wohl auch nur 1 Mt. oder 90 Pfg. Wollene Damenhemden werden in gleicher Weise bezahlt, wollene Damenbeinkleider sogar nur mit 80 Pfg., sehr gute mit 1 Mt. 75 Pfg. Sporthemden, die ebenso genau wie Oberhemden gearbeitet sein müssen, schwanken zwischen 1 Mt. 75 Pfg. und 2 Mt. 40 Pfg. Bedenkt man nun, daß die Näherin von all diesen Sachen wohl kaum ein Dutzend am Tage fertig stellen kann, so kann man sich ein ungefähres Bild von ihren Einfünften machen.... Ebenso schlecht, oder noch schlechter stehen sich die„ Handarbeiterinnen". Für das Dußend ganz feine OberhemdenKnopflöcher giebt es 25 Pfg., wobei noch das beste Garn genommen werden muß.„ Verperlerinnen" bekommen für das Vernähen von einem Bündchen Perlen 20 Pfg., die großen Spitzen- Lampenschirme werden mit 50 Pfg. das Dutzend bezahlt. Verderbenbringend für die gewerbsmäßige Arbeiterin ist der Wettbewerb der Damen aus besseren Kreisen, die sich namentlich mit feinen Handarbeiten nur ein " Taschengeld" verdienen wollen und deshalb in ihren Mußestunden für jeden Preis arbeiten."
So das Organ der Konfektionsunternehmer. Die furzen Schilderungen lassen uns in einen Abgrund von Elend blicken, wie man es krasser kaum denken kann. Der„ Konfektionär" bekommt allerdings nur gelegentlich einmal sentimentale Anwandlungen, während deren er den Arbeiterinnenjammer anerkennt. Sehr bald wieder überwiegt bei ihm die Profitgier, welche die entsetzlichen Zustände in der Hausindustrie im vortheilhaftesten Lichte zu zeigen bemüht ist. So schreibt das Blatt schon einige Nummern später:„ Die deutsche Konfektionsindustrie beherrscht heute die Welt. Aufgebaut auf dem Prinzip richtiger Arbeitseintheilung, der rationellen Verwerthung der Hausindustrie, welche die Konfektion überhaupt nicht geschaffen, nicht beschwert durch todtes Kapital, welches in unbrauchbaren Maschinen gesteckt zu werden braucht, hat sie sich frei und mächtig entfalten können. Gerade in dieser praktischen Entwicklung liegt die Stärke der Konfektionsindustrie."
"
Die Unternehmer preisen nicht ohne Grund die Hausindustrie über den grünen Klee. Sie ermöglicht es ihnen ja, die Arbeiter und zumal die Arbeiterinnen mit so schandbar niedrigen Löhnen abzuspeisen und ihnen so gründlich jede Minute Zeit, jedes Fünfchen Kraft abzupressen, daß die kapitalistischen Herren der Konfektion die Einführung produktionstechnischer Neuerungen entrathen können. Wesentlich anders liegen aber die Verhältnisse für die ausgebeuteten oder richtiger ausgeschundenen Arbeitskräfte. Sie haben die Hausindustrie als eine Betriebsform zu bekämpfen, welche durch schrankenlose Ausbeutung ganze Schichten des Proletariats dem törperlichen, geistigen und sittlichen Verkommen überliefert. Deshalb müssen sie
Die schöne Seilerin.
Literargeschichtliche Skizze von Manfred Wittich.*
Als im Jahre 1790 die Republikaner aus Lyon zum Verbrüderungsfeste auf dem Marsfeld nach Paris kamen, wurde ihrem Zuge eine Fahne vorangetragen, auf der das Bild einer Frau, ihrer Mitbürgerin Louise Labé , eingestickt war. Es war dies die größte lyrische Dichterin Frankreichs im sechzehnten Jahrhundert. Jm Museum zu Lyon hat der Munizipalrath ihre Büste aufstellen lassen, und als die Straßen der Stadt für etwaige Kanonaden auf den ,, inneren Feind" schnurgerecht geregelt wurden, benannte man eine derselben nach der belle cordière( schönen Seilerin).
Allerdings war das Leben und Wirken Louisens oder, nach damaliger Rechtschreibung Louizens, darnach angethan, Aufsehen zu erregen.
-
zog
In dem Kriege, den Franz I. von Frankreich gegen Kaiser Karl V. führte am 12. Juli 1542 war er erklärt worden, ein Armeekorps unter dem Kommando des Dauphin, d. i. des Kronprinzen, gegen Perpignan zur Belagerung heran, wobei es seinen Weg über Lyon nahm. Dort schloß sich den Kriegern, vielleicht eingedenk des Ruhmes der Johanna d'Arc , des Mädchens von Orleans , ein Mädchen an im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren, namens Louize Charlin, Charly oder Charlien, genannt Labé. In offenbarer Verwechslung mit ihrem nachmaligen Gatten sagt man, daß ihr Vater ein Seiler von Lyon gewesen sei, der sie sehr sorgfältig hätte erziehen lassen. Nicht nur in den gewöhnlichen weiblichen Künsten, auch in Musik und allerlei Wissenschaft zeichnete sich Louise aus, zeigte Talente, die noch gehoben wurden durch eine„, mehr engelhafte als menschliche" Gestalt, durch strahlende Schönheit. Dazu kam noch, daß sie sich durch friegerische Gewandtheit und persönlichen Muth auszeichnete vor allem Kriegsvolk. Wer sie im Waffengeschmeide einhersprengen gesehen, wie sie die Lanze schwang und Geschosse entsandte, der hätte
* Nachdruck nur mit Bewilligung des Verfassers gestattet.
156
auf wirthschaftlichem Gebiete eintreten für die Errichtung von Betriebswerkstätten durch die Unternehmer, auf politischem Gebiete für die Ausdehnung des gesetzlichen Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie und ihre Unterstellung unter die Fabrikinspektion. Um so nöthiger ist es, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schuße der Arbeit von der Großindustrie auf die Hausindustrie auszudehnen, als sonst dem " gesetzliebenden" Unternehmerthum ein Hinterpförtchen offen steht, durch welches es sich um die gesetzliche Verpflichtung herumdrückt. Die Fabrikinspektoren anerkennen die Thatsache, daß die Einführung des elfstündigen Maximalarbeitstags für Frauen in manchen Industrien Anlaß gegeben hat, die Heimarbeit auszudehnen. Die Mißstände der Hausindustrie zu bekämpfen fordert die Pflicht, das Interesse des Proletariats, das seine volle Befreiung erringen will.
Eine Agitationstour mit Hindernissen.
Die umfassende Agitation, welche die Generalkommission der deutschen Gewerkschaften unter den Arbeiterinnen entfaltet hat, verfolgt bekanntlich lediglich den Zweck, die Lohnsflavinnen über ihre wirthschaftliche Lage, ihre wirthschaftlichen Interessen aufzuklären und zur völligen gewerkschaftlichen Organisation heranzuziehen. Sie hat nichts, aber auch gar nichts mit der für Frauen im Allgemeinen dreimal, für Proletarierinnen aber siebenmal siebenmal verpönten Politik zu thun. In einzelnen Hergottsvaterländern wird es aller dings immer mehr ordnungsretterischer Usus, als Politik alles zu erklären, was der Kapitalistenklasse und ihrem Staat unbequem erscheint. Wie sich Genossin Steinbach mit dieser Thatsache in Bayern abfinden mußte, so Genossin Schneider Köln in Westfalen . Dieselbe sollte in Neuwied , Wiesbaden , Mainz , Frankfurt a. M. ( zwei Versammlungen), Gießen , Kassel , Hanau , Gelsterbach, Hameln , Herford , Bielefeld , Hagen ( zwei Versammlungen), Iserlohn ( zwei Versammlungen), Barmen, Elberfeld , Ritters hausen und Schwelm sprechen. Die Tagesordnung sämmtlicher Versammlungen lautete:„ Der Zweck der gewerkschaftlichen Verbände und die Vortheile derselben für die Arbeiterklasse". Aus ihr erhellte flar der gewerkschaftliche Charakter der Agitation. In der Rhein provinz und in Hessen fanden denn auch die Versammlungen unbelästigt von Polizeiweisheit und Polizeiallmacht statt. Anders in Westfalen . Für die„ rothe Erde" gilt zwar unseres Wissens dem Buchstaben des Gesetzes nach das allgemeine preußische Vereins- und Versammlungsrecht, in praxi walten jedoch die Behörden im Geiste des sächsischen„ Juwels" ihres Amtes. Dank dieser doch offenbar gut gemeinten Gepflogenheit gestaltete sich die Agitationstour der sie für eine Heldengestalt der altfranzösischen Ritterromane halten können. Die Truppen legten ihr den Ehrennamen„ Capitaine Loys" bei, und es ist nicht zu verwundern, daß einer so auffallenden Erscheinung viel gehuldigt wurde.
Einem Unbekannten, der allabendlich vor ihrem Zelte sang, gelang es, dies stolze Herz zu rühren; noch dreizehn Jahre später singt Louise von dem Manne ihres Herzens:
Mein Unglück und mein Glück bist Du allein, Nichts ohne Dich, kann alles mit Dir ich sein.
Der Feldzug endete ungünstig für Frankreich , der Gegenstand von Louisens Neigung entschwand ihr, und 1555 wird uns zum ersten Male der wohlhabende Seiler Henemond oder Aymon Perrin zu Lyon als ihr Gatte genannt. Sein Haus, eines der schönsten in der Stadt, machte die geistreiche Louise zum Sammelpunkte aller bedeutenden Geister des Ortes.
Ihre kriegerischen Abenteuer, ihre empfindungsvollen Lieder, ihr Hervorragen über die meisten Frauen des Ortes, die Originalität ihres Denkens und Thuns, das lebhafte gesellige Treiben in ihrem Hause fand gar bald auch üble Nachrede. In der Nouvelle biographie universelle( neuen allgemeinen Biographie) lesen wir:„ Aber kaum war ein Monat vergangen, seitdem Louise Witwe geworden, da schrien die vornehmen Damen von Lyon Zeter, sie konnten nicht verzeihen, daß sie herabgesetzt wurden durch eines kleinen Bürgers Frau, deren Aufwand und Gesellschaften, besonders durch den Vorwurf, welcher ihnen wegen ihrer Unwissenheit und der Nichtigkeit ihrer Beschäftigungen gemacht wurde. Ueber die Ungerechtigkeit ihrer Feinde tröstete sich Louise durch ihre Beziehungen zu den ausgezeich netsten Personen der Stadt." Lyon hatte damals an solchen keinen Mangel, es konnte sich namentlich auch einer guten Anzahl bedeutender Frauen rühmen, deren Namen freilich nur die spezielle Literaturgeschichte Frankreichs kennt und nennt.
Ueber ihr Geschlecht hatte Louise Ansichten, die von den allgemeinen landläufigen ziemlich stark abwichen, Grund genug,
1