Nr. 18 der ,, Gleichheit" gelangt am 4. September 1895 zur Ausgabe.

willigung der betreffenden Dozenten zugelassen, ohne daß sich irgend welche Mißstände dadurch ergeben hätten. Bezüglich der medizinischen Fakultät sei die Zulassung zu einzelnen Vor­lesungen nicht zu empfehlen. Dagegen komme hier eventuell die Zulassung zum ordnungsmäßigen Studium in Frage, da die Bestimmungen der Gewerbeordnung nach Auffassung der maß­gebenden Reichsbehörden der Zulassung von Frauen zur ärztlichen Approbation nicht entgegenständen. Etwas Ab­schließendes lasse sich weder in dieser noch in anderen Beziehungen sagen, da die auch von dem Herrn Referenten betonte Schwierigkeit der Frage besondere Vorsicht erfordere."

Die Kommission beschloß, dem Abgeordnetenhause zu empfehlen: Die Petitionen II Nr. 281 und 324, soweit sie Zulassung zu einer Reiseprüfung, zum medizinischen Studium, sowie zur Ausübung ärztlicher Praxis an Frauen und Kindern, endlich überhaupt zu Universitätsvorlesungen und Staatsprüfungen betreffen, der König­lichen Staatsregierung zur Erwägung zu überweisen, da­gegen über den Antrag der Petition Cauer auf Einführung eines besonderen Unterrichts in der Gesundheitslehre an Seminarien für Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, namentlich aber Mädchenschulen, zur Tagesordnung überzugehen.

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Eine Gesindeordnung, wie solche in den verschiedenen deutschen ,, Vaterländern" besteht, ist in Württemberg   ein unbekanntes Ding. Die Einstellung und Entlassung von Dienstboten 2c. richtete sich rein nach dem Ortsgebrauch. Ueblich im Allgemeinen waren als sog. Wandertermine" die alten Tage Maria Lichtmeß  "( 2. Februar), ,, Georgii"( 23. April), Margaretha"( 13. Juli) und Martini" ( 11. November). Neuerdings ist nun eine Bewegung dahingehend im Gange, die Wandertermine" mit den Kalenderquartalen" in Ueber­einstimmung zu bringen. Eine Umfrage bei denjenigen Familien Stuttgarts, welche Dienstboten beschäftigen, ergab folgendes Resultat: für die Verlegung der Wandertermine auf die Kalenderquartale stimmten 7219, dagegen stimmten 362 und 466 blieben unentschieden. Die Neuordnung soll mit dem 1. Oktober d. J. in Wirkung treten. Der zugleich von den Interessenten vereinbarte Vertrag ist höchst einfach und hat folgenden Wortlaut:

Dienstboten Vertrag.

Zwischen den Unterzeichneten ist heute folgender Vertrag verein­bart worden: § 1.

( Name des Dienstboten)

tritt am

( Name der Dienstherrschaft)

§ 2.

in Dienst bei

Als Lohn wird pro Jahr bezahlt Mk. und zwar in 1/ 4jährlichen Raten von je Mk.... je auf 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober.

§ 3.

Als Haftgeld wurden dem Dienstboten Mt. § 4.

Gefündigt kann gegenseitig nur werden

am 1. Dezember zum Austritt auf 1. Januar

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1. März

" 1

1. Juni

"

1. September

"

"

"

1. April

"

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1. Juli

1. Oktober

"

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. bezahlt.

Dieser Vertrag ist doppelt ausgefertigt und jedem Betheiligten 1 Exemplar ausgehändigt worden.

Stuttgart  , den

Unterschrift des Dienstboten:

18.

Unterschrift der Dienstherrschaft:

Weibliche Gelehrte. An der Universität Göttingen   hat kürzlich eine Engländerin ,,, die gelehrte Jungfrau Grace Emily Chisholm  aus London  ", wie das Diplom besagt, ihr Examen als Doktor der Philosophie und freien Künste" mit Auszeichnung bestanden. Die Dissertation der Dame behandelte Gruppentheoretisch- algebraische Untersuchungen über sphärische Trigonometrie", mündlich ward sie über Mathematik, Physik und Astronomie geprüft. An der Göttinger  Universität studiren in diesem Sommersemester 14 Damen gegen 5 im letzten Winterhalbjahr. Und Göttingen   steht noch! Deutscher  Philister, verhülle dein Haupt!

Die kapitalistische Profitgier erweitert stetig die Berufs­sphäre der Frau und wirft Männer aus Lohn und Brot. Die Aachener Stadtpost Merkur  " hat fürzlich die männlichen Briefboten entlassen und durch weibliche ersetzt. Die angestellten Briefträgerinnen sind uniformirt worden. Sie tragen schwarze Kleider mit gelben Schleifen, einen schwarzen lackirten Hut mit gelbem Band und um die Schultern eine Ledertasche. Daß ihre Entlohnung geringer als die der Männer ist, versteht sich am Rande.

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Die Verdrängung männlicher Arbeitskräfte durch billigere weibliche wird von dem Unternehmerthum überall praktizirt, wo die Fortschritte der Produktionstechnik dies ermöglichen. So beschäftigt die Druckerei der Dresdener Nachrichten" bei der Herstellung des Blattes an Rastenbeinschen Set- und Ablegemaschinen 22 junge Mädchen. Die Dresdener Nachrichten" und die Besitzer der Druckerei gehören zu den Elementen, die unentwegt"," voll und ganz" den Grundsatz vertheidigen, daß die Frau ausschließlich ins Haus gehöre. Kommt aber der liebe, sakrosankte Profit in Frage, dann Ade Grundsatz, dann heißt es mit dem großen Eugen Richter  : ,, Stellen wir doch Mädchen ein!"

Arbeiterinnenlöhne. Nach einer von Dr. Brickelin im Auf­trage der Regierung aufgenommenen Lohnstatistik verdienen in der Basler Textilindustrie pro Tag und im Durchschnitt: Detoupeusen 2Frcs. 58 Cts., Zettlerinnen 3 Frcs. 4 Cts., Einzieherinnen 3 Frcs. 12 Cts., Spulerinnen 2 Frcs. 30 Cts., Posamenterinnen 4 Fres. 3 Cts., An­dreherinnen 2 Frcs. 34 Cts., Anlegerinnen 2 Frcs. 69 Cts., Bandputze rinnen 1 Frcs. 68 Cts., Tagelöhnerinnen 2 Frcs. 31 Cts. Der niedrigste Verdienst stellt sich demnach auf 1 Fres. 68 Cts.( 1 Mt. 35 Pf.), der höchste auf 4 Fres. 3 Cts.( 3 Mt. 22 Pf.). Wie man sieht, ist der niedrigste Verdienst ein sehr geringer, und der Höchstlohn ist auch noch weit davon entfernt, den Arbeiterinnen ein Schlemmerleben zu ermöglichen. Außerdem bleibt der thatsächliche Verdienst der Arbeiterinnen oft hinter dem Durchschnitt zurück. Dies beweist u. A. der Umstand, daß die Basler Posamenterinnen sich kürzlich an dem zehntägigen Streik betheiligten, der die Einführung des zehnstündigen Arbeitstags und die Festsetzung eines Mindestlohnes von 4 Frcs.( 3 Mt. 20 Pf.) pro Tag für männliche wie weibliche Posamenter bezweckte. Bekanntlich ver mochten die Arbeiter die Verkürzung der Arbeitszeit nicht durchzu setzen, erlangten dagegen die Zusicherung, daß ihnen ein Tagesver dienst von 4 Frcs. ermöglicht werden sollte. Eine Garantie für das Erreichen dieses Tagesverdienstes übernahmen jedoch die Fabri fanten nicht.

Die Gleichberechtigung der Frau im sozialistischen   Lager. Mitte Juli tagte in Paris   ein Rongreß sozialistischer Gemeinde­räthe, der sich mit der Erörterung solcher Reformen befaßte, welche mittels der ziemlich bedeutenden Machtbefugnisse der französischen  Gemeindevertretungen für die einzelnen Kommunen verwirklicht wer den können. Um gegen die politische Rechtlosigkeit der Frauen zu protestiren und die sozialistische Auffassung von der Gleichberechtigung der Geschlechter zum Ausdruck zu bringen, übertrug der Kongreß ein stimmig den Vorsitz der einen Sigung einer Frau, Madame Paule Minck. Madame Paule Minck ist eine bewährte, energische und talentvolle Vorkämpferin des modernen Sozialismus in Frankreich  .

Das Urtheil des englischen Zentralfabrikinspektors über die Thätigkeit weiblicher Fabrikinspektoren. In dem General­bericht des englischen Zentralfabrikinspektors für 1893 sind die ersten halbjährigen Berichte der beiden im Mai des nämlichen Jahres angestellten Fabrikinspektorinnen unverkürzt wiedergegeben. Sie be zeugen die gewissenhafte und segensreiche Thätigkeit der weiblichen Beamten, deren Anstellung der Zentralfabrikinspektor als ein dringen des soziales Bedürfniß bezeichnet. Bisher", so sagt er weiter, hat es für die weibliche Arbeiterschaft, die noch dazu fast durch gängig der Vertretung durch berufliche Vereinigungen entbehrt, an einem Organ gefehlt, das ganz dazu geeignet wäre, ihre spezifischen Bedürfnisse zu verstehen und an geeigneter Stelle zum Ausdruck zu bringen. Um als vermittelndes Glied zu dienen, muß man mit beiden Seiten in Berührung stehen. Aber es wird nur dem weiblichen Beamten möglich sein, die richtige Annäherung und Füh lung mit der Arbeiterin in allen Punkten zu gewinnen, ein Vertrauensverhältniß zwischen Arbeiterin und In­spektion zu schaffen, durch das die Arbeit der letzteren in vielen Beziehungen fruchtbarer werden fann. Soweit es sich nur um Arbeitszeit und Lohnverhältnisse handelt, wird es keinem Inspektor schwer fallen, die nöthige Einsicht zu gewinnen, aber die Rückwirkung der Arbeitsbedingungen auf Gesundheit, Moral und Familienleben der Frau, alles, was die Eigenthümlichkeiten des weiblichen Erwerbslebens aus­macht, wird eine Frau mit tieferem Verständniß zu er fassen wissen." Trotz der Berichte des englischen Fabrikinspektorats, trotz der Berichte der amerikanischen   und französischen   Gewerbe aufsichtsbehörden und zahlreicher anderer Dokumente über das nüß liche Wirken der Fabrikinspektorinnen, weiß man im preußischen Handelsministerium immer noch nicht, ob sich die Einrichtung im Ausland bewährt hat". Die schlimmsten Tauben sind die Leute, welche nicht hören wollen.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart  .

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Druck und Verlag vor J. H. W. Dietz in Stuttgart  .

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