142 , schwellende Menge der industriellen Arbeiterinnen den Organisationen > zuzuführen, d. h. sie kampfesfähig zu machen gegen das ausbeutende Unternehmerthum. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe voll erfaßt zu haben und mit aller Energie an ihre Lösung gegangen zu sein, ist das unbestrittene und große Verdienst der Generalkommission. Es verdient um so rückhaltslosere Anerkennung, als die Kommission bei den Vorarbeiten zur Verwirklichung ihres Planes anfangs auf Seiten mancher Gewerkschaftsorganisationen und zumal mancher Gewerk- schaftskartelle auf große Lauheit stieß und nur geringe Unterstützung fand. Trotz dem nicht ermuthigenden Anfang hielt sie an ihrer Absicht fest und hat im Laufe des ersten Halbjahres 1894 mit Zähigkeit und Thatkraft den größten Theil der diesbezüglichen Hindernisse überwunden. Nachdem sie das Terrain sondirt, die nöthigen Anregungen ertheilt, die erforderlichen Verbindungen hergestellt hatte und einen Ueberblick darüber besaß, in welchen Gegenden, beziehungsweise Orten und für welche Arbeiterinnenkategorien die Agitation am nöthigsten sei, ging sie an die Aufstellung des Aktionsplanes. In sieben großen Bezirken Deutschlands sollte die Agitation gleichzeitig in Angriff genommen werden. Es sind dies die Bezirke: 1. Schlesien (Referentin Genossi» Ihrer); 2. Schlesien und Sachsen (Genossin Blohm); 3. Thü ringen (Genossin Löwenherz); 4. Süddeutschland und Elsaß-Loth ringen (Genossin Steinbach); ö. Rheinprovinz , Hessen und Westfalen (Genossin Schneider); K. Provinz Sachsen , Anhalt und Nordwest deutschland (Genossin Kähler); 7. Pommern , Mecklenburg , Schleswig- Holstein , Hamburg und Mark Brandenburg(Genossin Rohrlack). Im Ganzen waren bis zum Beginn der Agitation l<»S öffentliche Versammlungen festgesetzt, auf die einzelnen Bezirke, beziehungsweise Referentinnen entfallen von 19 bis 26 Versammlunge». Die Arbeit hat auf der ganzen Linie programmgemäß Anfang August begonnen, sie wird eventuell unterbrochen und Ende September und Anfang Oktober zu Ende geführt. Die mögliche Pause wurde vorgesehen mit Rücksicht auf die Reserentinnen und mit Rücksicht darauf, daß in den kleineren Orten die industriell thätigen Frauen und Mädchen während der Erntezeit vielfach auch mit land- wirthschaftlichen, beziehungsweise Gartenarbeilen beschäftigt sind. In allen Agitationsversammlungen referiren, wie aus den vorstehenden Angaben ersichtlich, Genossinnen, da man der unseres Erachtens richtigen Ansicht war, daß Frauen besser den Ton finden, wie zu den Frauen gesprochen werden muß, um sie über ihre Interessen aufzuklären. Damit möglichst viel Arbeiterinnen von der Agitation erfaßt werden, hat die Generalkommission ein zweckentsprechendes Flugblatt herausgegeben, das in Fabriken und Werkstätten verbreitet wird, auf die Versammlungen aufmerksam macht und zu ihrem Besuch auffordert. Den Gewerkschaftsorganisationen der einzelnen Orte hat die Generalkommission die Vorbereitungsarbeiten so viel als thunlich erleichtert. So verschickte sie z. B. vorgedruckte Listen, in denen die Gewerkschaften, welche eine Agitation unter den Arbeiterinnen des Ortes für nöthig erachteten, dessen Namen anzugeben hatten, ferner die Zahl der gewünschten Flugblätter und den Namen und die Adresse des Einberufers der Versammlung. Zu bemerken war, ob eine allgemeine oder eine Branchenversammlung und ob diese Sonntags oder Wochentags stattfinden sollte. Nach der Zusammenstellung der Agitationstour eines Bezirks setzten sich die Referentinnen mit den Einberufern, beziehungsweise den Organisationen direkt ins Einvernehmen bezüglich der Festsetzung des Datums der Versammlung und anderer Einzelheiten. Auch den Referentinnen stellte die Generalkommission für ihren Verkehr mit den Gewerkschaften gedruckte Formulare zur Verfügung. Welche Masse oder richtiger Unmasse von Korrespondenzen und Vorarbeiten verschiedener Art die Generalkommission zu bewältigen hatte, um die Agitation in Fluß zu bringen, erhellt wohl zur Genüge aus diesen Angaben. Soweit uns bekannt, hat bisher die Agitation allerorts einen befriedigenden Verlauf genommen. Nur in Bayern wurden, wie wir an anderer Stelle mittheilen, der Genossin Steinbach sämmtliche Versammlungen verboten. Natürlich unter der gewöhnlichen freisinnigen „Begründung", daß es sich um politische Vereinsversammlungen des politischen Vereins„Sozialdemokratie" gehandelt habe. Die Verbote haben für den Kenner bajuvarischer Polizeigepflogenheiten nichts Ueberraschendes, sie werden sicher unseren Genossen im bayerischen Landtag Gelegenheit geben, die schwere Beeinträchtigung des Koalitionsrechts der Arbeiterinnen gebührend zu brandmarken. Daß die stattfindende Agitation ihre Früchte tragen wird, ist außer Zweifel. Wenn auch nicht gleich, so doch sicher allmälig. Die Ausklärung, welche sie den Arbeiterinnen über ihre Lage gebracht hat, wird weiter leuchten; die Anregung, welche sie ihnen gab, sich durch die Macht der Organisation ihrer Haut zu wehren, wird weitere und weitere Kreise ziehen. Nicht Entmuthigung darf uns beschleichen, wenn der ausgestreute Samen nur langsam in die Halme schießt, nur mählich reift. Wir dürfen eben nicht außer Acht lassen, daß die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinne» auf besondere Schwierigkeiten stößt, welche zum Theil begründet sind in der sozialen Stellung und in der Eigenart der Frau, zum Theil auch in ihren Arbeitsbedingungen und>at>t not Isast in der Lässigkeit, mit welcher viele Männer, gute Gewerkschaftler, gute Parteigenossen, das Werk der Aufklärung ihrer Kameradinnen betreiben. Thöricht wäre es, diese Schwierigkeiten zu leugnen, aber genau ebenso thöricht, ihretwegen den Nutzen und den Erfolg der Agitation unter den Arbeiterinnen bestreiten zu wollen. Hoffentlich öffnet die begonnene Agitation vielen Tausenden von Arbeiterinnen die Augen über die Nothwendigkeit der Organisation, hoffentlich macht sie auch vielen Männern klar, wie arbeiterfeindlich es ist, nicht mit allen Kräften die gewerkschaftliche Zusammenfassung konzertsängerinnen gekleidet waren, sie eilig bedienten und sich dann zu ihnen setzten. Nachdem sie eingetreten waren, hatte jeder der Männer sich eine Gefährtin gewählt, welche er den ganzen Abend über behielt, denn der gemeine Mann liebt die Veränderung nicht. Drei Tische waren zusammengerückt worden, und nach dem ersten Glase begab sich der ganze Troß die Treppe hinauf. Auf den hölzernen Stiegen hallten die Tritte jedes Paares noch nach, als sich der Zug durch die enge Thür drängte, die zu den Kammern führte. Man stieg dann wieder hinunter, um zu trinken, ging von neuem die Treppe hinauf und kam dann nochmals herunter. Jetzt schrieen die Männer halb berauscht aus vollem Halse. Jeder von ihnen saß mit rothunterlaufenen Augen da, hielt seine Auserkorene auf dem Schooß, sang, brüllte und schlug mit der Faust auf den Tisch, goß den Wein hinunter und ließ der menschlichen Bestie freien Lauf. Mitten unter ihnen saß auch Cölestin Duclos und preßte ein großes, rothwangiges Mädchen an sich, das er mit glühenden Blicken betrachtete. Weniger berauscht als die anderen, obgleich er nicht weniger getrunken hatte als sie, war er in seiner Art zärtlich und versuchte ein Gespräch mit dem Mädchen anzuknüpfen. Die Gedanken ließen ihn dabei hin und wieder im Stich, gingen, kamen wieder und verschwanden, ohne daß er sich gerade auf das, was er sagen wollte, besinnen konnte. Er lachte und wiederholte:„Also, also... Du bist� schon lange hier?..." „Sechs Monate", antwortete das Mädchen. Er betrachtete sie mit wohlwollender Miene, wie wenn dies ein Beweis für ihre gute Führung gewesen wäre, und begann von neuem: „Gefällt Dir dieses Leben?" Sie zögerte erst, dann sagte sie resignirt:„Man gewöhnt sich daran. Es ist nicht gemeiner als irgend etwas anderes. Ob man Dienstmädchen oder so Eine ist, es ist eines so schmutzig wie das andere." Er schien auch diese Wahrheit zu billigen. „Du bist nicht von hier?" sagte er. Sie verneinte durch ein Kopfschütteln, ohne sonst zu antworten. „Bist Du weit her?" Sie bejahte auf dieselbe Art. „Woher denn?" Sie schien ihre Erinnerungen wieder zusammenzusuchen, dann murmelte sie:„Aus Perpignan ." Er schien wieder sehr befriedigt und sagte:„Ah so!" Nun fragte sie ihn:„Und Du, Du bist Seemann?" „Gewiß, mein schönes Kind." „Du kommst weit her?" „O je! Ich habe viele Länder, Häfen und alles gesehen." „Du hast vielleicht gar die Reise um die Welt gemacht?" „Das will ich meinen, mehr wie ein Mal." Von neuem schien sie zu zögern, in ihren Gedanken etwas Vergessenes zu suchen, dann sagte sie mit etivas veränderter, ernsterer Stimme:„Du bist auf Deinen Fahrten auch vielen Fahrzeugen begegnet?" „Das will ich meinen, meine Schöne." „Hast Du vielleicht zufällig Notre-Dame-des-Monts gesehen." Er lachte auf:„Erst vorige Woche." Sie erblaßte, alles Blut wich ihr aus den Wangen, als sie fragte: „Gewiß und wahrhaftig?" „So wahr, wie ich hier mit Dir spreche." „Du lügst nicht?" Er erhob die Hand. „Beim lieben Gott!" sagte er. (Schluß folgt.)
Ausgabe
5 (4.9.1895) 18
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