Der Maitag der Arbeit ist und bleibt troß der friedlichsten Form eine Schilderhebung des klassenbewußten Proletariats, eine dem Wesen nach revolutionäre Kundgebung gegen die kapitalistische Gesellschaft. Eine revolutionäre Kundgebung, welche im schroffsten Gegensatz steht zu der reaktionären Willensäußerung der Besitzenden in der Umsturzvorlage. Denn sie offenbart das geschichtliche Drängen und Knospen im gefnechteten Proletariat, wo diese nur den Verfall der knechtenden Kapitalistenklasse kundthut.
Seiner geschichtlichen Erkenntniß froh, seines festen Willens sicher, hoffnungsfreudig in die Zukunft schauend, mit ruhiger Besonnenheit die Gegenwart abwägend, manifestirt das deutsche Proletariat im Schatten der Knebelungsvorlage. Mögen die herrschenden Gewalten noch so prozig an den Knauf ihres Schwertes schlagen, mag noch so herausfordernd das Pochen der Hämmer tönen, mit denen man der werkthätigen Masse neue Ketten schmieden will. Das deutsche Proletariat läßt sich nicht reizen und nicht schrecken. Mit den Brüdern und Schwestern der Arbeit und des Elends aller Länder durch den Druck gleicher Klassennoth zusammen geschweißt zu der einen revolutionären Macht, steht es am 1. Mai, steht es allezeit auf dem Plan, der kapitalistischen Gesellschaft zum Truß, der Arbeit zum Schutz.
Während die Proletarier aller Nationen sich zur Feier des 1. Mai, der Feier der internationalen Solidarität, vereinigen, rüsten die deutschen „ Patrioten" innerhalb der schwarz- weiß- rothen und der schwarz- gelben Grenzpfähle sich zur Feier des letzten großen Krieges, den Westeuropa gesehen. In diesem Jahre wird es ein Vierteljahr hundert, daß der deutsch - französische Krieg begann, und damit eine Revolution, die das französische Kaiserreich und die päpstliche Herr schaft wegfegte, den Umsturz des deutschen Bundes vollendete und den der europäischen Türkei anbahnte. Es war ein umstürzlerisches Treiben, wie nur je die Weltgeschichte eines gesehen, und es ist eine feine Jronie der Weltgeschichte, daß gerade die Verehrer der großen Umsturzmänner von damals, von Bismarck und Wilhelm, von Victor Emanuel und Alexander II. , allenthalben eifrig dabei sind, das 25- jährige Jubiläum des Umsturzes durch ein Resseltreiben gegen Umstürzler zu feiern. Aber freilich, die Verhältnisse haben sich geändert. Sie sind dahin, die schönen Zeiten, für immer dahin, wo die Umstürzler von oben sich an ihr Werk machen konnten, ohne befürchten zu müssen, durch die Umstürzler von unten dabei gestört zu werden, die Zeiten, wo der Umsturz ein Mittel war, Königreiche auszubauen und Raiserreiche aufzurichten.
Nur in einem Lande trieb der Umsturz von 1870 das Proletariat zu dem Versuch, dessen Früchte für sich einzuheimsen; der Versuch wurde im Blute erstickt, und das Proletariat der ganzen Welt sah zu, zähneknirschend, aber unfähig, die Niederlage abzuwenden.
Wie ganz anders heute! In den 25 Jahren ist das Proletariat zu einem Riesen geworden, vor dem alle alten Mächte zittern; und unaufhörlich wächst es an Zahl, an moralischer, intellektueller und politischer Kraft, indes seine Gegner immer geringer, immer fleiner, immer erbärmlicher werden. Keine große politische Aktion ist mehr möglich, bei der man nicht das Proletariat in Rechnung zu ziehen hätte, keine, die nicht mit einem Fortschritt des Proletariats endigte. Ein Krieg, wie der von 1870, würde heute keine neue Krone mehr schaffen, er würde manche alte in den Staub werfen.
Das wissen die Machthaber, und darin liegt die sicherste Gewähr des europäischen Friedens. Nicht im Dreibund oder Zweibund der Diplomaten ruht sie, nicht in den Friedenskongressen der Parlamentarier, sondern in der Internationale der Lohnarbeiter.
Es giebt keine wirksamere Demonstration zu Gunsten des euro päischen Friedens, als die alljährliche Heerschau des kämpfenden Proletariats, die Feier des 1. Mai. Je erbitterter der Krieg gegen die Ausbeuter aller Nationen, desto gesicherter der Friede der Völker untereinander.
Das bedeutet freilich nicht, daß der Weltfriede nun für immer gesichert ist. Aber sollte es noch einmal zu dem gräßlichen Schauspiel eines Weltkrieges kommen, so erst dann, wenn das Maß der heutigen Ordnung zum Ueberlaufen voll ist, wenn der Wahnsinn des bewaffneten Friedens, der Wahnsinn ständiger Ueberproduktion bei ständiger Hungersnoth der Massen, der Wahnsinn stets wachsender Unsicherheit der Existenz bei stetiger Zunahme der Beherrschung der Natur wenn all dieser Wahnsinn auf eine Höhe gestiegen ist, daß
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selbst der Weltkrieg seine Schrecken für die Machthaber verloren hat. Aber wenn das Proletariat auch weiterhin so rasch an Kraft zunimmt wie bisher, dann wird seine internationale Solidarität bald stark genug sein, den Krieg auch in diesem letzten, äußersten Fall unmöglich zu machen.
In diesem Sinne ist die Bekundung der Solidarität des internationalen Proletariats, die Maifeier, nicht nur ein revolutionäres Fest, sondern auch ein Friedensfest und eine Friedensbürgschaft von bisher unerhörter Kraft und Großartigkeit. Das ist schon längst anerkannt. Aber in dem Jahre, in dem der Mordspatriotismus neu galvanisirt wird, in dem die deutschen Kanonen und Standarten befränzt werden zur festlichen Erinnerung an die Greuel, die sie vor einem Vierteljahrhundert gesehen und gebracht, da ist es wohl Zeit, diese Bedeutung der Maifeier besonders hervorzuheben.
( Aus der Oesterreichischen Mai- Zeitung.)
Arbeiterinnen- Bewegung.
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In der Zeit vom 1. bis 22. April fanden öffentliche Versammlungen statt in: Berlin , öffentliche Volksversammlung:„ Die Bekämpfung der Sozialdemokratie durch die Schule"( Genosse Wagner); öffentliche Versammlung der Müller und Mühlenarbeiter:„ Die Bedeutung des ersten Mai"( Genossin Baader); öffentliche Volkversamm lung:„ Die Umsturzvorlage"( Reichstagsabgeordneter Auer); öffentliche Versammlung der Mantelnäherinnen, Bügler, Stepper 2c.: Die Erwerbsverhältnisse der Arbeiter und Arbeiterinnen der Mäntelbranche" ( Genossin Baader); öffentliche Versammlung aller in der Metallgießerei beschäftigten Personen:„ Die Entartung der Bourgeoisie und die Arbeiterklasse als Trägerin des Kulturfortschritts"( Genosse Litfin); öffentliche Volksversammlung: Wie sorgt der Staat für die Arbeiter" ( Genosse Dr. Weyl); Elberfeld , öffentliche Versammlung für Frauen und Männer:" Die häusliche Erziehung im heutigen Klassenstaat" ( Genosse Schulz); Farmsen , öffentliche Volksversammlung:„ Rechte und Pflichten der Arbeiter"( Genossin Kähler); Frankfurt a. M., öffentliche Versammlung der Textilarbeiter und Arbeiterinnen:„ Die Bedeutung der Organisation für die Arbeiterklasse"( Genosse Brand); Frankfurt a. D., öffentliche Frauenversammlung:„ Auf welcher Grundlage sind Frauenvereine zu gründen und welche Aufgaben haben dieselben?"( Genossin Rohrlack); Lindenau, öffentliche Volksver sammlung:„ Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie" ( Genosse Dr. Röder); Neßschkau i. V., öffentliche Versammlung für Frauen und Männer:„ Gemeinde- und Bürgerrecht"( Genosse Goldstein); Neuwied , öffentliche Volksversammlung:„ Die Umsturzvor lage"( Genosse Deinhardt); Offenbach a. M., öffentliche Volksver sammlung:„ Die politische Situation der Gegenwart"( Reichstags abgeordneter Singer); Ottendorf Okrilla , öffentliche Volksversamm lung:„ Die Entwicklung der Technik und die Proletarierfrauen"( Ge nossin Eichhorn); Regensburg , öffentliche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen:„ Die Hausindustrie und ihre Folgen"( Genosse Mock); Sagan, öffentliche Volksversammlung:„ Die Volksrechte und die Sozialdemokratie"( Reichstagsabgeordneter Kühn); Steglitz , öffent liche Versammlung für Frauen und Männer:" Die Frauenfrage" ( Genossin Mesch); Stettin , öffentliche Versammlung der Schneider und Näherinnen:„ Die Thätigkeit der Lohnkommission"( Genosse Käming).
-Vereinsversammlungen fanden in der nämlichen Zeit statt in: Berlin , Mitgliederversammlung des Verbands der Textilarbeiter und Arbeiterinnen: Wie ist eine lebhafte Werkstattorganisation zu ent falten?"; Verschiedenes; Mitgliederversammlung des Verbands der im Kürschnergewerbe thätigen Arbeiter und Arbeiterinnen:„ Das Ver hältniß der Arbeitsdauer zur Gesundheit des Menschen"( Genosse Dr. Zadek); Mitgliederversammlung des Verbands der in Holz bearbeitungsfabriken und auf Holzplätzen beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Abrechnung, Vorstandswahl; Mitgliederversammlung der Freien Vereinigung aller in der Schuhindustrie beschäftigten Ar beiter und Arbeiterinnen:„ Der eventuelle Uebertritt zur Zentral organisation", der Anschluß an den Verband wurde abgelehnt; Mit gliederversammlung des Verbands der im Buchbindergewerbe und in verwandten Berufen thätigen Arbeiter und Arbeiterinnen: 1.„ Die Urabstimmung", 2.„ Aufnahme einer Statistik über die wirthschaftliche Lage der Arbeiterinnen des Gewerbes"( Genosse Wittrisch); Fried richsberg, Mitgliederversammlung des Arbeiterinnen- Bildungs vereins:„ Die Lebenshaltung des Arbeiterstandes"( Genosse Sailer); Kiel , zwei Mitgliederversammlungen des Bildungsvereins für Frauen und Mädchen: 1.„ Das Mutterrecht"( Genosse Klüß), 2.„ Die orga nische Entwicklung"( Genosse Heinzel); Abrechnung, Wahl von Revi sorinnen. Die Abrechnung ergab einen Kassenbestand von 58,37 Mark. Als Revisorinnen wurden gewählt die Genossinnen Koltemann, Bur