Nr. 4.

Die Gleichheit

5. Jahrgang.

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Herausgegeben von Emma Ihrer   in Pankow   bei Berlin  .

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nro  . 2756) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.

Von Rechts wegen.

Stuttgart  

Mittwoch, den 20. Februar 1895.

In Bayern   sind bezüglich des Versammlungsrechts der Ar­beiterinnen seitens hoher und höchster Behörden Erkenntnisse gefällt worden, welche den zweifelsüchtigsten Gemüthern zagender Ordnungs­freunde trostreich beweisen, daß es auch heutigentags noch Richter giebt und nicht blos in Preußen.

Jahrelang wurde in Bayern   das Vereins- und Versamm lungsgesetz den Frauen gegenüber gehandhabt hier nach dem, was das Gesetz besagt, dort nach dem, was Herr v. Feilißsch, seines Zeichens Minister des Innern, mit unverfälscht amtlichem Scharf­sinn als die Absicht der Gesetzgeber" erkannte. Der Besuch öffent­licher Versammlungen, welcher den Nürnbergerinnen recht war, war den Münchnerinnen durchaus nicht billig. Seit etwas mehr als Jahres­frist dagegen klingt das diesbezügliche Thaten der Polizeibehörden allerorten zusammen in jener holden Harmonie, in welcher sich bekannt lich schöne Seelen stets verständnißinnig zusammenfinden. In den ver­schiedensten Orten Bayerns   verunmöglicht die hohe Polizei den Ar­beiterinnen den Besuch öffentlicher Versammlungen irgend welcher Art.

Die bayerische klassenbewußte Arbeiterschaft erwartete von einem richterlichen Entscheid eine Aenderung der einschlägigen Ver­hältnisse. Dieser Entscheid ist in jüngster Zeit in letter Instanz gefallen: er steht im Widerspruch zu den wichtigsten Lebensinteressen der Arbeiterinnen und damit zu den Interessen der gesammten Ar­beiterschaft; er steht im Widerspruch zu den Erfordernissen unserer Zeit.

Das Obergericht wies als unberechtigt die Berufung ab gegen die durch polizeiliche Verfügung veranlaßte Entfernung der Frauen und Mädchen aus einer öffentlichen Gewerkschaftsversammlung, welche am 10. Dezember 1893 in Nürnberg   stattfand, und deren Tagesordnung lautete: 1) Das Fabrifinspektorat", 2) Wahl einer Beschwerdekommission. Fast gleichzeitig verwarf das königliche Staats­ministerium des Innern eine Berufung gegen das Verbot einer öffentlichen Arbeiterinnenversammlung in Fürth  , wo am 3. Januar 1894 Genossin Rohrlack über das Thema referiren sollte: Die Arbeiterinnen im Kampfe mit dem Kapitalismus  .

Wie aus obigen Daten ersichtlich, sind die gefällten Erkennt­niffe offenbar die reifen Früchte langer und gründlicher Prüfung. Auch der übelwollendste Strittelmeier wird ihnen nicht vorwerfen fönnen, daß sie in überhafteter Gile gefaßt worden sind. Und welches sind die so langwierig und sorgsam bebrüteten Gründe der Entscheidung? Erstens: die Sozialdemokratie ist laut oberstrichter­licher Erkenntniß aus dem Jahre 1876 ein politischer Verein im Sinne des bayerischen Vereinsgesetzes. Zweitens: jede Versamm­lung, die von einer als sozialdemokratisch bekannten Person ein­berufen oder geleitet wird, oder in der eine solche Person referirt, ist eine politische Versammlung des politischen Vereins Sozial­demokratie. Drittens: gewerbliche Koalitionen, welche zur Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen die Organe und die Thätig­keit des Staats für sich in Anspruch nehmen", verlieren ihren ge= werblichen Charakter und wandeln sich in politische Vereine um" bezw. in politische Versammlungen. Auf Grund obiger Feststellungen und des Thatbestands" ergiebt sich selbstredend klärlich, daß es sich in dem einen wie dem anderen fraglichen Fall um politische Versammlungen des politischen Vereins Sozialdemokratie handelte.

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Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Wie aber das bayerische Vereinsgesetz Frauen und Minder= jährigen die Mitgliedschaft von politischen Vereinen untersagt, so berbietet es ihnen auch den Besuch der Versammlungen solcher Ver­eine bezw. aller Versammlungen, die sich mit politischen oder öffent­lichen Angelegenheiten beschäftigen. Ergo war die hohe Polizei von Nürnberg   und Fürth   zu den beliebten Maßregeln durchaus berechtigt.

Es ist klar, daß es kaum eine öffentliche Versammlung geben dürfte, die sich unter dem Zauberstab obiger Begründung nicht ebenso sicher und gewiß in eine politische umwandelt", wie während des Hochamts unter dem Segen des Priesters die Hostie zum Leib Christi   wird. Folglich bedeutet der leztinstanzliche Entscheid in der Frage nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung des Versammlungsrechts der bayerischen Arbeiterinnen, und da ohne Versammlungsfreiheit jedes Vereinigungsrecht illusorisch wird, gleich­zeitig auch die Vernichtung des den Arbeiterinnen verfassungsgemäß zustehenden Koalitionsrechts. Und dies von Rechts wegen, auf Grund einer Beweisführung, die ebenso einfach ist, als sie dem beschränkten Unterthanenverstand unantastbar sein muß.

Wir könnten zwar dieser Beweisführung Gegengründe gegen­überstellen. So z. B., daß es nach 1876 so etwas wie ein Sozia­listengesetz gegeben hat, demzufolge die frühere Organisation der Sozialdemokratie zertrümmert wurde; ferner, daß 1890 so etwas wie ein Parteitag zu Halle stattfand, welcher der Sozialdemokratie eine Organisation gab, die nichts mit einem Verein gemein hat. Weiter, daß das öffentliche Auftreten und Thun   einer als sozial­demokratisch bekannten Person durchaus nicht immer im Auftrag und im Zusammenhang mit der Partei geschieht. Schließlich und am wenigsten, daß bei den heutigen Gesellschaftsverhältnissen wirth­schaftliche und politische Fragen so innig miteinander verquickt sind, daß man mittels der oberstrichterlichen Definition so ziemlich jede Frage des gewerblichen Lebens zu einer politischen stempeln kann.

Allein Behörden und Staatsweise haben unter allen Umständen das mit großen Geistern gemein, daß Kleinigkeiten sie nicht geniren. Und deshalb hätten der Herr Staatsminister und die Herren Ober­richter sich die lange Zeit und saure Mühe der sinnreichen Be­gründung ihres Entscheids sparen können. Die Erklärung hätte vollauf genügt: car tel est mon plaisir", weil es mir so beliebt, oder sic volo, sic jubeo", so will ich, so befehle ich! Ich, d. h. nicht etwa der Herr Staatsminister und die Herren Oberrichter, denen wir nicht die leisesten absolutistischen Anwandlungen unter­stellen. Vielmehr Ich", der Staat, d. h. die politische Organi­sation der herrschenden Kapitalistenklasse zum Zwecke der Ausbeutung und Unterdrückung der nichtbesißenden werfthätigen Masse. Ich", der Staat, der es als Werkzeug dieser herrschenden Klasse nicht dulden darf, daß sich Lohnsklavinnen aufflären und organisiren, um mit ihren Brüdern der Frohn und des Elends zusammen bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Minister und Oberrichter haben sich bethätigt als treue Diener ihres Herrn", als pflichteifrige, verständnißvolle Beamte des Staats, in dem Arme und Reiche bei einander wohnen. Gewissenhaft haben sie gethan, was ihres Amtes

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ist im Sinne der Versicherung, die Herr v. Bötticher seinerzeit den schmollenden Granden des Kapitals sanft vorwurfsvoll zurief:" Meine Herren, wir arbeiten ja nur für Sie". Und das von Rechts wegen.