der Arbeiterinnen zu fordern. Das eine thut so noth als das andere. Gewiß tritt die sozialistische Arbeiterbewegung als Ganzes rückhaltslos und energisch dafür ein, daß sich die proletarischen Frauen auf der ganzen Linie am Klassenkampf betheiligen. Nichtsdestoweniger läßt es der einzelne Gewerkschaftler, der einzelne Genosse sehr oft an ernsten Bemühungen fehlen, der Erkenntniß entsprechend zu handeln. Wenn jeder klaffenbewußte Arbeiter in Zukunft in dieser Hinsicht das rechte Verständniß, den rechten Eifer bethätigt, wird die gewerk­schaftliche Organisation der Lohnfklavinnen erfreuliche Fortschritte machen, ist die Zeit nicht fern, wo sie als Glieder der Gewerkschaften mit ihren Kameraden zusammen für bessere Arbeitsbedingungen erfolg­reich zu kämpfen vermögen.

Bur Lage der Geraer Textilarbeiterinnen.

Schon von weitem kündet sich Gera als Fabrikstadt an. Hoch ragen Schlote neben Schloten über die Häuser empor, dicke Rauch­säulen in die Luft sendend, die meist dick und trübe über der Stadt lagert. Streift man durch diese selbst und durch ihre nächste Um­gebung, so stößt man auf zahlreiche Gebäude, die gleich äußerlich als Fabrikfasernen erkenntlich sind. Geraer Webwaaren sind in ganz Deutschland wie im Auslande wohl bekannt.

Wie überall in der Textilindustrie so spielt auch in der Geraer Weberei die Frauenarbeit eine hervorragende Rolle. Will man sich davon de visu überzeugen, so braucht man nur gegen Feierabend in einer Straße Posto zu fassen, durch welche die Arbeiterschaft mehrerer Fabriken dem ärmlichen Heim zueilt. Verhältnißmäßig flein nur ist die Zahl der vorübergehenden Männer, schaarenweise dagegen ent­strömen den Fabriken Frauen und Mädchen, welche nach Hause hasten oder sich von dem Arbeiterzug" dem oft sehr entfernten Wohnort zuführen lassen. Das Bild, das man dann von der Ausdehnung der Frauenarbeit erhält, läßt die Versicherung als durchaus glaubhaft erscheinen, daß gegenwärtig in Gera viele Männer arbeitslos daheim­hocken, während ihre Frauen und Töchter in der Fabrik schaffen und den Lebensunterhalt der Familie verdienen.

Hauptsächlich sind es Cachemirstoffe und in neuester Zeit Stoffe für Herrenanzüge, welche in Gera fabrizirt werden. Zweierlei Web­stühle sind in Gebrauch, die sogenannten Schaufelmaschinen und die Jacquardstühle. Das Stück Stoff mißt meist 104 Meter, die Anzahl der Kettenfäden beträgt 3840, auf den Meter Stoff entfallen 42 Schuß oder Touren. Mittels der Schaufelmaschine kann die Arbeiterin, dafern alles gut geht, und kein Zwischenfall ihr Schaffen stört, in einem Tage 14 Meter weben. Um die 104 Meter eines Stückes fertig zu stellen, muß sie also 71/2 Tage arbeiten. Dazu kommt aber sehr oft noch ein weiterer halber oder ganzer Tag, der mit dem Anknüpfen zerrissener Fäden verloren geht, so daß im Durchschnitt 8-81/ 2 Tage Arbeitszeit auf das Weben eines Stückes gerechnet wird. Der Jac­quardstuhl geht etwas langsamer, arbeitet dafür aber glatter und schöner. Die Arbeiterin webt an ihm täglich 12-13 Meter, also in etwa 8-9 Tagen ein Stück Stoff von der angegebenen Länge. Der Ar­beitslohn dafür beträgt 12 Mt. Nimmt man an, daß die Arbeiterin durchschnittlich in 8 Arbeitstagen die 104 Meter webt, so ergiebt sich dafür ein täglicher Verdienst von 1,50 Mt. oder ein Wochenverdienst von 9 Mt. Da jedoch in Zeiten guten Geschäftsganges jede Arbeiterin gleichzeitig zwei Stühle bedient, so beträgt ihr Verdienst das Doppelte: 18 Mt. pro Woche, 3 Mt. pro Tag. Dieses Einkommen erscheint als verhältnißmäßig hoch im Vergleich zu den Bettelpfennigen, welche die Arbeiterinnen der Konfektionsbranche, Wäsche- und Kravatten­fabrikation und vieler anderen Erwerbszweige nach Hause tragen. Aber leider wird der verhältnißmäßig gute Verdienst nicht immer und nicht von der Mehrzahl der Geraer Weberinnen erreicht. Bei flauem Geschäftsgange arbeiten sie nur an einem Stuhl und müssen oft mehrere Tage in der Woche aussetzen, nicht selten kommt es dann vor, daß Arbeiterinnen sich mit einem Wochenverdienst von 5 und 7 Mt. begnügen müssen. Dazu kommt noch, daß jederzeit Straf­gelder für Zuspätkommen und Abzüge für etwa schadhafte Stellen im Gewebe den sauer erarbeiteten Lohn oft um ein Beträchtliches türzen. So wurden kürzlich einer Arbeiterin von dem 30 Mt. be­tragenden Verdienst für das Weben eines Doppelstücks Cachemir nicht weniger als 15 Mt. für Verzug"( fehlerhafte Schußlage) abgezogen. Wohl liegt bei derartigen Fehlern ein Versehen der Arbeiterin bezw. des Arbeiters vor. Aber man bedenke, was es heißt, 10-11 Stunden täglich mit gespannter Aufmerksamkeit zwei Stühle bedienen zu müssen, deren Schüßen mit unheimlicher Geschwindigkeit hin- und herfliegen, während rings alles schwirrt, summt, flappert, der Fußboden zittert, und die von den Ausathmungen vieler Menschen verdorbene Luft, die von Myriaden feinster Woll- und Baumwollfäserchen durchsetzt ist, schwer und drückend den Raum erfüllt. Wollte man längere Zeit

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hindurch feststellen, zu welcher Tageszeit die meisten Fehler vor­fommen, so würde sich unseres Erachtens wohl ergeben, daß dies in den letzten Arbeitsstunden der Fall ist, wo die Aufmerksamkeit der Weberinnen natürlich genug nachläßt. Eine Verkürzung der Arbeits­zeit würde sich auch nach der Richtung hin als vortheilhaft erweisen. Die oben angegebenen Löhne für Weberinnen erscheinen übrigens den Geraer Fabrikanten unter denen sich nicht wenige vielfache Millionäre befinden als bei Weitem zu hoch. Allerdings wagen sie keine direkten Lohnherabsetzungen, weil die Geraer Arbeiterschaft bewiesen hat, daß sie gegebenen Falles treu zusammensteht. Dafür benüßen sie einen anderen Ausweg, um ihren ungemessenen Mehr werthhunger zu befriedigen. Viele Geraer Fabrikanten schicken Ketten und Garne in das benachbarte sächsische Voigtland, wo das Weben zu den billigsten Preisen geschieht. Hier hat sich nämlich in manchen Gegenden eine Art Schwitzsystem für die Weberei entwickelt. Kleine Kapitalisten miethen Webstühle, über­nehmen das Weben für die Fabrikanten zu sehr niedrigen Akkord­preisen und stellen dann Arbeitskräfte ein, die sie, da sie selbst dabei profitiren wollen, entsprechend niedrig, um nicht zu sagen hunds­mäßig entlohnen. Meist sind es die Frauen von Landarbeitern oder sogenannten Häuslern ", welche von den Zwischenmeistern beschäftigt werden. Sie kommen oft stundenweit zur Arbeit und verdienen pro Woche 4-5 Mt.

Freilich ist es den Herren Fabrikanten nicht möglich, für alle Beschäftigungsarten rückständige, an die niedrigste Lebenshaltung gewöhnte Arbeiterinnen als Lohndrückerinnen ausspielen zu können. In den mechanischen Webereien bedarf man auch intelligenter Hände", der Nopperinnen", welche die Fehler im Gewebe auszubessern haben. Wenn es hier dicke Stellen, Webefäden, abweichende Farben giebt, so muß die Nopperin die fehlerhaften Fäden entfernen und gute ein­ziehen. Nur sehr intelligente Frauen und Mädchen können zu dieser Arbeit verwendet werden, die große Geschicklichkeit und peinliche Genauigkeit erfordert, denn die ausgebesserte Stelle darf nicht entdeckt werden, auch wenn man den Stoff gegen das Licht hält. Die Noppe­rinnen müssen flinke, leichte Finger und ein geübtes, sicheres Auge besitzen. Bei flottem Geschäftsgange verdienen sie 20-25 mit. pro Woche. Lange jedoch halten sie die Arbeit nicht aus: sie greift die Augen ungemein an und stumpft die feinen Nerven der Finger ab. In Folge der schnellen Abnutzung und der Seltenheit geeigneter Kräfte werden Nopperinnen fortwährend gesucht. Von ihrer Kunstfertigkeit hängt es zum Theil mit ab, ob für die Stoffe ein besserer oder niedrigerer Preis gezahlt wird. Wenn diese Arbeiterinnen ihrer Macht und ihrer Interessen bewußt wären und einheitlich handeln wollten, so würden sie wohl im Stande sein, eine Verbesserung ihrer Lage durch zusetzen, zu erreichen, daß z. B. an Stelle der aufreibenden Akkord­arbeit gut entlohnte Zeitarbeit bei mäßigem Arbeitstage träte. Leider aber sind gerade die Nopperinnen noch vielfach mit Rastendünkel behaftet, halten sich für etwas Besseres als die übrigen Arbeiterinnen der Webereien und bleiben der Organisation fern.

Die Geraer Tertilarbeiterinnen leiden, wie ihre Kolleginnen allerorten, in der Regel an Nervosität und Blutarmuth und ihren Begleiterscheinungen. Kein Wunder für den, der ihre Arbeits­bedingungen und Lebensweise kennt. Tagaus, tagein schaffen sie in Räumen, wo meist zu wenig und noch obendrein verdorbene Luft vorhanden ist, und in denen geeignete Ventilationseinrichtungen durch Abwesenheit zu glänzen pflegen. Es kommt auch vor, daß die Säle dieser oder jener Fabrik durch die Ausdünstungen schlecht angelegter Aborte geradezu verpestet werden. Rings um die Weberin Geräusche verschiedener Art, rings um sie alles Leben und Bewegung bis zu dem Fußboden, der beständig zittert und schwankt. Ihre gespannte Aufmerksamkeit muß sie zwischen den beiden Stühlen theilen, welche ihrer Bedienung anvertraut sind. Da bleibt eine Zerrüttung der Nerven und Blutarmuth nicht aus, und dies um so weniger, als ihr Einkommen im Allgemeinen keineswegs eine den Arbeitsleistungen entsprechende Lebensweise gestattet. Man darf eben nicht außer Acht lassen, daß der oben angegebene Lohn nicht immer und auch nicht von allen Arbeiterinnen der Webereien erreicht wird. Diese müssen mit Zeiten rechnen, wo sie nur die Hälfte, ein Drittel des möglichen Verdienstes erwerben oder auch gar nichts. So steht ihr Jahres­einkommen nicht blos viel niedriger, als es den Anschein hat, sondern die Arbeiterinnen verlieren in der Folge des unregelmäßigen Ver­dienstes auch vielfach die Fähigkeit, regelmäßig zu wirthschaften und ihr Geld einzutheilen. In Zeiten schlechten Geschäftsganges hungern sie, tritt ein Aufschwung ein, so leben sie etwas besser und veraus­gaben wohl auch hin und wieder manchen Groschen für äußerlichen Tand, der besser für nahrhafte Kost oder ein gutes Buch aufgewendet würde. Nur zopfige Philistermoral wird diesetwegen sittlich entrüstet von der sträflichen Leichtlebigkeit" der Weberinnen als Ursache ihrer