrikinspektorat ist jetzt in 15 Staaten ein­geführt, und zwar in Massachusetts ( 24 männliche, 2 weibliche Inspektoren), New York ( 13 männliche, 13 weibliche), New Jersey ( 6), Ohio ( 13), Pennsylvanien( 8 männliche, 5 weibliche), Illinois ( 5 männliche, 7 weibliche), Minnesota , Michigan ( je 3), Rhode Jsland( 1 männlicher, 1 weiblicher), Missouri ( 2), Maine , Kansas , Connecticut , Tennessee und Indiana ( je 1). Als 1887 die erste Kon­vention, ebenfalls in Philadelphia , stattfand, hatten nur fünf Staaten die Institution eingeführt. Unter den beschlossenen Resolutionen befindet sich eine für die achtstündige Arbeitszeit( welche mit 24 gegen 14 Stimmen angenommen wurde), für gleichartige Arbeitergesetz­gebung in den Induſtrieſtaaten und für Ausdehnung der Inspektion auf kaufmännische Geschäfte.

Man ersieht aus dem Einfluß, den Frau Kelley auf der Kon­ferenz ausübte, daß die Befähigung der Frau zu dem schweren und verantwortungsvollen Amte der Beaufsichtigung der Fabriken auch von den männlichen Kollegen voll anerkannt ist.

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Wie weit die Frau Aussicht hat, in Europa sich bei der Ge­werbe Inspektion zu bethätigen, sollen die folgenden Ausführungen zeigen, die sich im Wesentlichen auf die interessanten Erfahrungen stützen, die ein belgischer Beamter auf einer Reise zum Studium der Fabrik und Gewerbe- Inspektion in England, Frankreich , der Schweiz , dem Deutschen Reiche und Desterreich gesammelt hat. Der Verfasser, Cyr. van Overbergh, widmete seinen Studien mehrere Jahre( sein Standpunkt scheint sich im Wesentlichen mit dem der katholischen Christlich- Sozialen zu decken). Sein Buch,** das in französischer Sprache erschienen ist, ist das umfangreichste Werk über die Gewerbe­Inspektion; dringt der Verfasser auch nicht tief in das Wesen der Dinge ein, so ist wenigstens die Reichhaltigkeit des gesammelten Materials anzuerkennen und sein Bemühen, zu objektiven Urtheilen zu gelangen. Van Overbergh schreibt über die uns hier interessirende Frage im Wesentlichen das Folgende:

Seit vielen Jahren fordert das organisirte Proletariat Europas die Ernennung von Frauen zu Fabritinspektionsbeamten. Eine Reihe von wissenschaftlichen Bearbeitern dieses Theiles der Gewerbepolitik unterstützen diese Forderung. In Frankreich , so im Departement Seine, hat diese Einrichtung zu so befriedigenden Resultaten geführt, daß sie durch das französische Arbeiterschutzgesetz vom Jahre 1892 offiziell anerkannt werden konnte. In England hat, seitdem der Ver­fasser sein Buch abgeschlossen hat, die Ernennung von drei weiblichen Fabrikinspektoren stattgefunden. In der Schweiz ist eine starke Be­wegung für die Aufnahme der Frauen in das Korps der Fabrik­aufsichtsbeamten vorhanden. Der österreichische Zentral- Gewerbe­Inspektor, der mehr durch seine Rücksichtnahme für die Fabrikanten als durch energische Durchführung des dem deutschen überlegenen österreichischen Arbeiterschutzgesetzes bekannt ist, schrieb dem Verfasser des angeführten Buches zur Frage:

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* Siche Die Gleichheit", 1894, Nr. 1, Nr. 4, Nr. 15.

Cyr. van Overbergh, Docteur en droit, Commissaire d'arrondissement à Courtrai , Les inspecteurs du travail dans les fabriques et les ateliers. Etudes d'économie sociale. VII und 488 S. gr. 8°.

Löwen 1893.