Nr. 20 der ,, Gleichheit" gelangt am 2. Oktober 1895 zur Ausgabe.

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allgemeinen Menschenrechte. Und das nennt sich Demokratie!

Weibliche Gesundheitsinspektoren in England. Zur Unter­suchung und Beaufsichtigung der hygienischen Einrichtung der Werk­stätten und Arbeitsräume wurden, wie seinerzeit die Gleichheit" mittheilte, in Kensington  ( London  ) zwei weibliche Inspektoren versuchsweise angestellt. Der Bericht des vorgesetzten Medizinal­beamten stellt fest, daß die Amtsthätigkeit der beiden Damen eine vorzügliche gewesen ist. Die weiblichen Inspektoren haben die Werk­stätten und Arbeitsräume ihres Distrikts wieder und wieder besichtigt und dabei eine große Menge der verschiedenartigsten Mängel entdeckt, wie schlechte Beleuchtung, ungenügende Ventilation, Ueberfüllung 2c. Mit großer Energie sind sie für Abstellung der Mißstände eingetreten. Vielfach haben sie auch nicht angemeldete Arbeitsstätten ermittelt und veranlaßt, daß hier vorschriftsmäßige Einrichtungen und Verhältnisse geschaffen wurden. Ueberall sind sie in gerechter und gerechtfertigter Weise vorgegangen und haben sich auch durch klugen und praktischen Blick bewährt. Der Bericht der Behörde schließt mit einer ausdrück­lichen Anerkennung der Amtsthätigkeit beider weiblicher Gesundheits­inspektoren.

erschienen ist. Betreffs des Gesundheitszustandes der weiblichen| bürgerlichen Parteien Deutschlands   stehen die Frauen außerhalb der Hilfsarbeiter hat Dr. Heimann gefunden, daß Erkrankung der Geschlechtsorgane und Bleichsucht in erschreckendem Maße vorherrschen. Man findet hier( unter den Hilfsarbeiterinnen) überaus häufig die elenden, ausgemergelten Gestalten mit blassem, magerem Gesicht, die leider einen so großen Theil der weiblichen Fabrikbevölkerung bilden und deren Anblick jedem Menschenfreund ins Herz schneidet", heißt es mit Bezug hierauf in dem beregten Ar­tikel. Derselbe konstatirt weiter, daß im Jahre 1894 von 2000 Ar­beiterinnen bei 112 die Entbindung am normalen Ende der Schwanger­schaft eintrat, während in 20 Fällen, also fast bei 18 Prozent, Früh­geburten erfolgten. Dr. Heimann erklärt außerdem, daß die Hilfs­arbeiterinnen im Großen und Ganzen von den Berufskrankheiten der Arbeiterschaft des eigentlichen Buchdruckerberufs im gleichen Verhält­nisse wie die Arbeiter erfaßt werden. Was das bedeutet, dafür einige Angaben. Gestützt auf ein 37jähriges Material fonstatirt Dr. Hei­mann, daß auf 100 Sterbefälle von Buchdruckern 60,05 Prozent kommen, in denen als Todesursache Krankheiten der Athmungsorgane ermittelt sind. Davon entfallen auf Kehlkopf- und Lungen­schwindsucht 49,08 Fälle. In den Jahren 1890-92 famen auf die Berliner   Bevölkerung von 100 Todesfällen 32,79 Prozent, bei denen Schwindsucht die Todesursache war. Nachweislich war jedoch bei den Buchdruckern in 45,45 Fällen diese Krankheit die Todesursache. Die Sterblichkeit der Berliner   Buchdrucker nähert sich nach Dr. Heimann bedenklich der berüchtigten hohen Sterblichkeit der Solinger   Schleifer. Die angegebenen Zahlen schreien nach einem gründlichen und durch­greifenden gesetzlichen Arbeiterschutz, welcher die verbrecherische Aus­beutung proletarischer Arbeitskraft in gewisse Schranken weist.

Hungerlöhne zahlt das Konfettionsgeschäft von Seifert in Leipzig   offenbar ihren Arbeiterinnen. Eine Näherin erhielt für das Anfertigen von 3 Blousen ganze 75 Pf., von denen sie noch die Auslagen für Nähfaden bestreiten mußte. Als sie nach 1/ 2tägiger Arbeit ihren Schlemmerlohn" in Empfang nehmen wollte, mußte sie von Nachmittags 3-7 Uhr vergebens warten und wurde dann schließlich mit der Bemerkung fortgeschickt, es sei heute nichts zu thun, sie solle Samstag wiederkommen. Am Samstag mußte sie wieder mit leeren Händen abziehen, weil sie ihren Wohnungsschein vergessen hatte. Erst am Montag erhielt sie ihren Verdienst aus­gezahlt. Für Tage Arbeit, fünfmaligen Weg und Wartezeit wurden ihr, wie mitgetheilt, 75 Pf. ausgezahlt, d. h. sie hatte pro Stunde 2-3 Pf. verdient. Wenn bei solchem Verdienst die ledige, alleinstehende Arbeiterin zur Dirne wird, ist es ebensowenig wunder­bar, als wenn der kapitalistische Unternehmer auf der Leiter der­artiger Löhne zum Millionär und Kommerzienrath emporklimmt.

Eine Verdrängung der männlichen Arbeitskräfte durch weibliche hat in der Dresdener   Zigarettenfabrikation stattgefunden. In ihr sind über 2000 Frauen und Mädchen beschäftigt und nur 130 Männer. In den verschiedenen Betrieben werden jährlich gegen vier Millionen Zigaretten fabrizirt. Der meist jämmerliche Verdienst der Zigarettenarbeiterinnen ist bekannt. Wochenlöhne von 5 und 6 Mt. sind keine Seltenheit, dafern die Frauen und Mädchen nicht als Heim­arbeiterinnen oder nach Feierabend in der Fabrik durch Mit- zu- Hause nehmen von Arbeit ihre Schaffenszeit ungemessen ausdehnen.

Das Streben der Frau nach höherer Bildung wird unter anderem illustrirt durch die steigende Betheiligung von Damen an den wissenschaftlichen Ferienkursen, welche von Professoren verschiedener Universitäten organisirt werden. So waren z. B. von den diesjährigen 86 Ferienkursisten in Jena   26 Damen. Auch in Deutschland   macht die Bildungsbewegung der Frauen langsame Fort­schritte. Aber diese Fortschritte kommen von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen nur den Frauen und Töchtern der Besitzen den zu gute. So lange die kapitalistische Gesellschaft besteht, muß die proletarische Frauenwelt abseits von den Bildungsquellen stehen, wie bedeutend sich die Bildungssphäre des weiblichen Geschlechts auch erweitere.

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Gleichberechtigung der Geschlechter im sozialdemokratischen Lager. Wie das letzte Landtagswahlprogramm der Württembergischen Sozialdemokraten, so enthält auch das kürzlich veröffentlichte sozial demokratische Landtagswahlprogramm für Baden die Forderung: Wahlberechtigung für jeden über 20 Jahre alten Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts." Diese Forderung ist eine selbstverständ­liche im Programm von Sozialdemokraten, und wir würden ihrer gar nicht erwähnen, wenn sie nicht in sehr beredtem Gegensatz stünde zu dem kürzlich veröffentlichten neuen Programm der süddeutschen Volkspartei. Diese erklärt sich darin mit viel schönen Phrasen für eine Partei der gleichen Rechte Aller, fordert aber mit keiner Silbe gleiche Rechte für das weibliche Geschlecht. Für sie, wie für alle

Frauenarbeit und Kindersterblichkeit. Die Vereinigung englischer Aerzte hat fürzlich wieder die Aufmerksamkeit der Re­gierung auf die steigende Kindersterblichkeit gelenkt und sie als Folge der Fabrikarbeit der Mütter bezeichnet. Im Norden der Grafschaft Staffordshire, wo viele verheirathete Arbeiterinnen in den Töpfereien beschäftigt sind, ist, wie angeführt wurde, die Kinder­sterblichkeit viel größer als im Süden der Grafschaft, wo die Eisen­industrie vorherrscht, in welcher weniger Frauen beschäftigt sind. Der Vorsitzende der Vereinigung der Aerzte, Dr. Read  , erklärte, die Fabrik­arbeit führe zur Steigerung der Kindersterblichkeit, weil die außer dem Hause beschäftigten Mütter gezwungen seien, ihre Kleinen künst­lich zu ernähren. Zum Gedeihen der Kinder sei nothwendig, daß sie mindestens in den drei ersten Lebensmonaten möglichst von der Mutter genährt oder wenigstens von ihr gepflegt würden. Da sich die Ver­einigung von Aerzten mit ihrer Ansicht auf sehr eingehende ein­schlägige Untersuchungen in 101 Fabrikstädten mit Mil­lionen Einwohner stützt, fordert sie das gesetzliche Verbot der Fabrikarbeit für Mütter in den drei ersten Monaten nach ihrer Niederkunft. Die Regierung antwortete, daß die Kindersterblichkeit nicht blos in Fabrikstädten, sondern im Allgemeinen zunehme; z. B. sei sie in Hull  , keiner Fabrikstadt, seit 1865 von 128 per Tausend auf 206 im Jahre 1893 gestiegen. Auch sei das Verbot der Fabrikarbeit für junge Mütter schwer durchführbar, da sie oft genug den Hausstand miterhalten müßten. Die erzwungene Arbeits­losigkeit der Frau, die das Einkommen bedeutend schmälern würde, müßte wieder die Ernährung der Mutter verschlechtern und käme dann den Kindern nicht zu gute. Ferner würde die Wiederbeschäfti­gung der Frau nach dreimonatlicher Pause mannigfache Schwierig feiten zeitigen, ja schließlich zu einer Verschiebung, beziehungsweise Verdrängung der Frauenarbeit in den Fabriken führen." Der Ver­treter der englischen   Regierung hat als Kapitalist vom reinsten Wasser gesprochen. Die schonungslose, oft bis zum Verbrecherischen gesteigerte Ausbeutung der Frauenarbeit ist eines der vornehmsten Mittel, den fapitalistischen Profithunger zu befriedigen. Schlimmer als Tempel­schändung erscheint den Unternehmern daher jede Forderung, jedes Bestreben, der kapitalistischen   Auspressung der Frauen gesetzliche Grenzen zu ziehen. Aerzte erbringen den Nachweis, daß die Wöch­nerinnenarbeit mörderische Folgen für die proletarischen Kinder zeitigt. Was thut's? Diesen Folgen darf fein Einhalt geboten werden, weil dies nur auf Kosten des Mehrwerths der Kapitalisten geschehen könnte. Von der Rücksicht auf die Mehreinnahme der Arbeiterfamilie spricht man, aber den Mehrprofit hervorragender Industrieller" meint man. Auf daß dem Verbrechen nicht die Heuchelei fehle!

Als Sanitätsinspektorin wurde eine Aerztin, Dr. Emma Johnson Lukas, in Peoria  ( Illinois  ) erwählt. Ihre männlichen Kol­legen haben sehr warm ihre Wahl befürwortet. In Deutschland  sträubt sich bekanntlich ein großer Theil der Aerzte und Gelehrten noch immer mit Händen und Füßen gegen das medizinische Studium und die ärztliche Praxis der Frauen. Der deutsche Denker" steht im Zeichen der Konkurrenzfurcht und stark baumelt ihm der Zopf des spießerhaften Vorurtheils im Nacken..

Quittung.

Zu Agitationszwecken 20 Mt. von den Genossinnen in Forst i. S. erhalten zu haben, bescheinigt dankend Berlin  .

Ottilie Gerndt, Vertrauensperson.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart  .. Druck und Verlag vor J. H. W. Dieg in Stuttgart  .