druckereien. Die Arbeitszeit ist hier 9½- 10stündig; Ueberstunden kommen häufiger vor, ohne immer entsprechend entlohnt zu werden. Die Löhne stehen durchweg auf tieferem Niveau als die in den Buchdruckereien. Sie betragen für gewöhnliche Arbeiterinnen pro Woche meist 4 Mark; die Punttirerinnen an den Schnell: pressen bekommen 7-8 Mart. In der größten Stettiner Steindruckerei erhalten die etwa 20 beschäftigten Mädchen pro Woche 3 Mark 50 Pfennig, und wenn sie, was ziemlich oft geschieht, Sonntags Vormittags arbeiten müssen, so bekommen sie dafür 50 Pfennig, so daß also ihr Wochenverdienst auf 4 Mark steigt. Die niederen Löhne dieser Arbeiterinnen werden erklärlich, wenn man hört, daß hier oft Steindruckergehilfen nicht mehr wie 12-15 Mark pro Woche verdienen.
In den Buchbindereien sind die Verhältnisse der Arbeiterinnen nicht besser. Wochenlöhne von 4-6 Mark sind an der Tagesordnung. In einem Geschäft wird im Berechnen gefalzt, und eine tüchtige Falzerin kann hier 9-10 Mart, auch wohl 12 Mark und mehr verdienen, wenn sie stets genug zu thun hat, was durchaus nicht immer der Fall ist. Die Arbeitszeit ist die gewöhnliche. Ueberstunden werden nach Bedarf gegen Bezahlung geschafft.
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Besonders ungünstig sind die Arbeitsbedingungen der in den Tütenfabriken thätigen Frauen und Mädchen. Fast durchgängig ist hier Akkordarbeit üblich. Ein Lehrmädchen verdient wöchentlich 2,50 Mark bis 3 Mart, eine geübte Kleberin 7-9 Mart. Der legtgenannte Verdienst wird jedoch vielfach nur dadurch ermöglicht, daß die Kleberinnen Arbeit mit nach Hause nehmen und dort fertig stellen. In der Folge ist die Arbeitszeit, die nominell die in den anderen Betrieben übliche ist mit denen die Tütenkleberei stets verbunden sind eine weit längere und entzieht sich jeder Kontrolle. Die Lohnhöhe ist mithin für die betreffenden Arbeiterinnen eine geringere, als es den Anschein hat. Bekanntlich ist es ein vielbeliebter Fabrikantenkniff, die dürftigen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der weiblichen Arbeiter durch Mitgeben von Arbeit nach Hause zu umgehen. Dieser Kniff ermöglicht es den„ gesetzliebenden" Herren, die Entlohnung der Arbeit auf einer ungemein niedrigen Stufe zu halten. Auch die Besitzer unserer Tütenfabriken bedienen sich seiner, um durch gründliche Ausbeutung der weiblichen Arbeitstraft ihre Profite zu steigern. Sie haben noch andere Mittelchen zur Hand, um dieses jedem Kapitalisten ehr- und lobesame Ziel zu er reichen. So die Strafabzüge wegen schlechter Arbeit, zu denen gerade bei dem im Akkord geschehenden Tütentleben sehr verführerische Gelegenheit geboten ist, die reichlich ausgenutzt wird. Auch Strafabzüge wegen Zuspätkommen kürzen in den Tütenfabriken sehr häufig den knappen Verdienst der Arbeiterinnen. Gedenkt man dann noch der Beiträge, welche zu den verschiedenen Versicherungskassen entrichtet werden müssen, so ist es angesichts der oben angeführten Löhne wahr, lich kein Wunder, daß manches Mädchen Sonnabends mit einem Verdienst von 1 Mark 70 Pfennig bis 1 Mark 90 Pfennig für eine Arbeit von 60 Stunden nach Hause geht. Wir empfehlen die That sache den Manchestermännern à la Eugen Richter zur Beachtung als flare Illustration der Herrlichkeit des„ freien Arbeitsvertrags", den die„ freie" Arbeiterin eingegangen ist. Aus ihr könnten aber auch die muckerischen Sittlichkeitsvereinler lernen, welche den Zusammenhang zwischen Noth und sittlicher Verwilderung leugnen. Da die Tütenfabriken viel Arbeit ganz außerhalb des Betriebs durch Heimarbeiter bezw. Heimarbeiterinnen anfertigen lassen, so ist eine durchgreifende Verbesserung der Lage der Tütentleberinnen ausgeschlossen, so lange nicht der gesetzliche Arbeiterschutz und die Fabrikinspektion auf die Hausindustrie ausgedehnt wird. In unserer Zeit sozialreformerischer Rückwärtserei fönnten die Aermsten somit bis zum Sankt Nimmerlein warten, wenn nicht der Kampf des organisirten Proletariats der kapitalistischen Gesellschaft trotz alles Sträubens die nothwendigen Reformen abzwingen würde.
Strafen für Zuspätkommen sind übrigens nicht blos in den Tütenfabriken üblich. Sie werden in allen größeren Betrieben erhoben und zwar in einer Höhe von 10-25 Pfennig pro Fall. Während aber die Arbeiterinnen beim Beginn ihres Tagewerks durch strenge Strafen zur Pünktlichkeit„ erzogen" werden, wird die nämliche Pünktlichkeit beim Schluß der täglichen Arbeit seitens der Herren durchaus nicht gern gesehen. Dies ist z. B. zumal in der großen, bereits erwähnten Steindruckerei der Fall, wo überhaupt dem Arbeitspersonal gegenüber ein unteroffiziersmäßiger Ton Mode zu sein scheint.„ Es ist gar nicht nöthig, daß Sie gleich beim Glockenschlag die Thüre in die Hand nehmen", diese und ähnliche Aeußerungen fallen, wenn die Arbeiterinnen ebenso pünktlich von der Arbeit gehen wollen, als sie pünktlich zur Arbeit fommen müssen.
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In Folge der neuen Gewerbeordnungsnovelle hat sich in Stettin die Zahl der im graphischen Gewerbe beschäftigten Arbeiterinnen etwas
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vermindert, hauptsächlich weil den großen Zeitungen die frühere Verwendung von Frauen und Mädchen zur Nachtarbeit unmöglich gemacht wurde. Die gesetzliche Festlegung eines kürzeren Arbeitstags für jugendliche Arbeiter bewirkte außerdem, daß in den graphischen Gewerben die Beschäftigung von Mädchen unter 16 Jahren zurückgegangen ist. Die Arbeitsordnung, Unfallverhütungsvorschriften 2c. hängen in allen einschlägigen Betrieben aus. Dagegen wird vielfach die gesetzliche Bestimmung nicht eingehalten, daß der Arbeitstag der Arbeiterinnen Sonnabends um 5½ Uhr enden muß.
Aus den vorstehenden Angaben kann man einen Schluß ziehen, wie dürftig die Lebenshaltung der betreffenden Arbeiterinnen sein muß, sofern sie zu deren Bestreitung ausschließlich auf den eigenen Erwerb angewiesen sind. Von den Bettellöhnen mancher Tütenkleberinnen abgesehen, steht dem niedrigsten Wochenverdienst von 4 Mark bezw. 3 Mart 50 Pfennig ein Höchstlohn von 12 Mark gegenüber, der obendrein nur in vereinzelten Fällen und unter günstigen Umständen erreicht wird. Der wöchentliche Durchschnittsverdienst der graphischen Arbeiterinnen Stettins stellt sich auf 8 Mark. Aber nur ungefähr der vierte Theil derselben erreicht diesen Durchschnittslohn, ein noch kleinerer Prozentsaz geht mit seinem Verdienst über den Durchschnitt hinaus, und die Mehrzahl der graphischen Arbeiterinnen muß sich mit Löhnen begnügen, die vielfach sehr tief unter 8 Mart sinten. Bekanntlich hat der konservative Professor Kuno Frankenstein das durchschnittliche Existenzminimum einer Arbeiterin pro Woche auf 6 Mark 50 Pfennig berechnet. Von einer großen Zahl der graphischen Arbeiterinnen Stettins gilt somit, was von der Mehrzahl der Arbeiterinnen aller Berufe in und außerhalb ihrer Heimathsstadt gilt: wenn sie nicht in der Familie eine Stüße und einen Rückhalt besitzen, so vermögen sie nur zu existiren auf Kosten ihrer Gesundheit, ihrer Lebenskraft oder vielleicht auch auf Kosten ihrer Jugend, Frische und Tugend. Und das Alles ad majorem dei gloriam, zum größeren Profit des ausbeutenden Kapitals. So will es die kapitalistische Wirthschaftsordnung, und so wird es bleiben, so lange fleißige Arbeit ihren Nacken unter das Joch dieser Ordnung beugen muß. Otto Ohl- Stettin.
Kleine Nachrichten.
Umsturz der Familie in Bayern . Nach den Berichten der Fabriken und gleichgestellten Betrieben beschäftigten Arbeiterinnen im Fabrikinspektoren für das Jahr 1893 ist in Bayern die Zahl der in Berichtsjahr von 50 418( 1892) auf 52 988( 1893) gestiegen, sie hat sich also um 2570 vermehrt. In der angegebenen Zeit nahm die Zahl der Arbeiterinnen im Alter von 16-21 Jahren um 286 zu( 18292 1892-18 578 1893); die Zahl der über 21 Jahre alten Fabrikarbeiterinnen wuchs um 2284( 32 126 1892 34 410 1893). Die von der kapitalistischen Entwicklung gezeitigte Verelendung des Proletariats und Proletarisirung des Mittelstandes reißt überall immer größere Kreise von Frauen aus der Familie, verunmöglicht ihnen das Schalten und Walten am häuslichen Herd und zwingt sie zur selbständigen Berufsarbeit auf industriellem Gebiete.
Das Sparen- auf Kosten fremder Arbeit verstehen die
Herren Schwizmeister aus dem ff. Ein Berliner Schwitzer erhält 3. B. vom Geschäft für das Anfertigen eines sogenannten„ Backfischmantels" 1 Mt. 50 Pfg. bis 1 Mt. 75 Pfg. Seinen Arbeiterinnen
zahlt er für ihr Bischen Mitarbeit" 80 Pfg., für Zuschneiden,
Bügeln und Liefern je 10 Pfg. Summa Summarum hat der Mann an Arbeitslohn eine Ausgabe von 1 Mt. 10 Pfg., so daß ihm an jedem Mantel 46-65 Pfg. Reingewinn bleiben. Der Herr Meister" erarbeitet sich so per Woche ein Durchschnittseinkommen von 180 Mt. und dies ohne auch nur den Finger zu rühren. Seine Arbeiterinnen erfreuen sich eines wöchentlichen Durchschnittsverdienstes von 6-12 Mt., dafür dürfen sie aber auch täglich 15 Stunden und noch mehr schanzen. Welch lichtvolle Illustration des Wortes„ Segen ist der Mühe Preis"!
Für schlechten Lohn mühsamste Arbeit müssen die Näherinnen leisten, welche die jetzt hochmodernen" seidenen Damenhemden anfertigen. Die Brusttheile dieser Hemden sind meist mit den zierlichsten, kunstvollsten Hohlnähten verziert, deren Herstellung bei der glänzenden, weichen Seide eine äußerst schwierige ist. Mit flinker, leichter Hand muß die Näherin die Längsfäden in der Breite der Hohlnähte aus dem Stoffe ziehen, die Querfäden faßt sie dann zu den geschmackvollen durchbrochenen Mustern zusammen. Damit sich der weiche Seidenstoff nicht verzieht, muß er vor der Bearbeitung auf andersfarbiges Seidenpapier aufgeheftet werden. Das Anfertigen der Hohlnähte ist sehr zeitraubend und anstrengend, denn es erfordert die