bei den Umsturzdebatten" um die Wette das hohe Lied anstimmen fonnten, daß Deutschland im Punkte des Verständnisses und der Thaten für Arbeiterinteressen einzig in der Welt dasteht". Charakteristisch für unser Einzigdastehen" ist auch die Thatsache, daß der Londoner Konferenz Männer beiwohnten, welche im öffentlichen und politischen Leben eine hervorragende Rolle spielen und hohes Ansehen genießen. Der Progressist"( Fortschrittler, aber nicht etwa im Sinne des deutschen rückschreitenden Fortschritts") Sir John Hutton, Präsident des Londoner Grafschaftsrathes, führte den Vorsitz in der Vormittags­sigung der Konferenz und eröffnete diese mit einer Rede, bei deren bloßem Anhören seinem Berliner Kollegen, dem Auch Freisinnigen" Herrn Zelle, das tapfere Mannesherz bis in die äußerste Spize seiner hösischen Wadelstrümpfe fallen würde. Hieß es doch in derselben: " Wir müssen die Arbeiter erziehen, und sie müssen organi­sirt werden. Wir müssen die Gesetze zum Schuße der Ar­beiter verbessern.... Allerdings werden Leute, die von grenzenloser Habgier geleitet in schamlos nichtachtender Weise Menschenleben verwüsten und die Kräfte der Armen aufs Aeußerste auspressen, unseren Bestrebungen allezeit feindlich gegenüberstehen." In der Nachmittagssigung führte den Vorsitz ein Christlich- Sozialer, Canon Scott Holland, welcher mit warmem Gefühl die Nothwendigkeit betonte, mit menschenwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen ein Heim im besten Sinne des Wortes für die Arbeiterin zu schaffen, die durch traurige Verhältnisse zu Boden geworfen wird, sich aber nicht zertreten läßt und wieder aus dem Staub erhebt. Ein einflußreiches Parlamentsmitglied, Herr Haldane, leitete die Verhandlungen in der Schlußsitzung der Konferenz, die am Abend stattfand. Welche Phantasie wäre kühn genug, sich eine von Genossin Ihrer oder Wengels einberufene Konferenz in Berlin vorzustellen, welche etwa unter dem Vorsitz des Oberbürger­meisters Belle, des Geheimraths Wagner und Eugen Richter's oder Bennigsen's( beide wollen ja liberal" sein und einflußreich auch) tagte, und auf welcher die genannten Herren nicht nur mit Damen wie Frau v. Gizycki und Lina Morgenstern zusammen arbeiteten, sondern auch mit den Genossinnen Baader, Eichhorn, Kühn, Greifen­ berg , Mesch 2c. 2c.

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Die Verhandlungen wurden durchweg in ruhiger und sachlicher Weise geführt. Trotz der Gegensätze des sozialen Bekenntnisses und der verschiedenen Sonderbestrebungen der vertretenen Organisationen führte der vorhandene Berührungspunkt, daß alle die Lage der er werbsthätigen Frauen verbessern wollen, zu einer Verständigung im Punkte der Gründung eines Zentralausschusses und seiner Obliegen­heiten. Von allen Rednerinnen und Rednern wurde betont, wie dringend nöthig es sei, durch planmäßige Untersuchungen reichliches und zuverlässiges statistisches Material über die wirthschaftliche Lage der Frauen und ihre Lebensverhältnisse zu schaffen. Die Bemühungen einzelner Personen, solches Material zu sammeln, hätten bis jetzt wohl helle Streiflichter auf das Elend der Arbeiterinnen geworfen, aber Alles in Allem nicht genügende statistische Daten zu Tage gefördert. In der Arbeitsabtheilung des Handelsministeriums sei eine einzige Korrespondentin mit der Aufgabe betraut, Material über die Lage der weiblichen Arbeiter zu sammeln. So tüchtig und pflichteifrig die betreffende Kraft auch sei, so könne sie allein doch unmöglich die riesige, ihr zugewiesene Arbeit bewältigen. Hier müsse Abhilfe ge­schafft werden durch eine methodische Aktion der Organisationen. Die Beschaffung von einschlägigem Material sei eine Vorbedingung für eine erfolgreiche Agitation unter den Arbeiterinnen, für ihre ge­werkschaftliche Organisation, für das Zustandekommen von Gesetzen, welche thatsächlich den erwerbsthätigen Frauen zum Vortheil ge­reichen. Besonders bemerkenswerth waren die in diesem Sinne ge­haltenen Ausführungen von Miß Irwin, der Sekretärin der Ein­gangs erwähnten Glasgower Frauenliga, die bekanntlich dem Züricher internationalen Kongreß als Delegirte beiwohnte. Dieselbe berichtete auch über das wirken und den Erfolg des seit Anfang des Jahres bestehenden Landesverbands- Ausschusses für Schottland und hob be sonders hervor, daß die Verhältnisse der Arbeiterinnen sich nur bessern würden in Folge des Wirkens der gewerkschaftlichen Organisation und des Zustandekommens guter Schutzgesetze. Daß im Laufe der Verhandlungen auch die Gegensätze zwischen den verschiedenen, auf der Konferenz vertretenen Richtungen zu Tage traten, versteht sich am Rande. Sie wurden nicht verwischt, aber sie hindern nicht die ge­meinsame Inangriffnahme einer Arbeit, die von Allen als nüßlich und nöthig erkannt wird. Soweit es sich um die Erreichung des gesteckten Ziels handelt, findet ein einheitliches Zusammenwirken aller sich anschließenden Organisationen statt, außerhalb dieses Ziels aber verfolgt jede einzelne Organisation ihre Sonderbestrebungen unbeein­flußt weiter. Der begründete Zentralausschuß soll sich von Partei­politik fern halten, d. h. er soll weder den Liberalen, noch den Kon­

servativen Vorspanndienste leisten. Bekanntlich suchen diese beiden Parteien sich in dem Wettrennen um den armen Mann zu überbieten, da eine jede von ihnen nur mit Hilfe der Arbeiter die Herrschaft zu erringen vermag, aber nach der Erringung der Herrschaft den größten Theil der Versprechungen vergißt, mit denen der Bruder Arbeiter ge­födert wurde. Im Sinne vorstehender Ausführungen ist der Satz der zweiten Resolution zu verstehen, in welchem von Seftenan schauungen" und" Parteipolitik" die Rede ist. Einzelne Rednerinnen ließen auch den Ton frauenrechtlerischer Sonderbestrebungen antlingen, doch wurde dem entgegen von anderen Rednerinnen und Rednern sehr energisch und unter allgemeinem Beifall betont, daß die Interessen von Mann und Frau nicht getrennt werden dürften, und daß Arbeiter und Arbeiterinnen zusammen für bessere Verhältnisse Aller wirken und kämpfen müßten.

Der Kongreß nahm folgende Beschlüsse an:

1. Der tagenden Konferenz erscheint die Gründung eines Zentral­ausschusses wünschenswerth, welcher eingehende und systematische Er­hebungen über die Verhältnisse der Arbeiterinnen zu organisiren hat behufs genauer Aufschlüsse über diese Verhältnisse, sowie behufs För­derung einer Thätigkeit, welche geeignet ist, dieselben zu verbessern. 2. Der zu gründende Zentralausschuß soll sich bei Lösung seiner Aufgaben aller Parteipolitik und allen Sektenanschauungen fernhalten und sich nie in das Sondergebiet der Bestrebungen einmischen, welche die ihm angegliederten Organisationen verfolgen.

3. Der Zentralausschuß besteht aus je einem Delegirten der auf der Konferenz auf Einladung hin vertretenen Organisationen und hat die Befugniß, ihre Anzahl zu vergrößern.

4. Der Zentralausschuß hat folgende Spezialkommissionen zu schaffen:

a) eine Finanzkommission, deren Aufgabe es ist, Mittel auf zubringen für die vom Zentralausschuß genehmigten Ar­beiten, ferner periodisch die Rechnungen zu prüfen und Be­richt zu erstatten.

b) Eine Untersuchungskommission behufs Sammlung und Sich­tung von Material über die Verhältnisse, unter denen Frauen erwerbsthätig sind. Dieser Kommission sollen in erster Linie Leute angehören, welche praktische Erfahrungen in den einschlägigen Verhältnissen und Arbeiten haben. c) Eine Bildungskommission, welche Besprechungen und Vor­träge in Arbeiterinnen- Klubs und-Vereinen zu veranstalten hat, sowie Flugblätter und Broschüren abzufassen, welche besondere Fragen der Gesetzgebung und der wirthschaftlichen Verhältnisse behandeln.

d) Eine Kommission für Statistik, welche sammeln und ordnen soll, was an einschlägigem Material bereits in Blaubüchern der Regierung, in ausländischen Veröffentlichungen, in der Lokalpresse 2c. 2c. niedergelegt ist. Sie soll dabei die öffent­liche Meinung besonders auf den Unterschied der Entloh­nung aufmerksam machen, welche Männern und Frauen in der nämlichen Arbeitsbranche zu Theil wird.

e) Eine Organisationskommission behuss Unterstützung und Förderung von gewerkschaftlichen Organisationen, technischen und anderen Unterrichtskursen, geselligen Vereinen 2c. f) Eine parlamentarische und juristische Kommission, deren Aufgabe es ist, die Parlamentsverhandlungen zu verfolgen, gerichtliche Entscheidungen mitzutheilen, welche für die er­werbsthätigen Frauen von Interesse und von Wichtigkeit sind, und das Zustandekommen gesetzlicher Maßregeln zu fördern, welche dem Zentralausschuß als wünschenswerth erscheinen. Die Kommission kann auch thätig eingreifen, wenn es sich darum handelt, daß Frauen zu Mitgliedern der verschiedenen öffentlichen Rörperschaften gewählt oder ernannt werden.

Wie man sieht, ist das Arbeitsprogramm, das der neugegründete Zentralausschuß zu erledigen hat, ein sehr umfassendes und reiches. Vereintem ernsten Streben und Wirken wird es hoffentlich gelingen, das gesteckte Ziel zu erreichen und dadurch die Interessen der erwerbs­thätigen Frauenwelt kräftig zu fördern.

Noch eine Petition bürgerlicher Frauen.

In der bürgerlichen Frauenwelt Deutschlands haben ganze drei Frauen die Initiative ergriffen zu einem Eintreten für das Vereins­und Versammlungsrecht für das weibliche Geschlecht. Dem Charakter der bürgerlichen Frauenbewegung und den Verhält nissen entsprechend, unter denen sie sich entwickelt, besteht diese Ini­tiative in einem Petitions - und Bittgang. Die betreffende, von den