Etwas vom Umsturz der Familie".

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Zu den idealſten und höchsten Gütern der deutschen Nation", welche durch die+ Sozialdemokratie schwer bedroht sind und des­halb eventuell unter der großen Pickelhaube eines Umsturzgesetzes gegen subversive Tendenzen" sicher gestellt werden müssen, gehört bekannt­lich laut Kapitalistenlügen und Philistergefasel die Familie. Wohl gemerkt, die bürgerliche Familie, wie wir sie gegenwärtig kennen. Die heutige bürgerliche Familie, die auf der Herrschaft des Mannes und der Unterbürtigkeit der Frau beruhend in 90 von 100 Fällen nichts ist, als ein durch äußere Zwangsumstände zusammengehaltenes Gemisch von Lüge und Brutalität.

Gewiß, wir sind gegenwärtig Zeuge der Auflösung und Um­gestaltung der Familienform, die wir von unseren Vätern und Vor­vätern überkommen haben. Allein die Sozialdemokratie hat an dem sich vollziehenden Entwicklungsprozeß nicht mehr ursächlichen Antheil als der Forscher, der die Laufbahn eines Kometen berechnet, an dem Erscheinen der Himmelsruthe" zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Die Sozialdemokratie steht der Familie wie jeder anderen sozialen Einrichtung untersuchend und beobachtend gegenüber. Sie sieht in der uns überkommenen Familienform keine göttliche", ,, sittliche" oder natürliche", ewig feststehende Norm. Vielmehr ein soziales Gebilde, das wie jedes andere soziale Gebilde dem geschicht­lichen Werden und Vergehen unterworfen ist, das unter dem Einfluß bestimmter sozialer Thatsachen sich entwickelt und verändert. Und sie findet auch bezüglich des Entwicklungsprozesses, den die Familie durch­macht, daß die wirthschaftlichen Verhältnisse die ursprünglich treiben­den Kräfte sind.

Die fapitalistische Produktionsweise bewirkt die Zersetzung der uns vererbten naturrechtlichen Familie. Die technisch- maschinelle Ent­wicklung des modernen Großbetriebs und die Verelendung des Prole­tariats verursachen, daß Millionen von Frauen ihren Unterhalt als selbständige Berufsarbeiterinnen finden können und suchen müssen. Damit ist für Millionen die Grundlage eines Familienlebens nach der Väter Weise zerstört, der Herd zertrümmert, um welchen sich die Familienglieder sammelten. Die kapitalistische Profitgier trägt das Ihrige dazu bei, den Auflösungsprozeß der Familie zu beschleunigen. Die Statistik über die Zahl der selbständig erwerbenden Frauen ist die illustrirte Geschichte des Verfalls der vaterrechtlichen Familie und des allmäligen Aufbaues einer neuen Familienform, die als sittliche Einheit auf die gegenseitige Liebe und Achtung der Gatten und ihre volle Gleichberechtigung gegründet ist.

auch. Aber der winzigen Anzahl von Reichen und Sehrreichen steht eine breite proletarische Masse gegenüber, die ohne den Besitz der Arbeitsmittel in schwerste wirthschaftliche und damit auch soziale Abhängigkeit von den Eigenthümern der Produktionsmittel geräth. Und während mit der Ergiebigkeit der Produktion der Reichthum der Kapitalistenklasse ins Ungemessene steigt, nimmt auf Seiten der Arbeitskräfte Noth und Unsicherheit der Erwerbsverhältnisse mehr und mehr überhand. Die schon lange andauernde Krise, deren Ende noch gar nicht abzusehen ist, treibt für die wirthschaftlich Schwachen, die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Uebelstände der kapitalistischen  Wirthschaftsweise auf die Spitze. Gerade ihnen macht sie sich natur­gemäß am meisten fühlbar in Gestalt von niedrigem Lohn, von un­günstigeren allgemeinen Arbeitsbedingungen, von gänzlicher oder zeit­weiliger und theilweiser Erwerbslosigkeit. So sind gerade gegenwärtig Beziehung von der Arbeiterschaft im Allgemeinen gilt, das gilt ganz die Verhältnisse der Arbeitskräfte äußerst trübe. Aber was in dieser besonders und in verstärktem Maße von der Lage der weiblichen Arbeitskräfte, die heutzutage eine besonders gedrückte ist.

Die geringere Widerstandsfähigkeit der Arbeiterinnen gegenüber und der Mangel an Organisation geben die Erklärung hierfür. Den den Unterdrückungs- und Ausbeutungsgelüften des Unternehmerthums Herren Kapitalisten sind diese Umstände natürlich hochwillkommen. An Fügsamkeit und Gehorsam gewöhnt, ohne organisirten Zusammen­halt, vom Gesetz ganz ungenügend geschützt: sind die Arbeiterinnen ein treffliches Ausbeutungsobjekt, ihre Kräfte werden rücksichtslos, ja oft geradezu schamlos ausgenutzt. Und da sich das Unternehmer­thum überall in dem Bestreben gleicht, recht hohen ,, Entbehrungslohn" einstreichen zu wollen, so ist auch über die Verhältnisse der Arbeite­rinnen in Stettin  , der größten See- und Handelsstadt Preußens, von nichts Anderem zu berichten, als von langer Arbeitszeit, niedrigen Löhnen( oft noch gekürzt durch willkürliche harte Strafabzüge unter den nichtigsten Vorwänden), schlechter Behandlung u. s. w. Auch in Stettin   steht das Schaffen und Leben der industriell thätigen Frauen und Mädchen im Zeichen des modernen Arbeiterinnenelends.

Man geht kaum fehl, wenn man im Punkte der schlechten Ent­lohnung weiblicher Arbeitskraft alle Industriezweige, welche in Stettin  Frauenarbeit verwenden, über einen Kamm scheert. In keiner Branche ist die Bezahlung eine derartige, daß sie die Mittel bietet für menschen­unserer Zeit. Die in einer Artikelreihe folgenden Angaben über die würdige Lebensverhältnisse, die im Einklang stehen zu der Kultur Arbeitsverhältnisse der Lohnsflavinnen verschiedener Gewerbe wird Lage der Arbeiterinnen der graphischen Gewerbe. dies ziffernmäßig bestätigen. Wir beginnen mit einem Blick auf die

Die segensreiche Thätigkeit des Buchdruckerverbands ist insofern auch einem Theil der Arbeiterinnen des Gewerbes von Vortheil gewesen, als wenigstens den in Buchdruckereien beschäftigten Frauen und Mädchen der Nutzen geregelter Arbeitsverhältnisse zu Gute kommt. Die Arbeiterinnen der Buchbindereien, Steindruckereien und namentlich der Tütenfabriken müssen dagegen unter bedeutend schlech­

In welchem Umfang die kapitalistische Entwicklung im Deutschen Reich recht wacker an der Zersetzung der vaterrechtlichen Familie ar­beitet, in welchem Umfange sie den Umsturz" derselben bewirkt, das erhellt sinnenfälligst aus den Zahlen über die Zunahme der Frauen­arbeit. Nach den Berichten der Fabrikinspektoren für 1893 ist binnen den zwölf Monaten die Zahl der erwachsenen Industriearbeite rinnen um 40187 gestiegen. Und zwar kommen bei diesen Zahlen nur die Arbeiterinnen in Betracht, welche in Fabriken und gleichteren Bedingungen arbeiten als ihre erwähnten Kameraðinnen. stehenden Anlagen beschäftigt waren. Die weiblichen jugend­lichen Arbeiter unter 16 Jahren haben im Berichtsjahr um 2217 zugenommen.

Auf das Warum dieser kolossalen Zunahme weiblicher Arbeits­fräfte wirst eine Bemerkung des Gewerberaths für Posen ein helles Streiflicht. Der Gewerberath theilt nämlich mit, daß die männlichen Arbeiter einer Zigarrenfabrik seines Bezirks in einen sehr ernsten" Ausstand eingetreten seien, weil die Akkordlöhne zu niedrig waren und willkürlich verkürzt wurden, vor Allem aber weil der Prinzipal die Einstellung von billigeren und fügsameren weiblichen Zigarren­machern an Stelle von widerspenstigen männlichen eingeleitet hatte".

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Die Ehe soll durch Juristerei und Büttelei über jede Kritik ge­hoben werden, weil die Machthaber par ordre de moufti die heutige Familie gegen den Umsturz" schützen und als Wall gegen den Um­sturz der herrschenden Gesellschaft erhalten wollen. Der Kapitalis­mus bläst gleichzeitig das Familienleben von Millionen wie ein Karten­haus zusammen und arbeitet in rasendem Tempo an dem Umsturz" der Familie. Unsere Staatsweisen und Staatsgewaltigen amüsiren sich an dem kindischen Spiel, der geschichtlichen Entwicklung gegenüber mit einem großmächtigen Schwert ins Wasser zu schlagen.

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Bur Tage der Arbeiterinnen der graphischen Gewerbe in Stettin  .

Wer heute über die Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen schreiben will, der muß von vornherein darauf gefaßt sein, daß er nicht viel Gutes, dagegen sehr viel Elend zu berichten hat. Die herrschende Wirthschaftsordnung hat zwar Millionäre gezüchtet und Milliardäre

Beschäftigt werden in sämmtlichen einschlägigen Betrieben etwa 250 weibliche Personen. Eine genaue Zahl der in den einzelnen graphischen Berufen beschäftigten Arbeiterinnen läßt sich nicht angeben. In den größeren Anstalten, die sowohl Buchdruckerei wie Buch­binderei und Steindruckerei haben, werden nämlich die Mädchen nach Bedarf von einem zum anderen Fach hinübergeschoben, so daß die Zahl der in den verschiedenen graphischen Branchen thätigen weiblichen Arbeitskräfte stets schwankt. Die Arbeitszeit in den Buch­druckereien ist überwiegend eine 9½stündige, in einigen Betrieben beträgt sie nur 9, in drei Buchdruckereien nur 812 Stunden. Nur selten kommt ein 10stündiger Arbeitstag vor. Die Arbeitszeit fällt meist von 7 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends, hin und wieder von 8-8 oder von 6-6 Uhr. Die Mittagspause ist- 2ſtändig, die Frühstücks- und Vesperpause dauert- Stunde; die Pausen laufen von 12-22 resp. 2 Uhr, von 9-9 resp. 210 und von 4-44 resp. 25 Uhr. Die längere Arbeitszeit geht natürlich auf Kosten der Pausen.

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Was die Lohnverhältnisse anbetrifft, so schaffen die Arbeiterinnen der Buchdruckereien ausnahmslos im Wochenlohn, wogegen in den übrigen Betrieben vielfach in den Tütenklebereien fast ausnahms los die Akkordarbeit im Schwange ist. Der Wochenlohn beträgt in den Buchdruckereien für Bogenfängerinnen 4-5 Mark, Anlegerinnen bekommen 7-9 Mark und Punftirerinnen werden je nach ihrer Tüchtigkeit mit 9-11 Mark entlohnt; eine einzige, im Druck von Werthpapieren besonders geübte Punttirerin erhält 12 Mart. Sonntagsarbeit kommt nirgends vor. Ueberstunden werden nur im Nothfall geschafft und extra bezahlt.

Ungünstiger schon liegen die Verhältnisse in den Stein­